Mülheim. Nachdem in Mülheim drei Jugendliche in kurzer Zeit durch Drogenkonsum gestorben sind, reagieren Schulen. Wie sie die Problematik angehen wollen.

Drei junge Drogentote in kurzer Zeit: Diese traurige Nachricht hat sich an Mülheims Schulen wie ein Lauffeuer verbreitet. Laut Polizei gehörten die verstorbenen Jugendlichen zu einer Gruppe von Konsumenten und Dealern, die vor allem rund um den Skatepark und die nahen Schulen auffällig geworden sind. In der Schülerschaft ist das Thema ein großes und auch die Schulleitungen denken jetzt noch einmal neu nach über Präventionsarbeit und Beratungsprogramme.

Drogentote in Mülheim – so berichteten wir:

„Bei unseren Schülern passiert gerade total viel“, sagt Jens Schuhknecht, Leiter der Otto-Pankok-Schule (OP). Die Todesfälle hätten viele schockiert. Vor allem den 17-Jährigen, der vor rund zwei Wochen tot auf dem Skaterplatz aufgefunden worden war, kannten einige. Und so habe man den Jugendlichen direkt am Montag nach den Herbstferien Seelsorgerinnen und Beratungslehrerinnen zur Seite gestellt: „für ihre Ängste, Trauer und Fragen“. Vor allem Oberstufenschüler hätten das Angebot angenommen und intensive Gespräche geführt, berichtet der Schulleiter.

Mülheimer Gymnasium will noch enger mit der Suchtberatungsstelle Ginko kooperieren

Das OP arbeitet seit Jahren mit der Mülheimer Suchtberatungsstelle Ginko zusammen; Eltern und Schüler können sich informieren und Rat holen. „Dieses Angebot wollen wir ausbauen; einmal wöchentlich werden dann Berater in der Schule sein“, so Schuhknecht. Suchtprobleme aller Art seien immer wieder Unterrichtsthema in den verschiedenen Jahrgangsstufen. Das Thema soll nun breiter aufgestellt werden: Der OP-Chef steht im Austausch mit anderen Schulleitungen; man will gemeinsam Aktionen durchführen, zum Beispiel schulübergreifende Infoabende für Elternschaft und Kollegien.

Da die Ginko „aktuell am Limit“ sei, zu viele Nachfragen stemmen müsse, gehe man auch auf andere Träger entsprechender Angebote zu: Schuhknecht zählt die Caritas auf, die Awo, die Diakonie und landesweit arbeitende Beratungsstellen. Man brauche die Fachleute vor allem auch, um die aktuelle Situation aufzuarbeiten.

Schüler helfen sich untereinander und fragen: „Wie können wir aufeinander aufpassen?“

Der Leiter des Gymnasiums ist fasziniert davon, dass sich die Jugendlichen an seiner Schule auch aktiv untereinander helfen. So habe die Schülervertretung das Drogenproblem oben auf ihre Agenda gesetzt. „Viele haben Schiss. Und es gibt ein Bedürfnis, etwas füreinander zu tun. Man will Verantwortung übernehmen.“ Und frage sich: „Wie können wir aufeinander aufpassen?“ Das Schüler-Engagement sei „schön und wichtig – zumal es manchen Schülern nicht leicht fällt, sich Erwachsenen gegenüber zu öffnen“.

Auch an der Luisenschule ist derzeit eine der drängendsten Fragen: „Wie kriegen wir die Schülerinnen und Schüler dazu, besser auf sich aufzupassen?“ Für Schulleiterin Heike Quednau „handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem, völlig losgelöst von den Schulformen“. Betroffen seien alle Schulen der Stadt gleichermaßen. Einer der 17-Jährigen besuchte das Gymnasium, ehe er diesen Sommer verstarb. „Das war für uns eine herausfordernde Situation“, schildert Quednau. Sowohl Lehrer- als auch Schülerschaft seien stark betroffen gewesen, seien es bis heute. Umso wichtiger sei die Überarbeitung bestehender Präventionsprogramme. „Wir haben uns mit der Elternpflegschaft und Ginko zusammengesetzt und sind das Konzept neu durchgegangen.“

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Noch immer herrsche laut Quednau die Einstellung vor, wer auf den Drogenkonsum von Mitschülerinnen oder Mitschülern hinweist, sei eine Petze – selbst bei besten Absichten. „Daran muss sich dringend etwas ändern, wir brauchen ein offenes Klima.“ Die Schülerinnen und Schüler sollten den Mut haben, in der Lehrerschaft eine vertrauensvolle Anlaufstelle zu sehen. Aber, gibt die Pädagogin zu Bedenken: „Das ist ein langer Prozess und ich glaube, eine Patentlösung gibt es da nicht.“

Mülheimer Schulleiterin: „Es liegt noch viel Arbeit vor uns“

Es liege noch viel Arbeit vor dem Kollegium und den Behörden, um ein niederschwelliges, zugängliches Angebot für Kinder und Jugendliche zu schaffen. „Das, was möglich ist, wird schon getan. Wir müssen jetzt neu denken.“ An der Luisenschule wolle man deshalb verstärkt die bereits tätige Beratungsstelle Ginko, das Kollegium, die Schülervertretung und Eltern zusammenbringen, um möglichst dafür zu sorgen, dass sich ein erneuter tragischer Todesfall nicht wiederholt.

Am Badminton-Internat in unmittelbarer Nachbarschaft des Skateparks sind die traurigen Vorfälle indes kein größeres Thema, sagt Marcus Busch, Landestrainer Sportentwicklung. „Wir haben bislang keinen Anlass, einen Psychologen einzuschalten.“ Die meisten der 14 Schüler und Schülerinnen, die an der Südstraße wohnen, besuchen die Luisenschule, andere das Berufskolleg. Und auch wenn einer der Toten die Luisenschule besucht hat: Das Drogen-Problem sei „für die Leistungssportler weit entfernt“. Busch berichtet von einem anstrengenden Alltag „mit zwei Berufen - der Schule und dem Sport“. Es bleibe wenig Zeit für anderes, „und den Skatepark benutzt sowieso keiner, die Verletzungsgefahr ist viel zu groß“.

Realschullehrer: „Es ist niemandem gleichgültig, aber es ist auch niemand sehr bestürzt“

Beratungslehrer Patrick Scheele ist an der Realschule fürs Thema Drogenprävention zuständig. In den neunten und zehnten Klassen gebe es Kinder, die den Toten vom Skatepark kannten. Große Unruhe herrsche trotzdem nicht an der Schule: „Es ist niemandem gleichgültig, aber es ist auch niemand sehr bestürzt“, so Scheele. Es sei sogar so, „dass die Mehrheit den Fall gar nicht kannte“.

Da man bislang noch nicht genau wisse, welche Betäubungsmittel die Verstorbenen vor dem Tod konsumiert haben, sei Aufklärung nicht ganz einfach. Um den Schülern und Schülerinnen die Gefahr verunreinigter Drogen zu verdeutlichen, wählt Scheele gern das Beispiel vom Rattengift in Koks und Heroin, mit dem manche Dealer ihre Drogen strecken, um den Gewinn zu erhöhen. Dass es solch dreckige Machenschaften gibt, erstaune dann immer viele. Offenbar sei dies wirklich „Neuland für einige“.

„Wer Hasch kaufen will, hat Telefonnummern – und dann kommt jemand vorbei“

Scheele steht für vertrauliche Gespräche bereit, geht auch gezielt auf junge Menschen zu, wenn er es für nötig hält: Längst nicht jeder aber öffne sich. Der Realschullehrer hat noch nichts davon mitbekommen, dass Dealer im Umfeld der Schulen unterwegs sein sollen. Die Schüler hätten andere Wege, um an Stoff zu kommen. Es gehe meistens ums Kiffen, „da haben sie Telefonnummern und dann kommt jemand vorbei“. Am Skatepark allerdings gebe es eine Szene, „dass dort gedealt wird, wissen alle“.

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Laut Scheele sind Alkohol und Zigaretten nur noch selten ein Thema, neben Hasch gehe es auf dem Schulhof mittlerweile oft um Shishas, E-Zigaretten und sogenannte Waves. Die Realschule arbeitet eng mit Ginko zusammen und mit Martin Rieth, einem Jugendkontaktbeamten der Polizei. Außerdem lädt sie regelmäßig einen ehemals Suchtkranken ein, der seine Erfahrungen schildert. Wer einen Gesprächspartner sucht, finde immer jemanden, betont Schulleiterin Sabine Dilbat.

Drogen sind an der Realschule Stadtmitte „kein tägliches Problem“, so die Leiterin

Man könne zwar „nicht das ganze Schulgelände im Blick haben“, so viele Pausen-Aufsichten könne man gar nicht stellen. Man wisse also auch nicht immer, wer wann wie ein- und ausgehe, um möglicherweise zu konsumieren. Doch Drogen sind an der Schule „kein tägliches Problem“, ist Dilbat sicher. Und man dürfe das Thema auch nicht zu früh ansprechen, also eher nicht bei den jüngsten Schülern: „Wir wollen ja keine schlafenden Hunde wecken.“