Oberhausen. Die neue Führung der Industrie- und Handelskammer zu Essen hat sich hohe Ziele gesteckt. Auch die Oberhausener Betriebe sollen davon profitieren.

Das etwas angestaubte Image modernisieren, die Ausbildung in der Region fördern, den Kontakt zu den Betrieben vor Ort verbessern, das eigene Selbstbewusstsein stärken: Was viele ihrer Betriebe seit Jahrzehnten durchlaufen, erfasst nun auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Essen, Mülheim, Oberhausen – ein Strukturwandel. Nach dem altersbedingten Ausscheiden von Hauptgeschäftsführer Gerald Püchel und drei weiterer Geschäftsführerinnen ist die Spitze der Kammer nun deutlich jünger – und weiblicher. Seit Oktober leitet Kerstin Groß, 45, die Kammer als Hauptgeschäftsführerin. Im Gespräch mit der Redaktion reden sie und ihr Stellvertreter Jan Borkenstein, seit Dezember 2021 im Amt, über die wirtschaftlichen Herausforderungen für die IHK, für die Region – und für Oberhausen. Eine Übersicht.

IHK will sichtbarer werden

Kerstin Groß ist nach eigenen Angaben ohne definierten Auftrag in das Amt der Hauptgeschäftsführerin gestartet. Dennoch: „Jetzt kann es anders werden“, sagt die 45-Jährige. So möchte sie die IHK deutlich sichtbarer machen, die Kammer solle zur „Stimme der Wirtschaft“ werden. Nach außen soll die Kammer ausstrahlen, verlässlicher Ansprechpartner in sämtlichen Belangen der Wirtschaftsförderung zu sein. „Wir möchten unseren Betrieben eine Bühne bieten, auf der sie sich präsentieren können.“ Das sei nach über zwei Jahren Corona jetzt besonders wichtig. „Die Pandemie hat das Netzwerken nicht leichter gemacht.“

Verhältnis zu Betrieben verbessern

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Die Beziehung zwischen IHK und den Mitgliedsbetrieben hat offenbar in den vergangenen Jahren gelitten. Kerstin Groß nimmt sich vor, „freundlicher und bei Problemen immer ansprechbar zu sein.“ Die Kammer müsse sich offener aufstellen und die gemeinsame Stärke deutlicher nach außen tragen. Dass eine Vertrauensbasis vorhanden sei, habe auch die Corona-Krise gezeigt, sagt Jan Borkenstein. Rund 10.000 Anrufe seien in der schwierigen Zeit bei der IHK eingegangen, das Team habe Fragen zu Corona-Hilfen oder auch zu den strengen Regeln in den Betrieben beantwortet.

Corona-Krise und Ukraine-Krieg

Die Corona-Krise hat die Mitgliedsbetriebe der IHK ganz unterschiedlich getroffen. „Harte Einschnitte verzeichnen die Gastronomie und der Einzelhandel“, erklärt Groß. Hinzu kommen derzeit Lieferschwierigkeiten und deutliche Preissteigerungen bei Vorprodukten und Rohstoffen, die den Unternehmen zu schaffen machen – sie treffen Betriebe sämtlicher Branchen und Größenklassen in der MEO-Region. Und: „Wir wissen, dass sich die Lage mit Beginn des Ukraine-Krieges noch eklatant verschärft hat. Steigende Preise auf dem Energiemarkt fallen sofort ins Gewicht, andere Preiserhöhungen werden sich erst im Laufe der nächsten Wochen und Monate bemerkbar machen.“

Wasserstoff-Technologie: Nicht nur analysieren, sondern nun auch handeln

Mit dem Produktions- und Forschungs-Netzwerk „HydrOB“ plant Oberhausen, Standort der Wasserstoff-Technologie zu werden. „Es ist gut, dass Oberhausen sich auf den Weg macht“, bewertet Borkenstein die Initiative – und mahnt zugleich: „Es wurde bislang viel analysiert, aber jetzt muss die Umsetzung in den Fokus rücken.“ Kerstin Groß empfiehlt der Stadt, Entscheidungen schneller zu treffen. „Viele Ideen sind da, aber jetzt muss Oberhausen auch mal losgehen.“

Das Ruhrgebiet muss selbstbewusster werden

Nicht nur die IHK, auch das Ruhrgebiet muss aus Sicht von Kerstin Groß selbstbewusster werden. „Wir müssen diesen kollektiven Minderwertigkeitskomplex loswerden.“ Nach ihrer Beobachtung blicken die Menschen im Ruhrgebiet viel zu negativ auf die Region. Außenstehende hätten eine viel bessere Meinung als viele hier in der Region vermuten.

Innenstädte zu einseitig ausgerichtet

IHK-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Groß

Kerstin Groß ist seit Oktober die neue Hauptgeschäftsführerin der auch für Oberhausen zuständigen Industrie- und Handelskammer zu Essen. Die 45-Jährige hat Essener Wurzeln, lebt mit ihrer Familie aber mittlerweile in Wanne-Eickel. Nach dem Abitur studierte Groß Raumplanung in Dortmund und war zunächst für ein Logistik-Unternehmen tätig.

2011 wechselte sie zur IHK Mittleres Ruhrgebiet in Bochum. Zuletzt war die Mutter einer 14-jährigen Tochter dort stellvertretende Hauptgeschäftsführerin und unter anderem für die Themen Ausbildung, Weiterbildung, Personal und Organisation verantwortlich.

Kerstin Groß ist Ruhrgebiets-weit die erste Frau im Amt einer IHK-Hauptgeschäftsführerin, NRW-weit die zweite.

Die Innenstädte von Oberhausen, aber auch der gesamten Region haben aus IHK-Sicht ein großes Problem: ihre Mono-Ausrichtung. Das Leben und die Angebote in den Citys müssten vielfältiger werden. Sobald sich Chancen auftun, müsse man diese schneller und effektiver nutzen, als viele Städte es bislang täten, ist sich Kerstin Groß sicher.

Verkehrs-Infrastruktur ausbauen

„Das Thema ist nicht sexy, ich weiß“, sagt Kerstin Groß. „Aber wir müssen die Verkehrs-Infrastruktur stärken.“ Sie verweist auf die seit Dezember 2021 wirksame Sperrung der maroden Autobahnbrücke der A 45 bei Lüdenscheid. „So etwas kann überall passieren, wir müssen besser vorbeugen.“ Der Verkehr suche sich immer seinen Weg, was Anwohner der Region leidvoll zu spüren bekommen: Die Umleitungsstrecken sind völlig überlastet.

Bild der Industrie ins rechte Licht rücken

Die Deindustrialisierung hat das Ruhrgebiet, hat Oberhausen hart getroffen, viele Arbeitsplätze sind verloren gegangen. „Aber unsere Wirtschaft benötigt einen industriellen Kern“, ist Kerstin Groß überzeugt. Das verarbeitende Gewerbe bringe wichtige Jobs. Doch Neuansiedlungen sind sehr selten. In Oberhausen etwa gibt es keine einzige ausgewiesene Industriefläche mehr.