Mülheim. „Die Energiekosten gehen durch die Decke“: Welchen Kurs die Mülheimer Bäckerei Hemmerle jetzt einschlägt, und worauf Kunden gefasst sein müssen.

Morgens um 10 Uhr herrscht in der Backstube der Bäckerei Hemmerle geschäftiges Treiben. Während draußen der Sommer ein kleines Comeback feiert, stehen drinnen die Zeichen bereits auf Weihnachten: Es duftet nach Spekulatius, der gerade Blech für Blech aus dem Ofen geholt wird. Mitarbeiter sind damit beschäftigt, bereits ausgekühlte Ware für den Verkauf zu verpacken.

Für manch einen schwer nachvollziehbar, aber Ende Oktober scheint Weihnachtsgebäck bereits nachgefragt zu werden. Daneben wird auch schon das Standardsortiment für den nächsten Tag vorbereitet.

Für manch einen kann es gar nicht früh genug losgehen. Bei der Bäckerei Hemmerle aus Mülheim wird deshalb bereits Spekulatius gebacken.
Für manch einen kann es gar nicht früh genug losgehen. Bei der Bäckerei Hemmerle aus Mülheim wird deshalb bereits Spekulatius gebacken. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Mülheimer Backstube verbraucht mehr Energie zum Kühlen als zum Backen

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Peter Hemmerle, der den Betrieb gemeinsam mit seinem Bruder Bernd in dritter Generation führt, zeigt auf die wohnzimmergroßen Kühlräume: „Die laufen 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr.“ Es sind immense Energiefresser. Das Gros der Energiekosten rührt von der Kühlung, nicht von den Öfen her. Womit wir beim Thema wären: Wie reagiert die energieintensive Großbäckerei eigentlich auf die extremen Kostensprünge?

Dazu haben wir uns mit Peter Hemmerle verabredet. Er ist im Familienbetrieb der Mann für die Zahlen; Bruder Bernd Hemmerle leitet die Produktion. Dass die Bäckerei eher unter den Strom- als unter den Gaskosten leidet, mag überraschen: „Die Energiekosten gehen durch die Decke. Drei Viertel entfallen dabei für Strom, ein Viertel für Gas“, erklärt Peter Hemmerle.

Weniger Nachtschichten sollen Bäckerberuf attraktiver machen

Bevor das Brot in den Gasöfen gebacken wird, landen die Teiglinge nämlich erst einmal in der Kühlung. „Langzeitführung“ nennt das der Fachmann. Das mache die Backwaren bekömmlicher.

Produktionsleiter Bernd Hemmerle stellt den großen Gasofen der Bäckerei Hemmerle in Mülheim ein.
Produktionsleiter Bernd Hemmerle stellt den großen Gasofen der Bäckerei Hemmerle in Mülheim ein. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Es gibt aber noch einen anderen Hintergrund: Wenn länger gekühlt wird, muss nachts weniger gebacken werden. Es geht also auch darum, den Mitarbeitern bei den Arbeitszeiten entgegenzukommen. Denn das Backhandwerk leidet extrem unter Personalmangel.

Mülheimer Betrieb rechnet mit Verdreifachung der Stromkosten

Und aus einem weiteren Grund sind es eher die Strom- als die Gaspreise, die Hemmerle Sorgen machen: „Unsere Gasverträge laufen zum Glück noch bis Ende 2023, die Stromverträge dagegen laufen dieses Jahr aus. Ich bin momentan fast täglich in Gesprächen mit Versorgern.“ Bislang offenbar ohne Erfolg.

Hemmerle rechnet vor, mit welchen Kostensprüngen er zum Jahresende rechnet: „Bislang haben wir 320.000 Euro im Jahr für Strom bezahlt. 2023 rechnen wir mit ungefähr einer Million.“

Bernd (li.) und Peter Hemmerle aus Mülheim beim Qualitätscheck. Auch der Energiebedarf der großen Teigrührmaschinen ist nicht zu unterschätzen.
Bernd (li.) und Peter Hemmerle aus Mülheim beim Qualitätscheck. Auch der Energiebedarf der großen Teigrührmaschinen ist nicht zu unterschätzen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Mitarbeiter bekommen zum Jahresende Lohnerhöhung

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Und das ist noch nichts alles: Auch die Rohstoffpreise seien in diesem Jahr um 40 bis 50 Prozent gestiegen und eine Lohnerhöhung für die Mitarbeiter stände im Januar auch noch an. Mit dem jüngst auf 12 Euro gestiegenen Mindestlohn hat das aber nichts zu tun: „Wir bezahlen schon jetzt über Tarif. Die Lohnerhöhung muss kommen, damit unsere Mitarbeiter auch weiter über die Runden kommen.“

Hemmerle will in der Krise nicht auch noch Mitarbeiter verlieren und hofft, dass das von Finanzminister Linder entworfene Inflationsentlastungsgesetz ihm wenigstens einen Teil der Kostenlast abnehmen wird.

Mülheimer müssen vorerst keine Preiserhöhungen fürchten

2023 wird für die Firma Hemmerle kein leichtes Jahr, so viel dürfte klar sein. Müssen sich Kunden jetzt nicht auf Preiserhöhungen gefasst machen? Hemmerle verneint, will sich aber auch nicht ganz festlegen: „Die Lage ist unübersichtlich, zumindest dieses Jahr wollen wir die Preise aber nicht erhöhen. Und wenn, dann überlegen wir uns das sehr gut. Schließlich wollen wir auch nicht den Discountern in die Karten spielen. Die Frage lautet: Inwieweit können wir dem Kunden Preiserhöhungen überhaupt zumuten?“

Eine Preiserhöhung von ca. fünf Prozent hat es zuletzt im April gegeben.

Verlässlichkeit ausstrahlen: keine verkürzten Öffnungszeiten

Von angepassten Öffnungszeiten oder gar Filialschließungen will Hemmerle nichts wissen: „Unsere Kunden müssen sich darauf verlassen können, dass es in ihrer Filiale von morgens um 6.30 Uhr bis abends um 18 Uhr Brötchen gibt.“ Das klingt nachvollziehbar: In schwierigen Zeiten will man weder Mitarbeiter noch Kunden verlieren. Stellt sich nur die Frage: Wie will man dann die Kosten auffangen? Etwa durch Energiesparmaßnahmen?

Ein bisschen Spielraum gäbe es da zwar noch. Hemmerle rechnet mit ungefähr 10 Prozent. Die von der Gaspreiskommission anvisierten 30 Prozent seien aber „absolut illusorisch“. Man arbeite schon jetzt energieeffizient. „Ein Beispiel: Unsere Öfen sind gemauert, jeder wiegt an die 20 Tonnen. Damit sparen wir schon jetzt eine Menge Energie: Wenn wir die Öfen samstags ausschalten und Montag wieder in Betrieb nehmen, herrscht im Inneren immer noch eine Restwärme von 100 Grad.“ Das Mauerwerk dient als Energiespeicher.

Weihnachtsbäckerei im Großmaßstab: Festliches Gebäck geht bei der Firma Hemmerle aus Mülheim schon seit Wochen mit in den Verkauf.
Weihnachtsbäckerei im Großmaßstab: Festliches Gebäck geht bei der Firma Hemmerle aus Mülheim schon seit Wochen mit in den Verkauf. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Jobs bleiben sicher: Mülheimer Mittelständler will im Sturm Kurs halten

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Es muss also gar nicht immer Hightech sein. So eine Investition heute kurzfristig nachzuholen: unmöglich. „Früher haben wir kontinuierlich investiert. Das haben wir jetzt komplett heruntergefahren. Wir sind ein gesundes Unternehmen und haben immer gut gewirtschaftet. Wenn mich jetzt Mitarbeiter fragen, ob ihr Job in Gefahr sei, kann ich sie beruhigen. Wenn ein Sturm aufzieht, heißt das noch nicht, dass wir in Schieflage geraten.“

Immer mehr besorgte Nachfragen erreichen den Unternehmer in der letzten Zeit. Als Ursache sieht er auch das gesteigerte mediale Interesse an seiner Branche. Hemmerle ist einerseits dankbar, andererseits sieht er darin auch eine Gefahr: „Viele denken jetzt: Das Bäckerhandwerk an sich ist nicht mehr krisenfest. Das stimmt aber nicht.“ Sollte sich die Lage irgendwann wieder beruhigt haben, will man das Dach der Backstube mit Solaranlagen ausstatten. Bis es soweit ist, bleibt der Mittelständler Hemmerle abhängig von den unkalkulierbaren Schwankungen am Energiemarkt.