Mülheim. Den Jugendlichen ging es in der Pandemie zum Teil „unterirdisch schlecht“. Wie die Stadt mit den Erkenntnissen aus einer Mülheimer Studie umgeht.

Fast ein Drittel der Mülheimer Kinder und Jugendlichen sind schlecht durch die Coronazeit gekommen. Das belegt eine Studie, die auf einer Befragung von knapp 1000 Schülern und Schülerinnen fußt. „Wenn wir uns nicht kümmern, wird es deutlich mehr junge Menschen mit massiven psychischen Problemen bis ins Erwachsenenalter geben“, warnt Prof. Christian Reintjes, Autor der Studie. Mit seinen Erkenntnissen beschäftigte sich jüngst der Mülheimer Bildungsausschuss – und versprach, zu reagieren.

So werde in der Verwaltung über den „Open Sunday“ nachgedacht, so Bildungsdezernent David Lüngen. Ein Konzept, das in Osnabrück, wo Reintjes Schulpädagogik lehrt und schon früh eine erste Corona-Studie durchgeführt hat, erfolgreich läuft: An Sonntagen sind dort die Sportvereine für alle Kinder und Jugendlichen geöffnet. Ohne Kosten können sie ausprobieren, was ihnen gefällt, Kontakte knüpfen, sich vielleicht anmelden. Osnabrücker Studierende stehen ihnen zur Seite – in Mülheim kämen dafür Studierende der Uni Duisburg-Essen in Betracht, so Reintjes. Laut Lüngen hat die Verwaltung zwischenzeitlich Kontakt zur Hochschule der Nachbarstadt aufgenommen. Und das Konzept im Lenkungskreis Sport thematisiert.

„Hoffentlich haben wir alle gelernt, dass Schließungen nur das letzte Mittel sein dürfen“

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Seine Forschung hat Trauriges ans Licht geholt: „Den Jugendlichen ging es in der Pandemie zum Teil unterirdisch schlecht.“ Gerade aus den weiterführenden Schulen erhielten der Bildungsexperte und seine Mitstreiter die Rückmeldung, „dass sich Schüler häufiger krank fühlten, dass sie müde und schlapp waren, Kopf- oder Bauchschmerzen hatten“. Dass Schulschließungen, Isolation und Quarantäne die jungen Menschen massiv belastet haben, steht heute außer Frage, so Ausschussmitglied Heiko Hendriks (CDU): „Hoffentlich haben wir alle gemeinsam gelernt, dass Schließungen nur das allerletzte Mittel sein dürfen.“

Leider sei es mitnichten so, dass die Sache nun – nach Wiedereröffnung – ein Selbstläufer sei, so Reintjes: „Die Schüler können das nicht allein verarbeiten.“ Mathias Kocks (SPD), stellvertretender Leiter der Willy-Brandt-Schule, erlebt tagtäglich Jugendliche „mit einer anderen Einstellung zu Leistungsbereitschaft, einem anderen Umgang mit Akzeptanz von Regeln, einem anderen sozialen Verhalten als früher“. Der Unterricht gehe heute „wieder stark in Richtung Erziehung und Unterstützung“. Die Lehrkräfte bräuchten daher selbst mehr Aufmerksamkeit.

Reintjes: Mit einem mehrsprachigen Fragebogen hätten wir noch mehr Kinder erreicht

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Reintjes betonte erneut: „Schule ist kritische Infrastruktur. Wir brauchen sie für die kognitive und psycho-soziale Entwicklung der jungen Menschen.“ Leider habe es bei der Umfrage nahezu keine Rückmeldungen aus der Hauptschule gegeben, wohl auch, weil die Fragen nur auf Deutsch vorlagen. „Andernfalls hätten wir ein differenzierteres Bild erhalten – und das Ergebnis wäre wohl noch auffälliger gewesen. . .“ Er setzt nun auf Politik und Verwaltung: „Auf städtischer Ebene muss sich dringend etwas entwickeln. Die Situation wird nicht besser, wenn man die Augen verschließt.“