Mülheim. Die Troost’sche Weberei in Mülheim ist seit 2020 eine Baustelle und wird es noch jahrelang bleiben. Anwohner halten es nicht mehr aus.

„Meine Frau hat vorgeschlagen, dass wir im Badezimmer frühstücken. Dann könnten wir uns endlich mal wieder gegenseitig verstehen.“ Manfred Baukmann schmunzelt, während er das sagt. Zum Lachen ist ihm schon lange nicht mehr. Der 71-Jährige lebt mit seiner Frau Sigrid Lohbeck-Baukmann in erster Reihe zur Dauer-Baustelle an der Troost’schen Weberei. Wenn er auf seiner Terrasse sitzt, kann er die Arbeiten der Abrissbagger minuziös verfolgen.

Seit drei Jahren gibt es die Baustelle schon, die rundherum von Wohnbebauung umgeben ist. Seit klar ist, dass auch die Außenwände des Tudorhauses weichen müssen, wird wieder mit schwerem Gerät gearbeitet. Am Freitag vor Pfingsten dröhnen die Maschinen ununterbrochen und es hängt feiner Staub in der Luft, da die alten Steine vor Ort geschreddert und wiederverwendet werden. Der Staub kratzt im Hals, um sich auf der Terrasse der Baukmanns unterhalten zu können, muss man laut sprechen.

Mülheimerin klagt: „Unser Leben ist komplett fremdbestimmt“

„Ich bin wirklich nicht zimperlich, aber irgendwann ist auch mal gut“, sagt Manfred Baukmann. Seine Frau findet noch deutlichere Worte. Für sie ist das Wohnen im Baulärm eine Zwangslage, aus der es kein Entrinnen gibt. „Unser Leben ist komplett fremdbestimmt. Wir können nichts dagegen tun, müssen nur aushalten. Ich weiß wirklich nicht mehr, wohin mit mir.“

Auf dem Baustellengelände wird auch drei Jahre nach Baubeginn noch abgerissen, zuletzt die ehemals denkmalgeschützten Fassadenteile des Tudorhauses. Ursprünglich sollten die neu gebauten Wohnungen um diese Zeit schon bezugsfertig sein.
Auf dem Baustellengelände wird auch drei Jahre nach Baubeginn noch abgerissen, zuletzt die ehemals denkmalgeschützten Fassadenteile des Tudorhauses. Ursprünglich sollten die neu gebauten Wohnungen um diese Zeit schon bezugsfertig sein. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Laut Familie Baukmann beginnt jeden Morgen um sechs der Tag, wenn die Bauarbeiter auf Höhe des Schlafzimmerfensters halten, um das Tor aufzuschließen. So sei es auch samstags. Die 54-Jährige würde gern mal wieder ausschlafen, etwa wenn sie Urlaub hat. „Der hat schon seinen Reiz verloren. Mittlerweile bin ich einfach froh, wenn ich ins Büro fliehen kann.“ Eine kleine Grillfeier am vergangenen Wochenende haben sie abgesagt, als auch am späten Nachmittag noch gebaggert wurde. An den Samstagen geht es eigentlich schon morgens um sieben um die Frage, wo sie an dem Tag hinflüchten können. „Aber ich mag unser Zuhause, ich will nicht ständig weg.“ Seit 20 Jahren wohnen sie in der komfortablen Anlage mit großen Appartements. Ihre Wohnung liegt im Gartengeschoss.

Verzweifelte Suche nach Hilfe blieb erfolglos

Was die Baukmanns auf Dauer mürbe macht, ist nicht nur der Lärm, sondern auch die Hilflosigkeit und die fehlende Aussicht auf ein Ende. Nach drei zähen Jahren wird jetzt erst der Abriss beendet. Dann kommt erst der Aushub und danach der Neubau. „Alle haben immer gute Ratschläge parat. Da muss man halt durch. Es geht doch vorbei. Aber wenn man da selbst drinsteckt, ist es etwas anderes. Man hält den Dauerlärm irgendwann nicht mehr aus“, sagt Manfred Baukmann, der seit einem Sturz nicht mal eben auf Ausflüge gehen kann.

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Die Baukmanns haben mit vielen Stellen gesprochen, darunter die Stadt Mülheim und die Aufsicht in Düsseldorf. Niemand sieht Möglichkeiten, wie die Situation der Anwohner verbessert werden kann. Wann es auf einer Baustelle laut sein darf, ist in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Baulärm geregelt. Der Betrieb von Baumaschinen in ausgewiesenen Wohngebieten ist demnach auf den Zeitraum von 7 bis 20 Uhr an Werktagen zu beschränken. „Ich verstehe den Ärger. Aber man kann leider nicht leise abreißen“, sagt Stadtsprecherin Tanja Schwarze.

Das Mülheimer Bauprojekt zieht sich seit Jahren

„Es wäre schon eine Riesenhilfe, wenn samstags nicht gearbeitet würde“, sagen die Baukmanns. Der Bauleiter sei freundlich und in zwei Gesprächen durchaus zugänglich gewesen, aber geändert habe sich nichts. Bauherr ist der Wuppertaler Immobilien-Investor Arealcon. Er war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Fakt ist, dass die Bauzeit deutlich länger ist als geplant. Zwischenzeitlich war sogar ein Baustopp verhängt worden. Erst fehlten laut Stadt mehrere Papiere zur Abrissgenehmigung. Beim Tudorhaus, dessen historische Fassade erhalten werden sollte, führte erst eine vermutete Fledermaus-Population zu einem vorläufigen Baustopp, dann folgte ein längeres Begutachtungsverfahren durch die Denkmalschützer. Am Ende stellte sich heraus, dass die historische Fassade aufgrund massiver Schäden doch abgerissen werden muss.

Mitte 2023 sollten die Wohnungen im gehobenen Segment ursprünglich bezugsfertig sein. Zuletzt wurde den Anwohnern eine Fertigstellung bis Ende 2024 in Aussicht gestellt. „Aber daran glaubt keiner so richtig“, sagt Sigrid Lohbeck-Baukmann. Einer ihrer Nachbarn denke darüber nach, für zwei Jahre in eine Übergangswohnung zu ziehen. Das Ehepaar Baukmann liebäugelt mit dem Gedanken, sich ein Wochenend-Domizil zu suchen. Aber so richtig gefällt ihnen der Gedanke dann doch nicht. „Wir sind gern zu Hause“, sagt Sigrid Lohbeck-Baukmann und man hört heraus, wie gern sie einfach nur den Ort genießen möchte, der ihr am liebsten ist.