Lützerath. Aktivisten verlassen freiwillig den Tunnel. Der Widerstand hält aber weiter an. Für Dienstag ist ein Aktionstag angekündigt.
Montagmittag in den Überresten von Lützerath. Es ist kühler geworden, gerade regnet es nicht. Vor der Ruine eines kleinen, fensterlosen weißen Hauses, zu dem ein dicker Schlauch führt, stehen Feuerwehrleute, zwei parlamentarische Beobachter. Einige Meter weiter haben sich hinter einer Flatterband-Absperrung Fotografen und Kameraleute in Position gebracht. Dann kommen endlich die beiden Männer heraus, auf die hier alle gewartet haben. Einer trägt eine Flecktarnjacke, der zweite ist in schwarz gekleidet, beide sind vermummt. Sie winken müde. Die beiden haben freiwillig den Tunnel verlassen, in dem sie sich sechs Tage verschanzt hatten. Mit ihnen verlassen die letzten Besetzer Lützerath.
Die Räumung der kleinen Siedlung ist beendet. Über die beiden jungen Männer ist wenig bekannt. Sie nennen sich „Pinky“ und „Brain“. Am vergangenen Donnerstag, einen Tag nach dem Beginn der Räumung, veröffentlichen sie ein Video, das sie in einem Erdloch zeigt. Es ist ein Video, das der Polizei und dem Energiekonzern Kopfschmerzen bereitet. Die beiden erklären darin, wie komplex der Tunnel ist, den sie unter dem Haus gegraben haben.
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Betonsperren, enge Gänge, vier Meter tief, eine Kammer, in der sie einen Betonklotz installiert haben, in dem sie sich festketten können. „Eine sehr effektive Verteidigungsform gegen eine Räumung“ nennen sie ihr Bauwerk. Sie setzen darauf, dass ihr Tunnel die Räumung Lützeraths verzögert, um Tage, vielleicht um Wochen. Tatsächlich ist es lebensgefährlich da unten, wenn an der Erdoberfläche mit schwerem Gerät gearbeitet wird, könnte der Tunnel einstürzen, Räumungsmaßnahmen im Untergrund müssen sorgfältig geplant werden, um Verletzungen der Aktivisten zu vermeiden.
RWE bildet nach der Entdeckung des Tunnels einen Krisenstab. Experten von Feuerwehr und Grubenwehr bereiten technische Lösungen für mögliche Rettungsaktionen vor, Spezialisten werden hinzugezogen, das THW leistet technische Unterstützung. In den Tagen darauf werden die beiden Männer mit Luft versorgt. Der Energiekonzern heuert Vermittler an, um die die beiden zu überzeugen, den Untergrund freiwillig zu verlassen. In der Szene der Klimaaktivisten werden die beiden als Helden gefeiert. Die Polizei kritisiert ihre Aktion.
Es bleiben nur Trümmerhaufen
Am Montagmorgen sind „Pinky“ und „Brain“ die beiden letzten Besetzer Lützeraths. Sämtliche Baumhäuser und Häuser sind geräumt, Abrissbagger zermalmen die Siedlung, was in den vergangenen zweieinhalb Jahren das zuhause von Aktivisten war, ist nun in Trümmerhaufen zusammengeschoben. Die meisten Bäume sind gefällt. Um kurz nach zehn Uhr machen Gerüchte die Runde. Die beiden Aktivisten wollen freiwillig an die Oberfläche kommen, heißt es. Etwa drei Stunden später ist es dann so weit, sie verlassen den Tunnel.
„RWE ist erleichtert, dass die lebensbedrohliche Situation auf diese Weise beendet wurde“, teilt der Konzern mit. Eine Rettung gegen den angekündigten Widerstand wäre mit hohen Risiken verbunden gewesen, auch für die Rettungskräfte, heißt es in der Mitteilung. Strafrechtliche Konsequenzen müssen die beiden Aktivisten nicht befürchten, weil sie freiwillig aufgegeben haben.
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Obwohl nun alle Besetzer Lützerath verlassen haben, hält der Widerstand der Kohle-Gegner weiter an. Am frühen Morgen seilen sich fünf Aktivisten von der Brücke an der Autobahnabfahrt Jackerath ab und blockieren die Landstraße 241, zwei von ihnen sitzen in Rollstühlen. Die Straße muss stundenlang gesperrt werden. Die Aktivisten und einige Unterstützer auf der Straße skandieren: „Lützi bleibt.“ Die Polizei holt die Demonstranten gegen 10.45 Uhr mit Höhenrettern und einem Kran herunter und führt sie ab. Im Tagebau Hambach besetzten acht Aktivisten einen der gewaltigen Schaufelradbagger, auch hier dauert es Stunden, bis sie von dem Gerät geholt werden können.
Vorbereitungen im Klima-Camp
In Keyenberg, etwa vier Kilometer entfernt von Lützerath, sind an diesem Montag noch etwa 300 Menschen in einem Camp der Klima-Aktivisten. Dutzende Zelte stehen einer matschigen Wiese, eine Gemeinschaftsküche gibt Essen aus, in einem Pressezelt produzieren die Aktivisten Mitteilungen und füllen ihre Internetseiten. Ein großes gelb-rotes Zirkuszelt dient als Versammlungsort, ein kleineres als Info-Point. Die Stimmung schwankt an diesem Tag zwischen Freude über den gewaltigen Zulauf dem, wie es eine Sprecherin ausdrückt, „krassen, massenhaften Ungehorsam“ bei der Demonstration am vergangenen Samstag, als Tausende Richtung Lützerath vorrückten, und dem Frust darüber, dass die Räumung der Siedlung so schnell von statten gegangen ist.
Jetzt bereiten sie sich im Camp auf den Dienstag vor, an dem sie Hunderte Mitstreiter bei einem „Aktionstag“ erwarten. Sie wollen wieder Richtung Lützerath und Tagebau laufen. Die Polizei sagt, sie sei vorbereitet.