Mülheim. Ein Mülheimer möchte eine geflüchtete Mutter und ihren Sohn aufnehmen. Unerwartet landet er im Verwaltungschaos. Von wem schließlich Hilfe kam.
Der Pensionär Volker Sperlich wollte Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, helfen und meldete auf dem Portal #UnterkunftUkraine seine Bereitschaft zur Aufnahme von zwei Personen an. Dass seine Hilfsbereitschaft einen Wust an Bürokratie und Verwaltungschaos nach sich ziehen würde, konnte der Mülheimer zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Doch zurück zum Anfang: Im vergangenen Monat wurde Volker Sperlich auf sein Angebot hin mitgeteilt, dass er eine Mutter mit Kind aufnehmen könne. Am 18. Dezember empfing er Julija Posmitna (38) und ihren Sohn Cyryl am Mülheimer Hauptbahnhof. Der neunjährige Junge war schwer erkältet und hatte zudem Fieber, erinnert Sperlich sich zurück. Die beiden waren sechs Tage zuvor über Polen nach Niedersachsen gekommen, in Bramsche registriert und dann nach Gießen geschickt worden, um sich dort anzumelden. Von dort aus ging es in ein Hotel in Wetzlar – und dann schließlich zu Volker Sperlich nach Mülheim.
Mülheimer Pensionär bemüht sich um erforderliche Formalitäten
Der pensionierte Hochschulprofessor bemühte sich umgehend, die erforderlichen Formalitäten zu erledigen, füllte die diesbezüglichen Formulare auf den Internetseiten der Stadt gemeinsam mit seinen Gästen aus und schickte sie am 21. Dezember ab. Am nächsten Tag machten sich die drei auf den Weg zur Anlaufstelle an der Mintarder Straße, um sich registrieren zu lassen.
- Lesen Sie auch: Flucht nach Mülheim: 101-Jährige aus der Ukraine will zurück
Dann begannen die Probleme. „Als unser Ansprechpartner zur Verfügung stand, stellte er anhand der vorhandenen Papiere fest, dass die Registrierung nicht möglich ist, weil die Aufforderung bestand, sich beim Regierungspräsidenten in Gießen zu melden“, schildert Volker Sperlich. „Ich sollte die Gäste also nach Gießen zurückschicken, damit sie dort ein Quartier zugewiesen bekommen. Wir hatten uns aber bereits miteinander angefreundet, und in dem derzeitigen Zustand konnte ich es auch nicht verantworten, die beiden wieder wegzuschicken.“ Daraus resultierend fiel die Entscheidung, zunächst auf die offizielle Antwort der Ämter zu warten.
Für Aufenthaltung in Mülheim braucht es einen Antrag auf Umverteilung
Diese Antwort traf am 3. Januar ein. Darin hieß es, #UnterkunftUkraine sei eine private Organisation, die keine öffentlichen Zuweisungen oder Anlaufbescheinigungen ungültig werden lassen kann. „Aus diesem Grund werden sich Mutter und Kind weiterhin in Gießen melden müssen“, so die offizielle Mitteilung der Mülheimer Behörde. Dort könne dann ein Antrag auf Umverteilung nach Mülheim gestellt werden.
Volker Sperlich zeigt sich von „einer solch bürokratischen Antwort ohne ein Hilfsangebot“ überrascht, wandte sich daraufhin an den Regierungspräsidenten in Gießen und bat darum, die Umverteilung elektronisch vorzunehmen. „Kopien von Dokumenten hätte ich ja schicken können“, erläutert er seine Bemühungen, seinen Gästen die Reise nach Gießen zu ersparen. „Die sehr freundliche Dame im Vorzimmer bemühte sich, während ich wartete, um eine Lösung und teilte mir schließlich mit, dass man den Meldevorgang in Gießen stornieren wollte und dass damit einer Anmeldung in Mülheim nichts mehr im Wege stünde. Für Rückfragen seitens der Stadt Mülheim stehe sie gern zur Verfügung.“
Mülheimer Behörde muss Gesuch zunächst ablehnen
Hier hätte die Geschichte ein glückliches Ende finden können, doch als Volker Sperlich die neuen Informationen an die zuständige Mülheimer Behörde weiterleitete, erhielt er die Antwort, dass „die Anlaufbescheinigung nicht durch das Land Hessen, sondern durch das Land Niedersachsen erlassen wurde. Im Regelfall kann eine Rücknahme oder Widerruf eines Verwaltungsaktes nur durch die erlassende Behörde erfolgen. Solange kein Bescheid über die Rücknahme der Zuweisung oder über die Streichung einer Wohnsitzauflage vorliegt, kann keine Anmeldung vorgenommen werden.“ Eine telefonische Rückfrage brachte dann abschließend die Mutter aller Klischee-Antworten der deutschen Verwaltung: „Ich kann da nix machen, das ist so geregelt.“
Geflüchtete in Mülheim – mehr zum Thema:
- Flüchtlingsheim in Mülheim-Raadt: Anwohner haben Bedenken
- Flüchtlinge in Mülheim: So wappnet Stadt sich für Zustrom
- Was Anwohner übers Flüchtlingsheim in Mülheim-Raadt denken
„Diesmal meinte der Mitarbeiter noch, die Flüchtlinge sollten sich mit Niedersachsen in Verbindung setzen und die Angelegenheit selbst regeln. Sie wüssten doch auch, dass sie sich in Gießen hätten melden müssen“, erinnert sich Volker Sperlich mit ziemlichem Unverständnis. So nahm er den Vorfall zum Anlass, sich mit der Bitte um eine Lösung direkt an den Oberbürgermeister zu wenden. „Ich denke, so kann man mit hilflosen Menschen nicht umgehen, aber vielleicht können Sie, sehr geehrter Herr Buchholz, den bürokratischen Knoten durchschlagen?“
Nur wenig später meldete sich Kerstin Kunadt, die Leiterin des Mülheimer Ordnungsamtes persönlich bei Volker Sperlich und sagte ihm zu, sich der Sache anzunehmen. „Aufgrund der vielen involvierten Stellen und Verantwortlichkeiten sei das Ganze verwaltungstechnisch nicht einfach zu lösen“, so Kunadt. Dennoch sagte die Leiterin des Ordnungsamtes einen Lösungsvorschlag im Laufe der kommenden Tage zu.