Mülheim. Schwimmkurse sind voll, die Wartelisten lang. Sein Kind einfach selbst an das Element Wasser heranführen? Die DLRG Mülheim zeigt, wie es geht.

Dienstag Abend, Treffpunkt Hallenbad Süd. Während im großen Becken die Vereinssportler trainieren, hat sich nebenan eine kleine Gruppe von Erwachsenen um die 40 am Lehrschwimmbecken versammelt. Mütter, Väter und zwei Übungsleiter. Am Wasserrand eine Menge Spielzeug: Gießkannen, Bötchen, Schwämme, Bretter, Nudeln... Aus den Boxen tönt das „Baderegellied“. Kurz noch unter die Dusche, dann geht es für alle Beteiligten ins Wasser. Heute wird ausprobiert, was eine Woche zuvor bereits auf dem Theorieplan stand. Es gibt drei Themenblöcke: Wassergewöhnung, Wasserbeherrschung, Technik.

Die Idee dazu hatte Katharina Tersteegen-Spreitzer. Sie leitet den Elternabend zusammen mit Felix Gerdwilker. Seit 15 Jahren bringt die Ausbildungsleiterin bei der DLRG Mülheim Kindern das Schwimmen bei. Rund 500 Kinder stehen bei ihr auf der Warteliste. Sie sagt: „Mülheim hat einfach zu wenige Wasserflächen.“ Ohne Bahnen keine Schwimmkurse. Und dann war da noch die Coronapandemie: Kurse fielen aus, Bäder mussten zeitweise schließen. So konnten Kinder nicht einmal mit dem fremden Element in Berührung kommen. „Manche Kinder kennen nicht einmal die Badewanne.“ Das merkt Tersteegen-Spreitzer dann auch bei ihren regulären Schwimmkursen.

Jedes fünfte Grundschulkind kann nicht schwimmen

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Dass immer weniger Kinder und Erwachsene richtig schwimmen können, hat schwerwiegende Folgen. Mindestens 355 Menschen sind laut DLRG Statistik im letzten Jahr ertrunken, darunter 20 Kinder. Eine Forsa-Umfrage ergab zudem, dass 20 Prozent der Grundschulkinder aktuell nicht schwimmen können, eine Verdopplung gegenüber 2017. Die DLRG zeigt sich von den Zahlen alarmiert. „Wie Jungen und Mädchen lesen, schreiben und rechnen lernen, so müssen sie auch schwimmen lernen. Wir müssen dahin kommen, dass jedes Kind am Ende der Grundschule sicher schwimmen kann“, sagt DLRG-Präsidentin Ute Vogt.

Die DLRG-Statistik für 2022 zählt 355 Todesfälle durch Ertrinken.
Die DLRG-Statistik für 2022 zählt 355 Todesfälle durch Ertrinken. © DLRG

DLRG Mülheim zeigt, wie man die Wasserscheu von Kindern überwindet

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Bei den Elternabenden sollen Mütter und Väter nun selbst lernen, wie sie ihren Kindern das Schwimmen beibringen können – und vor allem, was auf dem Weg dahin zuerst geschehen muss. Quasi ein Schwimmkurs nach dem Do-it-yourself-Prinzip mit je 90 Minuten Theorie und Praxis.

Erster Programmpunkt: „Tipps und Tricks, wie aus Ihrem Kind eine echte Wasserratte wird“. Los geht’s mit einer Runde Beinstrampeln von den Stufen aus: Wer am meisten spritzt, gewinnt. Die Stimmung ist gelassen; alle kennen sich schon vom Theorieabend eine Woche zuvor. Danach eine Polonaise: Während sich die Teilnehmenden im hüfttiefen Wasser kreisförmig fortbewegen, übergießt einer den anderen mit Wasser. Schnell wird klar: Die Kinder sind heute die Erwachsenen.

Mütter und Väter lernen beim ersten Elternabend der DLRG Mülheim, wie sie ihren Kindern spielerisch den Zugang zum fremden Element erleichtern können.
Mütter und Väter lernen beim ersten Elternabend der DLRG Mülheim, wie sie ihren Kindern spielerisch den Zugang zum fremden Element erleichtern können. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Das Ganze erinnert etwas an die Animationsprogramme auf Pauschalreisen. Hier wie dort gilt: Wenn alle mitmachen, braucht sich keiner zu schämen. Nur, dass es an diesem Abend um mehr als Spiel und Spaß geht, wenn sich Erwachsene zum Affen machen – beziehungsweise zum Pinguin. Der wird nämlich als nächstes imitiert, dann die Giraffe, schließlich – gehobener Schwierigkeitsgrad – der Frosch.

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Schritt für Schritt geht es mit den Übungen weiter ins Wasser, auch ganz buchstäblich, wenn sich die Gruppe jetzt an der Treppe am Beckenboden entlang hangelt. „Und immer eine Stufe tiefer gehen“, lautet die Anweisung. Vom Einfachen zum Schweren, vom Flachen zum Tiefen, vom Planschen zum Techniktraining. Eins nach dem anderen. Normalerweise, sagt Tersteegen-Spreitzer, brauchen Kinder 12 bis 16 Wochen Schwimmunterricht, bis sie sicher im Wasser sind. Der Elternabend könne deswegen auch keinen Schwimmkurs ersetzen, wohl aber ergänzen.

Erste Koordinationsprobleme treten beim Techniktraining auf

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Und weil es beim Schwimmen auch auf die richtige Atmung ankommt, wird auch die mit trainiert. Dazu haben die beiden Übungsleiter Bötchen mitgebracht, die von den Teilnehmenden durchs Wasser gepustet werden. Auch hier gilt: Bloß keine Hemmungen haben. „Wenn’s blubbert, wird es besser“, sagt Übungsleiter Gerdwilker und geht mit gutem Beispiel voran.

Als alle Spiele im und unter Wasser beendet sind, geht es zum Techniktraining noch einmal ins Trockene. Hier müssen auch die schwimmerfahrenen Eltern schon mal überlegen: Wie geht der Brustbeinschlag noch einmal korrekt? Wohin zeigen die Füße? Wann werden in der Bewegung die Oberschenkel geöffnet? Gerdwilker macht es vor: „Und hier kommt der Schwung“, sagt er und klatscht, als sich die Füße wieder berühren, laut in die Hände. Im Wasser klappt es dann bei allen schon besser.

Übungsleiter Felix Gerdwilker hat viele Tipps aus der Praxis parat. Ein Teilnehmer ist sich sicher: „Jetzt würde meine Tochter schon nach dem Handtuch schreien.“
Übungsleiter Felix Gerdwilker hat viele Tipps aus der Praxis parat. Ein Teilnehmer ist sich sicher: „Jetzt würde meine Tochter schon nach dem Handtuch schreien.“ © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Fazit fällt positiv aus: „Da kommt man alleine einfach nicht drauf.“

Nach etwas mehr als 90 Minuten ist der Crashkurs vorbei. Zeit für ein kurzes Fazit im Wasser. Marvin, Vater von zwei Kindern im Alter von fünf Jahren und sieben Monaten, lobt die schrittweise Herangehensweise und meint: „Was wir hier heute gelernt haben, da kommt man alleine einfach nicht drauf.“ Zustimmendes Nicken in der Runde.

Auch Ibrahim ist zufrieden: Er wäre gern auch noch öfter gekommen, so viel Spaß hat es ihm gemacht. „Ich fand den Austausch mit den anderen Eltern besonders toll.“ Annika, Mutter von drei Kindern, stimmt ihm zu. Sie meint, Eltern sollten öfters mal „den Druck rausnehmen“ und sich nicht gegenseitig unter Stress setzen, nach dem Motto: Welches Kind lernt am schnellsten?

Katharina Tersteegen-Spreitzer leitet seit 15 Jahren Schwimmkurse für Kinder. Mit Eltern zu arbeiten, ist auch für sie eine Premiere.
Katharina Tersteegen-Spreitzer leitet seit 15 Jahren Schwimmkurse für Kinder. Mit Eltern zu arbeiten, ist auch für sie eine Premiere. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Alle sind gewillt, ihren Kindern jetzt selbst das Schwimmen beizubringen. Bea, die als Sonderpädagogin arbeitet und eigentlich für ihre beiden fünf- und achtjährigen Kinder hier ist, erwägt sogar eine Fortbildung für den Schulsport. Das hören die beiden Übungsleiter der DLRG gern. Sie wünschen sich, dass die Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, so dass der Schwimmkurs künftig für kein Kind mehr einen Sprung ins kalte Wasser bedeutet. „Ihr werdet nun auch zu Multiplikatoren“, sagt Gerdwilker. Das müssen übrigens nicht die Eltern sein: Auch Großeltern sind beim nächsten Elternabend herzlich willkommen.

Der nächste Elternabend findet Anfang Mai statt, es gibt noch freie Plätze. Anmeldungen sind auf der Homepage der DLRG-Ortsgruppe Mülheim möglich.