Mülheim. Neubauprojekte werden geschoben, Hausverkäufe dauern wieder deutlich länger. Was Experten allen raten, die ein Haus kaufen oder verkaufen wollen.

Sind die fetten Boom-Jahre endgültig vorbei? Inflation, steigende Energiepreise und Bauzinsen, eine unübersichtliche Weltlage – was bedeutet das alles für den Immobilienmarkt? Wenn man dem Makler-Portal Immowelt glauben darf, findet die Trendumkehr bereits statt. Einer Marktanalyse zufolge sinken oder stagnieren die Preise aktuell in zehn von vierzehn Großstädten. Besonders stark (-5 Prozent) gehen die Preise in Frankfurt am Main zurück. Für das Ruhrgebiet wurden Dortmund (-1 Prozent) und Essen (0 Prozent) ausgewertet. Aber wie sieht es auf dem Mülheimer Immobilienmarkt aus? Wer sollte jetzt verkaufen, worüber dürfen sich Käufer freuen und was ist vielleicht sogar gut an der ganzen Situation?

„Der Bauzins hat sich innerhalb eines Jahres vervierfacht. Das erlebt man auch nicht sehr oft“, sagt Christian Hechler, Leiter des Immobilien-Service der Sparkasse Mülheim. Gleichzeitig erinnert er daran, wie hyperaktiv der Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren war. „Wir haben Objekte innerhalb von Stunden verkauft, oft direkt vom Schreibtisch. Wenn jetzt eine gewisse Beruhigung eintritt, ist das nicht unbedingt schlecht.“

Immobilienkauf in Mülheim: Oft eine Frage von Stunden

Luftbild eines der großen Mülheimer Neubau-Projekte in diesem Jahr: Die Neubau-Siedlung auf dem alten Rumbaum-Gelände in Selbeck.
Luftbild eines der großen Mülheimer Neubau-Projekte in diesem Jahr: Die Neubau-Siedlung auf dem alten Rumbaum-Gelände in Selbeck. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Ähnlich sieht es Jens Hartmann, Makler aus Mülheim. „Man hatte früher als Käufer gar keine Zeit, sich Gedanken über seine Entscheidung zu machen. Ich hatte oft 200 bis 300 Anfragen pro Objekt.“ Beide Experten stellen schon jetzt fest, dass sich das Käuferverhalten ändert. „Bei Anlageobjekten werden inzwischen Angebote gemacht, die zum Teil 30 Prozent unter dem Angebotspreis liegen und die werden angenommen“, berichtet Hartmann. Das sei vor einem Jahr noch undenkbar gewesen.

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Auch Christian Hechler hat ein konkretes Beispiel dafür, wie sich der Markt verlangsamt. „Im November 2021 haben wir innerhalb von sechs Wochen neun Eigentumswohnungen am Broicher Feld verkauft. Jetzt haben wir zwölf Eigentumswohnungen mit dem gleichen Standard an der Barbarastraße und in der gleichen Zeit nicht einmal die Hälfte vermarktet. Die Durchlaufzeit habe sich von wenigen Stunden bis Tagen auf etwa vier bis sechs Monate verlängert. Dennoch betont Hechler, dass es sich nur um eine Marktberuhigung handelt. „Da platzt jetzt keine Blase.“ Preislich geht auch er von einer Stagnation und eventuell leicht sinkenden Preisen aus.

Neubauprojekte sind aktuell weniger gefragt

Für die Zukunft hat er eine überraschende Prognose: Er glaubt, dass das sanierungsbedürftige, energetisch veraltete Eigenheim in Zukunft stärker gefragt sein wird. „Leute, die eigenkapitalstark sind und viel selber machen können, werden sich im Paradies wiederfinden.“ Der Grund: Kaum jemand lasse sich aktuell aus Angst vor Lieferengpässen und Kostenexplosionen auf Neubauprojekte ein. „Das betrifft auch große Bauprojekte, weshalb man in Zukunft möglicherweise wieder besser an Handwerker kommt. Die haben nämlich jetzt Ausfälle“, schätzt Hechler.

Neubauprojekte sind derzeit kaum planbar. Baumaterialien sind nicht lieferbar und Kosten werden unkalkulierbar. Privatleute wählen daher laut Experten lieber den sanierungsbedürftigen Altbau. Großprojekte liegen zum Teil auf Eis.
Neubauprojekte sind derzeit kaum planbar. Baumaterialien sind nicht lieferbar und Kosten werden unkalkulierbar. Privatleute wählen daher laut Experten lieber den sanierungsbedürftigen Altbau. Großprojekte liegen zum Teil auf Eis. © dpa | Soeren Stache

Viele große Neubauprojekte würden derzeit geschoben. So steht jetzt schon fest, dass ein Neubauvorhaben am Schildberg in Dümpten im kommenden Jahr erst sechs Monate später an den Start geht. Makler Jens Hartmann stimmt dieser Einschätzung zu, speziell was die erschwerte Planbarkeit von Neubauvorhaben anbelangt. „Wenn man ein altes Haus renoviert und die neuen Fenster kommen später, sind immerhin schon mal Fenster drin. Das sieht beim Neubauprojekt anders aus.“

Wann ist der richtige Moment für den Hausverkauf?

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Bleibt die Frage: Sollte man jetzt kaufen beziehungsweise verkaufen oder lieber noch warten? Christian Hechler argumentiert aus Käufersicht und fragt rein rhetorisch: „Worauf? Sinkende Preise sehe ich 2023 nicht. Wer sich zu Beginn dieses Jahres ein 500.000-Objekt leisten konnte, leistet sich jetzt mit der Inflation und den steigenden Energiekosten ein Objekt für 350.000 Euro.“ Neben der Preisentwicklung sieht er aber noch einen weiteren Aspekt, den er seinen eigenen Kunden stets mit an die Hand gibt: „Wer zum ersten Mal ein Eigenheim kauft, kann sich den Kaufpreis bis Mitte 2023 noch mit maximal zwei Prozent von der NRW-Bank bezuschussen lassen.“ Jens Hartmann rät deshalb auch Verkäufern: „Wenn ich darüber nachdenken würde, in ein bis zwei Jahren zu verkaufen, würde ich es jetzt machen.“

Apropos Prozente, wie schätzen die Experten die Entwicklung der Bauzinsen ein? „Die Zinsen werden sich auf drei bis vier Prozent einpendeln. Das geht nie mehr auf ein Prozent zurück“, tippt der Experte von der Sparkasse. Jens Hartmann sagt: „Das hängt von der Europäischen Zentralbank ab. Wenn die eingreift, sind auch wieder sinkende Zinsen möglich.“