Mülheim. Mit kleinen Eingriffen hat die Stadt den Mülheimer Peisberg zum Erlebnisraum umgestaltet. Dort können sich Kinder austoben und Arten entfalten.
„Am besten ist, dass es hier so ruhig ist...“, sagt Mustafa (8). Denn wenn man sich hier für einen Moment hinstellt und die Augen schließt, könnte man glatt die Stadt vergessen. Stattdessen singen Amseln, tackert ein Specht, zirpt der Grünfink, pfeift ein Fitis gegen den verblassenden urbanen Soundteppich. Mitten in Eppinghofen kann man fast unberührte Natur erfahren. Der neue Erlebnisraum am Peisberg ist just eröffnet.
Viel zum Spielen und zum Entdecken: Vier ineinander übergehende Naturräume prägen das Gelände zwischen Winkhauser Weg und Elisabeth-Selbert-Straße. „Der erste Lebensraum ist nährstoffarm, hier kommt Gestein durch, das Wasser schnell versickern lässt. Die Steine erwärmen sich schnell“, erläutert der wissenschaftliche Leiter der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet, Peter Keil. Das könne man mit der Hand erfühlen. Und das soll man auch. Hier lassen sich vor allem Wärme und Trockenheit liebende Pflanzen wie die raue Nelke beobachten, hier hüpft die blauflügelige Ödlandschrecke.
Viel zu entdecken in Mülheim: vom kargen Gestein bis zum Wäldchen
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Ein Stückchen weiter wandelt sich schon die Steinfläche zur wilden Wiese, wo Nachtkerzen blühen oder die Wilde Möhre. Auch der unbeliebte japanische Staudenknöterich hat sich auf dem ehemaligen Steinbruch und Ziegeleigelände ausgebreitet, zeigt Keil. Um den aber wegzubekommen, müsste man den Boden schon tief ausheben. Aufwendig. Also versucht man den invasiven Neophyten stattdessen zu begrenzen. So auch die armenischen Brombeer-Sträucher, die immerhin noch einen Unterschlupf für Hasen böten.
Daran schließt als drittes Areal eine Gebüschvegetation an, wo Weißdorn, Rosen blühen und Feldahorn wächst. Und schließlich: ein Wäldchen – „ein typischer Industriewald aus Pionierbäumen wie die Birke“, erläutert Keil. Hier könnten sich später nützliche Eichen und Bergahorn hinzugesellen. Doch Grünspecht, Distelfinken und mehr haben die Mitarbeiter der Biologischen Station bereits entdeckt, als sie für die Stadt das Gelände entwickelten.
Mülheimer Naturerlebnisraum bietet eine artenreiche Industrienatur
„Weiterentwickelten“, muss man wohl sagen. Denn im Grunde soll im „Naturerlebnisraum“ vieles ja so bleiben, wie es sich das Brachgelände schon seit Jahrzehnten eingerichtet hat. „Eine artenreiche Industrienatur, die das Rückgrat der biologischen Vielfalt bildet und von dem sich die Natur ausbreiten kann“, sagt der Wissenschaftler Keil.
Wer hier wohnt, kennt und schätzt natürlich längst die Vorzüge des früheren Schlacke-Hügels, von dem aus man das Rathaus fest im Blick hat. Und an guten Tagen bis zu den Windrädern in Wesel schauen kann. Anwohner loben den Ansatz, Kindern im stark verdichteten Eppinghofen solche Erfahrungen von Natur zu ermöglichen. Im wahrsten Sinne, Fuchs und Igel sagen sich hier gute Nacht. Es gibt, wie oft, auch ein „Aber“.
Erlebnisraum in Mülheim fördert Bewegung und Kreativität von jungen Menschen
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Doch noch einmal zurück zur eigentlichen Idee, möglichst wenig zu gestalten. Mit weitestgehend kleinen Eingriffen gingen die Planer in Kooperation unter anderem mit Schulen und Biologischer Station hier vor: Zwei Halbkreise aus eindruckvollen Steinquadern zum Sitzen oder Klettern, Kreidetafeln, die bewusst wenig erklären und daher zum Erkunden animieren sollen. Es gibt einen großen Unterstand, wenn’s mal plästert oder zu heiß ist. Cortenstahl-Stelen markieren den Zugang zum Naturerlebnisgebiet.
Und da ist noch eine gepflasterte Rampe, die es auch mal möglich machen soll, dass ein Fahrzeug zur Pflege auf den Hügel kommt. Oder im Notfall ein Rettungswagen.
So bietet der Peisberg nun für alle etwas: Schul- und Sportdezernent David Lüngen lobt ihn als außerschulischen Lernort, der die motorischen Fähigkeiten und Kreativität fördert, Stadtplanungsdezernent Felix Blasch erkennt hier eine stadtplanerische Besonderheit, mit der sich im Ruhrgebiet bislang nur Herne und Mülheim schmücken können. Bezirksbürgermeisterin Britta Stalleicken sieht darin ein gutes Beispiel, wie Mensch und Natur zusammenkommen können, „ein Ort, an dem alle Menschen natürlich neugierig sein können“. Und Eppinghofens Stadtteilmanager Cemal Sari freut sich über mehr Grün und Spielflächen für Kinder im Quartier.
Mülheimer Schüler zeigen Engagement: Sie wollen ihre Umwelt sauber halten
Für Mustafa, der die Ruhe des Peisberges liebt und den Ausblick, kann man außerdem toll Verstecken spielen und Fangen. Zum Beispiel mit seinem Freund Akin (10). Der wiederum mag die vielen großen Pflanzen, die eindrucksvollen Steine. „Die Erwachsenen brauchen sich keine Sorgen um Müll zu machen“, sagen beide, während sie gemeinsam auf einem liegenden Totholzstamm gekonnt balancieren.
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Denn nirgendwo auf dem Gelände sind bislang Mülleimer vorgesehen. Die Besucher sollen das Mitgebrachte eben wieder mitnehmen. Das erntete bereits Kritik von Anwohnern, die fürchten, das Naturerlebnisgelände könnte zum neuen Wallfahrtsort für wilde Picknicks werden.
Doch Akin und Mustafa wollen verhindern, dass „ihr“ Peisberg vermüllt. Mit Freunden, Zangen und Mülltüten planen die engagierten Schüler der nahen Grundschule am Dichterviertel regelmäßig hier anzurücken, „und mit unserer AG alles aufzusammeln – damit die Umwelt sauber bleibt“.
Anwohner loben Idee, kritisieren aber Umsetzung
Keine Frage – sagen Anwohner, die zur Einweihung des Naturerlebnisraums am Peisberg vorbeischauten – die Idee sei toll. Allerdings sehen sie auch mögliche Probleme, vor allem altbekannte. Denn schon seit Jahren nutzen Leute den verschwiegenen Ort, um hier ihren Sperrmüll zu ,verklappen’ oder gar zu verbrennen: Bettgestelle, Regale, Elektrogeräte, sogar alte Mofas haben sie hier schon gefunden.
Die im Halbkreis verlegten Steine könnten ferner dazu animieren, in der Mitte ein Feuer zu machen und Grillgelage zu veranstalten. Mülleimer hätten sie deshalb gern hier gesehen sowie eine breitere Rampe für die Feuerwehr – falls es mal brenne. Außerdem, meinen sie, hätte es nicht geschadet, das ein oder andere Spielgerät aufzustellen.
„Man hat uns nicht mitgenommen“
Und zu guter Letzt üben sie auch Kritik an der Herstellung des Geländes: Mit schwerem Gerät sei eine beauftragte Firma auf den Peisberg gefahren, um Brombeeren und Co. zu stutzen. Dabei sei die Firma nicht zimperlich vorgegangen und habe – so die Behauptung der Anwohner – bei ihren Arbeiten Igel und andere Tiere verjagt und verletzt. Man habe danach auch tote Tiere gefunden. „Und die Füchse, die hier lebten, habe ich seitdem nicht mehr gesehen“, hofft ein Anwohner, dass die Tiere zurückkehren. „Man hat uns Anwohner nicht mitgenommen“, beklagt ein Teil von ihnen. Das sei das Hauptproblem.
Umweltdezernent Felix Blasch, der vor allem mit der Müllproblematik konfrontiert wurde, versprach, die möglichen Probleme „im Auge zu behalten“. Verwaltung und Politik setzen auch auf soziale Kontrolle, die mit der größeren Nutzung steigen werde – „dass hier Sperrmüll abgelegt wurde, hängt auch damit zusammen, dass das Gelände brach lag“.