Mülheim. Hohe Energiekosten und gestiegene Materialpreise machen Mülheimer Betrieben zu schaffen. Mit welchen Perspektiven sie ins neue Jahr starten.
Mülheimer Betriebe ächzen unter den anhaltenden Belastungen von Inflationsspirale und Energiepreisschock. Die konjunkturelle Entwicklung fürs neue Jahr ist kaum zu prognostizieren. Wie stellen sich Unternehmen angesichts dessen auf?
Gerade mittelständische Unternehmen haben mit den Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftslage zu kämpfen. Die Rudolf Clauss GmbH mit Sitz an der Düsseldorfer Straße in Saarn ist ein Familienunternehmen in dritter Generation. 75 Mitarbeitende sorgen hier durch Galvanotechnik, also etwa durch Verzinken, Vernickeln, Eloxieren oder Versilbern, dafür, dass Teile, die im Fahrzeug- oder Flugzeugbau, bei der Windkraft sowie in der Medizin-, Elektro- und IT-Technik benötigt werden, beständig sind.
Mülheimer Galvanotechnik-Betrieb bekommt hohe Energiekosten immens zu spüren
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Diese Beschichtungsprozesse aber sind enorm energieintensiv. „Wir verbrauchen durchschnittlich im Jahr etwa 1,9 Gigawattstunden Gas und 1,8 Gigawattstunden Strom“, rechnet Irene Rauße, kaufmännische Leiterin der Rudolf Clauss GmbH, vor und verdeutlicht: „Gas nutzen wir nicht nur zum Heizen, sondern auch als Produktionsfaktor bei den Beschichtungsprozessen. Und Strom kann in der Galvanobranche nicht gespart werden, denn eine Reduzierung des Energieverbrauches bedeutet gleichzeitig eine Reduzierung der Produktion.“ Ihre Prognose: Trotz Deckelung des Gaspreises werden die Kosten immer noch beim mindestens Dreifachen der Vorjahreskosten liegen.
Zudem bekommt der Mittelständler mit mehr als 75-jähriger Firmengeschichte Preissteigerungen beim Material zu spüren: „Zum Ende des vergangenen Jahres stellten wir im Vergleich zu 2019 fest, dass wir einen Kostenanstieg von 90 Prozent im Bereich der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe haben, und registrierten etwa bei Nickel Preiserhöhungen bis zu 158 Prozent. Auch war Salzsäure, ein essenzieller Teil unserer Prozesschemie, zeitweise kaum zu kriegen. Auf die Lieferengpässe folgten Preiserhöhungen in Höhe von 40 Prozent.“ Einen Auftragsrückgang konnte die Rudolf Clauss GmbH bisher nicht verzeichnen. „Wir partizipierten bislang noch von Aufträgen, die die Industrie 2021 vergeben hatte“, so Rauße. Wie es 2023 weitergeht, sei ungewiss. „Wir hoffen auf den Nachholbedarf aus der Corona-Krise, sodass wir die derzeitigen Nachteile kompensiert bekommen.“
Maschinenbaubetrieb und Automatisierungsspezialist sehen bei Material höhere Preise
Mit dem Auftragsbestand leicht über dem Vorjahr liegt nach eigener Aussage die Georg Beyer GmbH in Styrum. Allerdings stellt Thomas Kretschmer, Geschäftsführer des mittelständischen Betriebs für Werkzeug- und Maschinenbau, fest, dass sich das monatliche Betriebsergebnis derzeit reduziert. „Uns entstehen zurzeit Zusatzkosten in Höhe von rund 3500 Euro, die wir nur auffangen können, indem wir Preise anheben.“ Aktuell stiegen die Preise für Dienstleistungen von Lieferanten, die seine Firma für die Produktion einkaufen muss, skizziert Kretschmer, dazu zählten besonders energieintensive Metallbehandlungen wie Härterei und Wärmebehandlung. Auch die Kosten für Material und Stahl lägen aktuell deutlich höher als noch vor einem Jahr, so der Georg-Beyer-Chef.
Ähnliche Erfahrungen macht man bei der Turck-Gruppe. „Wir sehen noch immer bei vielen Komponenten und Rohmaterialien ein signifikant erhöhtes Preisniveau, die extremen Ausschläge der letzten zwei Jahre sind aber kleiner geworden“, schildert Christian Wolf, Geschäftsführer des Automatisierungsspezialisten. Mit Blick auf die Energiekosten sagt Wolf: „Eine direkte Abhängigkeit von Gas besteht bei der Turck-Gruppe nur bei der Gebäudeheizung. An keinem Standort ist Gas für den Betrieb von Produktionsanlagen erforderlich, diese werden elektrisch betrieben.“ Beim Strom könne das global operierende Unternehmen im gerade gestarteten Jahr noch von mehrjährigen Rahmenverträgen profitieren und „sei vor unangenehmen Überraschungen sicher“.
Konzerne in Mülheim wie Siemens und Mannesmann Grobblech sehen sich gewappnet
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Auch bei Siemens Energy, wo im Mülheimer Hafen Turbinen und Generatoren gefertigt werden, machen sich Kostensprünge bemerkbar. „Mülheim ist Teil unseres globalen Produktions- und Servicenetzwerks und merkt damit wie alle Standorte die Auswirkungen der gestiegenen Rohstoffpreise, konnte aber die Herausforderungen gut bewältigen, etwa durch die Sicherung größerer Bauteil-Bestände“, schildert eine Sprecherin von Siemens Energy.
„Wir setzen seit jeher auf eine energieeffiziente Produktion“, betont ein Konzernpressesprecher von Mannesmann Grobblech und ordnet mit Blick auf die Energiepreise ein: „Aktuell beobachten wir eine gewisse Normalisierung im Markt, könnten die Produktion aber auch situationsgerecht anpassen. Da wir mit unseren Produkten aber auch im internationalen Wettbewerb stehen, brauchen wir langfristig wettbewerbsfähige Energiepreise.“
Industrie- und Handelskammer spricht von erheblichen Unsicherheiten
Die Probleme der Mülheimer Unternehmen kennt auch die Industrie- und Handelskammer. Jan Borkenstein, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der für Mülheim zuständigen IHK, zeigt Unwägbarkeiten auf, mit denen sich die Betriebe konfrontiert sehen: „2023 starten wir mit erheblichen Unsicherheiten: Kommen die Energiepreisbremsen bei den Unternehmen an? Wird sich die Inflation weiter abflachen? Gelingt es den Unternehmen, ausreichend Fachkräfte zu finden?“
Prognosen seien vor diesem Hintergrund schwierig: „Die nächsten Wochen werden zeigen, wie stark die Betriebe dem Gegenwind trotzen können.“