Mülheim. Apotheken in Mülheim schlagen Alarm: Für fiebernde Kinder gibt es kaum Medikamente, Eltern verzweifeln. Einige Apotheken produzieren nun selbst.

Etliche Kinder sind krank und fiebern. Die Suche nach lindernden Medikamenten setzt Mülheimer Eltern zusätzlich unter Stress. Viele fahren eine Apotheke nach der anderen ab – vergeblich. Fiebersenkende Säfte oder Zäpfchen sind fast überall ausverkauft. Eng war es schon im Frühsommer – angeblich wegen der Erkältungswelle im Winter 2021/22. Jetzt sind die Regale leer.

„Ich finde es schockierend, was da gerade passiert“, sagt Jessica Küpper-Schmid, Inhaberin der Apotheke auf der Saarner Kuppe und selber dreifache Mutter. „Für die Kleinsten bekomme ich momentan gar nichts mehr, weder Paracetamol-Saft noch -Zäpfchen.“ Größeren Kindern könne man notfalls zerkleinerte Tabletten geben, doch auch das nur unter Schwierigkeiten. „Die Kinder sind krank, nölig, und wenn sie Tabletten einnehmen müssen, erbrechen sich manche, obwohl sie eh schon so geschwächt sind“, so die Apothekerin.

Mülheimer Apothekerin: „Im Moment rotieren wir ohne Ende“

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Engpässe stellt sie auch bei „Hunderten anderer Medikamente“ fest und zählt einige auf: Insulin, Penicillin, auch bestimmte Herz- oder Blutdruckpräparate seien kaum noch zu bekommen, mithin Menschen aller Generationen betroffen, so Jessica Küpper-Schmid. Und da die Ibuprofen-Kindersäfte alle weg seien, kaufen viele Eltern ersatzweise Ibu-Tabletten in kleiner Dosierung. „Im Moment rotieren wir ohne Ende“, sagt die Apothekerin von der Saarner Kuppe. „Wir frickeln an jedem zweiten Rezept herum, telefonieren wie verrückt mit Arztpraxen. Oft laufen mehrere Warteschleifen gleichzeitig.“

„Die Situation ist angespannt, teilweise besorgniserregend“, bestätigt Peter Lamberti, Inhaber der Phönix-Apotheke in Styrum und zugleich Sprecher der Mülheimer Apotheken. Er fügt hinzu: „Ich möchte aber auch keine Panik verbreiten.“

Bestimmte Antibiotika sind derzeit nicht lieferbar

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Am schwierigsten sei es momentan bei Paracetamol- oder Ibuprofen-haltigen Säften und Zäpfchen. „Die haben wir seit Ewigkeiten nicht bekommen“, so der Apotheker, „und wenn, dann zwei Flaschen. Das ist ein Witz. Eltern können gar nicht glauben, dass es so ein Centprodukt in Deutschland nicht mehr gibt.“

Gleiches gelte für Fieberzäpfchen, die nicht mehr lieferbar seien, und teilweise auch für Antibiotika, etwa Penicillin. Früher habe man vielleicht eine bestimmte Stärke, Packungsgröße oder Produkte eines bestimmten Herstellers nicht bekommen, konnte aber noch ausweichen oder umrechnen, so Lamberti. „Diese Möglichkeit bietet sich jetzt bei vielen Präparaten nicht mehr. Dann müssen wir Rücksprache halten mit der Arztpraxis, wo natürlich auch Stress herrscht.“

Mülheimer Kinderärzte verschreiben Tabletten statt Fiebersaft

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Um den Notstand bei manchen Medikamenten, etwa fiebersenkenden Säften, wissen auch die Kinderärzte, die gerade in völlig überlaufenen Praxen stehen. So berichtet Dr. Olaf Kaiser, Mülheimer Obmann im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ): „Wir sind schon umgestiegen auf leicht lösliche Tabletten gegen Fieber, die den Kindern mit etwas Flüssigkeit gegeben werden können.“ Fieberzäpfchen bis zum Alter von etwa 18 Monaten seien aktuell noch lieferbar, so der Kinderarzt.

„Schwieriger ist der Mangel an antibiotischen Präparaten.“ Nicht alle Medikamente seien hier vorrätig, so dass die Ärzte bei der Verordnung manchmal vom üblichen Präparat abweichen müssten.

Engpässe zeichneten sich schon vor Monaten ab – Gründe sind vielschichtig

Einige Mittel sind schon seit längerer Zeit knapp, nun fällt der Mangel mit einer heftigen Infektionswelle zusammen. Die Engpässe hätten sich bereits vor Monaten abgezeichnet, sagt Apothekersprecher Peter Lamberti, „doch ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm wird“. Die Gründe seien vielschichtig, „jeder Hersteller erzählt etwas anderes, wenn überhaupt“.

Jessica Küpper-Schmid führt die Apotheke auf der Saarner Kuppe in Mülheim. Dort wurden schon Fieberzäpfchen selber hergestellt - jedoch nur für Notfälle.
Jessica Küpper-Schmid führt die Apotheke auf der Saarner Kuppe in Mülheim. Dort wurden schon Fieberzäpfchen selber hergestellt - jedoch nur für Notfälle. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Zum einen seien Lieferketten durch die Null-Covid-Strategie in China unterbrochen worden. Es kam zu geschlossenen Produktionsstätten und Häfen. Zum anderen spiele der Ukraine-Krieg eine Rolle, vermutet Lamberti, „denn etliche Verpackungsmaterialien haben wir von dort bekommen“. Und: Für einige Wirkstoffe gebe es nur noch wenige Hersteller – bedingt durch die Preispolitik der Krankenkassen.

„Alle drehen nur noch an der Preisschraube“

Ähnlich sieht es die Saarner Apothekerin Jessica Küpper-Schmid, die ein Zusammenwirken verschiedener Probleme vermutet. Teils hätten Produkte in Häfen festgelegen, teils fehlten auch nur Beipackzettel oder Verpackungen, ohne die Medikamente nicht auf den deutschen Markt gebracht werden dürfen. Sie kritisiert aber auch, dass „alle nur noch an der Preisschraube drehen“. So hätten sich ganze Zweige der Pharmaindustrie aus dem Geschäft mit Paracetamol-Saft zurückgezogen, „weil es sich für sie nicht mehr lohnt“.

Über soziale Medien tauschen Eltern Tipps aus, welche Apotheke vielleicht noch Saft oder Zäpfchen verkauft, einige bieten eigene Restbestände zum Abholen an. In einer Mülheimer Facebookgruppe wurde kürzlich das TikTok-Video einer Essener Apotheke geteilt, in dem vorgeführt wird, wie man Ibuprofen-Granulat in Apfelmus rührt – als kindgerechte Alternative zum Fiebersaft. Auch die Eigenwerbung einer niederrheinischen Apotheke kursiert dort, die Fieber- und Schmerzzäpfchen selber gießt und anbietet.

Mülheimer Apotheken stellen Säfte oder Zäpfchen schon selber her

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Mülheimer Berufskolleginnen und -kollegen werden angesichts der Versorgungslücken ebenfalls aktiv. So berichtet Peter Lamberti, er habe in seiner Apotheke schon fiebersenkende Säfte selber hergestellt. Doch dieses seien deutlich teurer als Medikamente aus der Massenproduktion und müssten privat bezahlt werden.

Auch in der Apotheke von Jessica Küpper-Schmid wurden im kleinen Umfang Fieberzäpfchen produziert. Ibu-Saft könne ebenfalls hergestellt werden, jedoch keinesfalls in Massenproduktion, betont die Apothekerin, damit nicht Eltern in falscher Hoffnung ihr Geschäft stürmen. „Das ist wirklich nur für Notfälle gedacht, für Familien mit kranken Kindern, die gar nichts mehr zu Hause haben.“ Das Ganze stehe überdies „auf tönernen Füßen“, denn der Arzt müsse dann eine bestimmte Rezeptur verordnen, kein fertiges Präparat aufschreiben.

Und wenn man es einfach mit Hausmitteln versucht? Eigentlich sei sie sehr dafür, sagt Jessica Küpper-Schmid. „Wadenwickel kann man probieren. Aber wenn meine Kinder hohes Fieber haben, bekommen sie ganz schlimme Kopfschmerzen.“ Dagegen helfen Säfte oder Zäpfchen, wenn man sie hat.