Mülheim. Um Rehkitze vor Verletzungen und Tod durch Mähmaschinen zu bewahren, suchen Mülheims Jäger Felder ab. Neuerdings kommt Hightech zum Einsatz.
Es ist nicht das tschirpende Crescendo von Amsel, Fink und Star, das den Jäger Fabian Wagner schon aus den Federn geholt hat, als die ersten Sonnenstrahlen über die taufeuchten Felder von Landwirt Hermann Terjung streichen. Im Nirgendwo des 51. Breitengrads Nord und 56. Längengrads Ost, an der Grenze von Mülheim und Essen, checkt er die Funkgeräte für drei Kollegen. Dann die kleinen Rotoren seiner Drohne mit Wärmebildkamera, die schon auf dem weißen Beistelltisch mit dem roten „H“ kauert. Startbereit? Die Rotorblätter schnurren. „Roger.“
Es ist der Naturschutz, der die Jäger ehrenamtlich aus dem Schlaf geholt hat: Denn auf den Mülheim-Essener Feldern steht in den kommenden vier bis sechs Wochen die erste Mahd an, zwischen den dichten Halmen aber kauern oft noch ahnungslos Rehkitze. Jedes Jahr werden die Jungtiere, auch Hasen und brütende Vögel durch Mähmaschinen der Landwirte verletzt oder sogar getötet. Die Mülheimer Kreisjägerschaft will das möglichst verhindern.
Mülheimer Tierrettung über Whatsapp organisiert
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„Wir sehen uns als Naturschützer“, sagt Anke Gleichmar, Sprecherin der Mülheimer Jägerinnen und Jäger. Gut 100 Menschen sind dafür über Whatsapp organisiert. Meldet sich ein Landwirt bei ihnen, hat man schnell eine Gruppe zusammen, die sich darum kümmert, die Tiere einzusammeln oder vorübergehend zu vergrämen.
Kräftig investiert hat die Kreisjägerschaft in diese kostenlose Hilfe. Denn bislang strich man noch ganz ,analog’ mit Menschenketten zu acht, Hunden und Flatterband durch die teils hüfthohen Halme. Durch den Geruch des Menschen und das Flattern der Bänder meiden die Ricken und ihre Aufzucht für eine Zeit die Felder. Das Aufspüren aber ist keine einfache Sache: „Die Tiere verhalten sich oft still und durch das hohe Gras sieht man sie manchmal nicht, obwohl man direkt daneben steht“, schildert Jäger Helmut Hegemann.
Mülheimer Kreisjägerschaft investiert 4000 Euro in Rettung von Kitzen
Seit diesem Jahr unterstützt deshalb eine Drohne mit Wärmebildkamera die Suche. Etwa 8000 Euro hat das schnurrende „Ufo“ gekostet, die eine Hälfte trug der Landesjägerverband, die andere die Mülheimer Kreisjägerschaft. Dazu kommen der große Drohnenführerschein für rund 400 Euro und etwas Bürokratie, um das Fliegen mit der Unteren Naturschutzbehörde und in diesem Fall noch mit dem nahen Flughafen Essen-Mülheim abzuklären. Denn ohne Befreiungsbescheid dürfen Drohnen nicht ins Naturschutzgebiet.
Der Vorsprung durch Technik wird schnell klar, als Lenker Fabian Wagner das Maschinchen hoch über dem Feld schweben lässt. Von dort kann man Schneisen durch das Gras erkennen. Die gekoppelte Wärmebildkamera zeigt außerdem auf seinem Steuergerät einen weißen Fleck auf grauem Grund. „Weiß bedeutet Wärme“, erläutert Wagner. Das erklärt auch, warum man schon zu den ersten Sonnenstrahlen los muss. Denn dann ist der Boden noch verhältnismäßig kalt. Die warmblütigen Tiere heben sich deshalb davon ab.
Obacht bei Kartons am Feldrand: Kitze nicht mit bloßen Händen anfassen
Hier also könnte ein Kitz liegen. Wagner lässt die Drohne über der Stelle schweben und blinken. Anke Gleichmar zieht derweil Handschuhe an und faltet einen Umzugskarton aus dem Bauhaus zusammen, in den unzählige Luftlöcher gestanzt wurden. Hier muss das Kitz so lange geschützt am Wegesrand ausharren, bis der Kreiselmäher keine Gefahr mehr darstellt. „Viele Leute glauben dann, dass das Kitz verlassen wurde. Sie meinen es ja gut“, sagt sie.
Das aber kann dann zum Problem werden, wenn sie das Kitz ohne Handschuhe anfassen. Durch den menschlichen Geruch könnte die Ricke das Jungtier anschließend nicht mehr annehmen. Also am besten in Ruhe lassen, so der Rat der Jägerin. Seit kurzem ist an solchen Kartons oft auch ein Warnhinweis angebracht. Nach der Mahd werden sie wieder freigelassen, „die Ricke findet sie dann wieder“, sagt die Jägerin.
Vorsprung durch Technik: Drei Hektar in nicht mal einer halben Stunde abgesucht
Gleichmar hat die Stelle tief im Feld erreicht. Kein Kitz in Sicht, dafür aber niederliegendes Gras. Vermutlich hat hier ein Reh übernachtet und das noch warme Gras zeichnete sich auf der Kamera ab. Und die Jägerin kommt mit klitschnasser Hose zurück – Morgentau. Trotz solcher „Fehlalarme“ bringt die Suche mit digitaler Hightech einen deutlichen Zeitgewinn: Nach etwa einer halben Stunde hat Wagner rund drei Hektar virtuell abgesucht. Dann geht’s schon weiter zum nächsten Ort.
„Kein Kitz gefunden“, kann er wenig später dem Landwirt auch von dort melden – „das ist aber auch ein positives Ergebnis“.