Mülheim. Die Bodenrichtwerte in Mülheim sind 2022 zum Teil stark gestiegen, der Hebesatz B ist kaum zu toppen: Was die Reform für Grundbesitzer bedeutet.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 geurteilt: Die Bewertung von Grundstücken anhand des bis dato gültigen Einheitswerts ist verfassungswidrig. 2019 wurde deswegen ein Grundsteuer-Reformgesetz auf den Weg gebracht. Die Folge: Die zu entrichtende Grundsteuer muss neu berechnet werden. Damit verbunden war und ist ein enormer bürokratischer Aufwand, was auch damit zu tun hat, dass die deutschen Finanzämter die Gelegenheit zur Digitalisierung ihrer Daten nutzen – es sind allerdings die Grundbesitzer, die das Einpflegen der Daten zu übernehmen haben.

Reform soll keine Mehreinnahmen produzieren, sondern Gerechtigkeit schaffen

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Mit der Grundsteuerreform verlieren die Einheitswerte, die im Westen auf das Jahr 1964, im Osten gar auf 1935 datieren, ihre Funktion. Was jedes Grundstück also wirklich wert ist, wird aktuell neu berechnet. Dass nach einer Aktualisierungspause von rund 60 Jahren manche Eigentümer mit unerfreulichen Neubewertungen rechnen müssen, ist klar. Wichtig ist aber zu betonen: Die Reform soll erklärtermaßen nicht zu Mehreinnahmen der Kommunen führen. Die Steuerlast solle allerdings fairer verteilt werden: Die einen zahlen mehr als vorher, die anderen weniger. So weit der Plan.

So wird die Grundsteuer berechnet

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Die Grundsteuer wird anhand dreier Werte berechnet:

Einheitswert (jetzt: neuer Grundsteuerwert) x Steuermesszahl x Hebesatz B = Grundsteuer.

Die Steuermesszahl bezieht sich darauf, ob und wie ein Grundstück bebaut ist. Als bundesweit einheitliche Zahl ist sie nicht sehr aussagekräftig. Anders sieht es für Grundsteuerwert und Hebesatz aus:

Die Berechnung des neuen Grundsteuerwerts richtet sich unter anderem nach den aktuellen Bodenrichtwerten, die die Kommunen meist Straße für Straße festlegen. Sie sollen die aktuelle Marktlage widerspiegeln.

Die Hebesätze schließlich sind völlig entkoppelt von Marktlage und Gutachterbeschluss. Sie werden von den Kommunen selbst festgelegt und rangieren ungefähr zwischen 200 und 1000 Prozent. Im ostwestfälischen Harsewinkel liegt der Wert bei 260, in Witten bei 910 Prozent. Das heißt: Die Harsewinklerin multipliziert ihren Steuermessbetrag (Grundsteuerwert x Steuermesszahl) also mit dem Faktor 2,6, der Wittener mit 9,1.

Mülheimer Hebesatz im Spitzenfeld

Klamme Gemeinden neigen zu hohen Hebesätzen. Es ist deswegen nicht überraschend, Mülheim mit einem Wert von 890 unter den Spitzenreitern wiederzufinden. Nur eine Handvoll Kommunen haben in NRW einen noch höheren Satz beschlossen. Hier zum Vergleich unsere Nachbarn: In Duisburg sind es 855, in Oberhausen und Essen 670 und in Ratingen 400 Prozent.

Wer alle Unterlagen früh abgeschickt hat, erhält in diesen Tagen den Bescheid über den neuen Steuermessbetrag mit der Post. Das betrifft aber nur wenige, denn die meisten Grundbesitzer wollten oder konnten nicht so schnell reagieren. Zu ihnen zählt auch Michael Hülser (64), dem ein Haus auf der Heimaterde gehört.

Bodenrichtwerte in Mülheim innerhalb eines Jahres zum Teil um 20 Prozent gestiegen

Dem Heißener vergeht bereits im Vorfeld die Lust, seine Daten in das berühmt-berüchtigte ELSTER-System der Finanzämter einzugeben. Denn die Bodenrichtwerte in Mülheim würden, wie er in einer E-Mail an unsere Redaktion schreibt, „jetzt schnell noch nach oben gesteuert, denn es gibt für die Steigerung von 2021 nach 2022 keine andere vernünftige Erklärung als die anstehende Grundsteueranpassung“.

Die Siedlung Heimaterde in Mülheim-Heißen: Hier werden viele Eigentümer sanierter Altbauten mit einer erhöhten Grundsteuer rechnen müssen.
Die Siedlung Heimaterde in Mülheim-Heißen: Hier werden viele Eigentümer sanierter Altbauten mit einer erhöhten Grundsteuer rechnen müssen. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Tatsächlich sind bei den Bodenrichtwerten, zum Beispiel in der Straße Neulens Höhe in Heißen, in der Alstadener Straße in Styrum oder im Krähenbüschken in Broich von 2021 zu 2022 auffällige Sprünge von rund 20 Prozent zu erkennen. In den Jahren zuvor wurde der Wert zwar regelmäßig, aber stets nur um die 10 Prozent angehoben.

Wie die Bodenrichtwerte in Mülheim zustande kommen

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Matthias Lincke vom Mülheimer Amt für Digitalisierung, Geodaten und IT verweist auf Anfrage auf den unabhängigen Gutachterausschuss und versichert: „Somit kann die Kommune keinen Einfluss auf die Höhe der Bodenrichtwerte nehmen!“ Zur Erklärung der jüngsten Wertsprünge wird auf die dynamische Marktlage verwiesen. Zur Arbeitsweise des Ausschusses erklärt Lincke: „Seine Kenntnisse über den örtlichen Grundstücksmarkt bezieht der Gutachterausschuss insbesondere aus den Grundstückskaufverträgen, die ihm gemäß § 195 (1) BauGB von den Notaren in Kopie vorgelegt werden.“

Wohnbebauung in Mülheimer Toplage zwischen Leinpfad und Mendener Straße. Die Höhe der Grundsteuer bemisst sich anhand zahlreicher Faktoren, von denen die Lage nur einer ist.
Wohnbebauung in Mülheimer Toplage zwischen Leinpfad und Mendener Straße. Die Höhe der Grundsteuer bemisst sich anhand zahlreicher Faktoren, von denen die Lage nur einer ist. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die zukünftige Hebesatz-Entwicklung in Mülheim

Beim Hebesatz sieht es wie schon erwähnt anders aus. Die schlechte Nachricht für Mülheimer Grundbesitzer lautet: Der Wert ist extrem hoch. Das muss aber nicht so bleiben. Erwägt die Stadt, die Hebesätze bis 2025 eventuell noch abzusenken? Dazu lässt der Stadtkämmerer Frank Mendack ausrichten, er sehe „aktuell keine Möglichkeit, den politischen Gremien eine Senkung der Grundsteuer vorzuschlagen“. Die sei zur Schuldenkonsolidierung erstens entscheidend und zweitens gäbe die aktuelle Krisenlage wenig Anlass zu haushaltspolitischem Optimismus.

Grundsteuerrechner im Internet liefern Anhaltspunkte zur Neuberechnung

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Unabhängig davon kommen besonders auf Besitzer von sanierten Altbauten im Zuge der Grundsteuerreform Mehrkosten zu. „Viele Leute werden da gar nicht mit rechnen“, vermutet Michael Hülser, der mit seinem Einfamilienhaus von 1933 selbst zu den Betroffenen zählt.

Weil er nun doch wissen wollte, was ungefähr auf ihn zukommt, hat er einen im Internet frei nutzbaren Grundsteuerrechner genutzt. Das Ergebnis: 530 Euro hat er bisher pro Jahr gezahlt, 788 Euro sollen es zukünftig sein. „Bin ich mal gespannt, ob das am Ende auch dabei herauskommt“, sagt Hülser, der zwar nicht begeistert ist, aber Schlimmeres befürchtet hatte.