Mülheim. Mülheims Grüne Jugend macht sich stark für Klimagerechtigkeit. Auch in Lützerath. Was sie dort tief bewegte: von Solidarität bis Polizeigewalt.

Die Fragen des Klimaschutzes und der Klimagerechtigkeit sind für sie noch Themen, für die es sich zu streiten lohnt. In Lützerath haben Mitglieder der Grünen Jugend aus Mülheim Gesicht gezeigt – und mancher von ihnen machte zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Staatsgewalt. Redakteur Dennis Vollmer sprach mit Melsa Yildirim, Konstantin Elbe, Philipp Hoffmann und Björn Maue über ihre Erlebnisse.

Was war Ihre Motivation mitzudemonstrieren und welche Eindrücke haben sie von Lützerath mitgenommen?

Melsa Yildirim (22): „Ich war schon ein paar Tage vor der Demo im Lager in Lützerath, weil ich die Aktivisten unterstützen wollte, die das Dorf verteidigen wollten. Für mich ist Klima an sich ein wichtiges Thema. Dass für den privaten Profit von RWE Dörfer umgesiedelt werden sollen, um die Kohle abbaggern zu können, finde ich nicht richtig. Das Thema geht uns alle etwas an. Für mich ist aber klar, dass, wenn wir hier weiterhin Kohle abbaggern und verbrennen, wir unsere Klimaziele im Pariser Abkommen nicht mehr einhalten können. Mein erster Eindruck bei der Ankunft war, dass ich schon etwas Sorge hatte, an der Polizei vorbeizukommen. Man wurde ganz eng bis zum Dorf begleitet, bestimmte Strecken durfte man nicht langlaufen. Als ich dann im Dorf war, war ich sehr beeindruckt, wie viele hundert Menschen es waren, wie gut alles organisiert und wie friedlich die Stimmung war. Es gab Workshops zu bestimmten Themen, alles war auf freiwilliger Basis, auch das Mithelfen.

Junge Grüne aus Mülheim half beim Spülen und Barrikadenbau

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Wie haben Sie dort geholfen?

Yildirim: Ich habe zum Beispiel beim Spülen mitgeholfen und später auch, als es darum ging, eine Barrikade zu bauen und zu blockieren.

Haben Sie mitblockiert und sich auch festgeklebt?

Yildirim: Nein, aber ich war in der Nähe der Blockade.

Björn Maue (23): Ich war nicht im Camp, aber wir haben im Landesvorstand der Grünen Jugend schon im Dezember versucht zu koordinieren, was im Januar passieren kann. Es war von unserer Seite immer ganz klar, dass wir deeskalierende Strategien verfolgen. Auch von Seiten der Polizei ist das immer gesagt worden. Als es dann aber am 11. Januar mit der Räumung von Lützerath losging, hatte ich das Gefühl, dass man aufseiten der Polizei mit jedem Tag ungeduldiger wurde. Weil man nicht so vorankam wie geplant. Zur Demo am 14. Januar machte sich das bemerkbar. Man wollte von Seiten des Landes schnelle Ergebnisse haben, da spielte die Sicherheit derjenigen, die sich für Klimagerechtigkeit eingesetzt haben, nicht immer so eine große Rolle.

Am fünften Tag der Räumung von Lützerath versuchte die Polizei zusammen mit der Feuerwehr, die letzten Aktivisten aus den Baumhäusern zu entfernen. Der junge Mülheimer Grüne Björn Maue äußert Zweifel, dass die Einsatzkräfte hierbei vorsichtig genug vorgingen.
Am fünften Tag der Räumung von Lützerath versuchte die Polizei zusammen mit der Feuerwehr, die letzten Aktivisten aus den Baumhäusern zu entfernen. Der junge Mülheimer Grüne Björn Maue äußert Zweifel, dass die Einsatzkräfte hierbei vorsichtig genug vorgingen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Wie ging denn die Polizei bei der Räumung vor? Es wirkte in den Medien sehr geordnet: Menschen wurden erst weggetragen, dann wurden die Barrikaden beseitigt. Was haben sie sehen können?

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Maue: Ja, aber wenn man genauer hingesehen hat, sah man auch, dass noch Klimaaktivist*innen in den Traversen und Seilstrukturen hingen. Auch dort hat die Polizei Baumstämme angesägt, was das Ganze destabilisiert hat. Leute waren in Gefahr! Das fand ich erschreckend. Ich bin deshalb durchaus wütend, dass man das Dorf geräumt hat, aber auch froh, dass niemand schwerwiegend zu Schaden gekommen ist.

„Als ich die ersten Krankenwagen gehört habe, dachte ich: Was geht denn hier ab?“

Wie haben Sie dann den Tag der Demo erlebt? Haben sie sich in der Berichterstattung wiedergefunden?

Konstantin Elbe (15): Die Stimmung unter den Klimaaktivisten war gut und friedlich – jedenfalls dort, wo ich war. Ich war aber nicht in der Nähe der Abbruchkante, sondern an der Rednerbühne. Als ich dort am Ende der Demo die ersten Krankenwagen gehört habe, dachte ich: Was geht denn hier ab? Ich war schockiert. Die Anreise und der Rückweg anschließend waren blöd: Die Polizei hat irgendwann keine Shuttlebusse durchgelassen – wir mussten deshalb laufen. Es war aber eine angemeldete Demo: Dass die Polizei die Busse dann nicht durchgelassen hat, finde ich nicht sehr demokratisch.

„Dass von irgendwelchen Gruppen Gewalt ausgeübt wurde, habe ich nicht gesehen“, sagt der junge Grüne Philipp Hoffmann. Er war im Demonstrationszug dabei, aber nicht an der Abbruchkante, wo es zu Konflikten zwischen Aktivisten und Polizisten kam.
„Dass von irgendwelchen Gruppen Gewalt ausgeübt wurde, habe ich nicht gesehen“, sagt der junge Grüne Philipp Hoffmann. Er war im Demonstrationszug dabei, aber nicht an der Abbruchkante, wo es zu Konflikten zwischen Aktivisten und Polizisten kam. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

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Philipp Hoffmann (22): Das war bisher meine größte Demo mit 15.000 bis 35.000 Menschen. Auch habe ich noch nie so viel Polizeipräsenz erlebt, schon vom Bahnhof an. Das hat selbst für mich eine bedrückende Wirkung gehabt, obwohl ich zum Glück noch keine negativen Erfahrungen mit der Polizei gemacht habe.

Ich kann aber die Eindrücke nur bestätigen. Es war eine gute Stimmung, es war ein vielfältiges, internationales Publikum aus jungen Leuten, älteren, auch Familien mit Kindern. Dass von irgendwelchen Gruppen Gewalt ausgeübt wurde, habe ich nicht gesehen. Wir wurden an der Bühne sogar gewarnt, nicht in die Nähe der Abbruchkante zu gehen, weil dort wohl die Polizei hart durchgreift. Wir konnten sogar währenddessen live die Bilder von der Stelle auf Social Media sehen, was uns auch abgeschreckt hat.

Dass die Polizei die Shuttle blockiert hat, fand ich unverhältnismäßig, eben weil auch Familien und ältere Menschen deshalb kilometerweit zurücklaufen mussten. Zumal die Polizei nicht darüber informiert hat – das geht gar nicht.

„Man geht auf eine angemeldete demokratische Demonstration und muss Angst haben, irgendwo hinzugehen.“ Björn Maue (Grüne Jugend und im Mülheimer Stadtrat) beunruhigt das Durchgreifen der Polizei in Lützerath.
„Man geht auf eine angemeldete demokratische Demonstration und muss Angst haben, irgendwo hinzugehen.“ Björn Maue (Grüne Jugend und im Mülheimer Stadtrat) beunruhigt das Durchgreifen der Polizei in Lützerath. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Junge Grüne fragen: Gilt der Deal mit RWE mehr als das Pariser Abkommen?

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Maue: Ich glaube, man kann viel über Polizeigewalt sprechen, die auch definitiv da war. Aber was man anmerken muss: Man geht auf eine angemeldete demokratische Demonstration und muss Angst haben, irgendwo hinzugehen. Man überlegt sich, wie bewege ich mich? Wir haben uns bewusst zurückgehalten, aber wenn man sieht, wie Demonstrant*innen mit Kopfverletzungen zurückkommen, ins Krankenhaus gefahren werden müssen, fragt man sich: Was soll das? Selbst parlamentarische Beobachter, die als solche gekennzeichnet waren, haben berichtet, dass sie von der Polizei angegangen wurden. Das finde ich auf erschreckende Weise überraschend. Wenn der NRW-Innenminister dann von einem „professionellen Einsatz“ spricht, frage ich mich, welches Verständnis er von Polizeiarbeit hat.

Warum war es Ihnen wichtig, dort zu demonstrieren?

Elbe:Ich finde den ausgehandelten Deal unfair: Die Kohle abzubaggern ist nicht nötig, wir halten damit das 1,5-Grad-Ziel nicht ein. Nur damit ein Konzern Profite machen kann? Das finde ich nicht gerecht.

Auch nicht, wenn damit fünf Dörfer erhalten bleiben und man acht Jahr früher aus der Braunkohleverbrennung aussteigt?

Elbe: Was bringen die acht Jahre, wenn doch die gleiche Menge an Kohle verfeuert wird? Das ist Augenwischerei.

Hoffmann: Für mich war es wichtig, Präsenz zu zeigen, weil wir in Deutschland das Klimaabkommen mitbeschlossen haben. Der frühere Ausstieg reicht nicht, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Ich frage mich deshalb, warum der Deal mit RWE mehr gilt als das Abkommen?

„Warum gilt der RWE-Deal mehr als das Pariser Klimaabkommen?“ Philipp Hoffmann (Grüne Jugend) blickt durchaus kritisch auf die Entscheidung zu Lützerath auch in der eigenen Partei.
„Warum gilt der RWE-Deal mehr als das Pariser Klimaabkommen?“ Philipp Hoffmann (Grüne Jugend) blickt durchaus kritisch auf die Entscheidung zu Lützerath auch in der eigenen Partei. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Ist der Deal der Landesregierung mit RWE für Sie dann ein fauler Kompromiss? Was hätten sie sich stattdessen gewünscht?

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Yildirim: Der eigentliche Kompromiss war schon das Pariser Abkommen, der jetzige ist einer zugunsten des Konzerns RWE. Wir steuern damit weiter in die Klimakrise. Ich finde ihn deshalb nicht richtig.

Grüne üben deutliche Kritik auch an der Rolle der Partei beim Deal mit RWE

Wie sehen Sie dann die Rolle Ihrer Partei darin?

Maue: Es ist ja nicht die Grüne Jugend allein, die den Deal kritisch sieht. Es gab ja auch auf dem Bundesparteitag im Oktober einen Antrag für ein Moratorium für Lützerath, der unter 800 Mitgliedern mit etwa 21 Stimmen Unterschied abgelehnt wurde. Natürlich sind ein früherer Kohleausstieg und der Erhalt der Dörfer besser, aber wenn die Ausgangslage immer noch ,scheiße’ ist, nützt auch ein .besserer Deal’ nichts. Es wird einem internationalen Abkommen die Effektivität gestohlen im Interesse eines Konzerns, nicht wegen der Energiesicherheit. Die Kohle ist für die Energiesicherheit nicht notwendig, das belegen genügend Gutachten. In einer Regierungskonstellation muss man zwar Kompromisse schließen, aber wenn man Regierungsverantwortung hat, muss man auch alles dafür tun, ihr nachzukommen. Dafür haben wir auf dem Parteitag gekämpft. Und dafür werden wir weiter demonstrieren.