Mülheim. Impfarzt im Mülheimer Krisenstab rät dringend zum Booster für Jugendliche. Es gebe „tragische Verläufe“. Angst vor Engpässen in Krankenhäusern.
Nach dreiwöchiger Herbstpause hat der Corona-Krisenstab in Mülheim wieder getagt. Es gibt steigende Infektionszahlen, beunruhigende Prognosen und Sorgen insbesondere in den Krankenhäusern. Es soll und muss etwas passieren.
Im Krisenstab, den Stadtdirektor David A. Lüngen leitet, sitzen unter anderem Vertreter der Feuerwehr, der niedergelassenen Ärzteschaft, der beiden Krankenhäuser und des Gesundheitsamtes. „Und alle berichten von einer deutlichen Zunahme der Fallzahlen“, erklärt Lüngen. So seien allein über das Wochenende, von Freitagmittag bis Montagmorgen, mehr als 400 Neuinfektionen in Mülheim gemeldet worden. Auch Dr. Stephan von Lackum, KV-Vertreter und leitender Impfarzt in Mülheim, stellt fest: „Für viele Menschen schiebt sich die Covid-Situation wieder in den Vordergrund.“
Inzidenz in Mülheim liegt bei knapp 540 – hohe Dunkelziffer
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Die Stadt Mülheim hat ihr tägliches Corona-Dashboard Mitte April 2022 abgeschaltet. Aktuelle Daten veröffentlicht weiterhin das Robert-Koch-Institut (RKI), auf Grundlage der Meldungen des Gesundheitsamtes. Dabei dürfte die Dunkelziffer hoch sein, da sehr viele Infektionen dem Amt gar nicht mehr angezeigt werden. Doch selbst mit dieser Einschränkung sind die Zahlen hoch: Die Sieben-Tage-Inzidenz lag laut RKI am Montag bei 538,8.
Evangelisches Krankenhaus und St. Marien-Hospital versorgen aktuell insgesamt 45 Corona-Patienten. Noch keine Kapazitätsprobleme sind momentan auf den Intensivstationen der Mülheimer Krankenhäuser erkennbar. Am Montag waren dort – laut Divi-Intensivregister – fünf von insgesamt 34 Betten frei, das entspricht knapp 15 Prozent. Fünf schwer kranke Covid-Patienten wurden intensivmedizinisch behandelt, darunter eine Person mit invasiver Beatmung.
Mülheimer Krankenhaus musste eine Fachabteilung vorübergehend schließen
Doch zwei Tendenzen machen den Häusern Sorge: Die Zahl der Corona-Patienten steigt, zugleich erhöhen sich die coronabedingten Krankenstände beim Pflegepersonal. Das gelte übrigens auch für die Mülheimer Altenheime, so der Krisenstabsleiter. „Derzeit besteht dort noch keine Gefahr, doch wir wollen frühzeitig Entwicklungen erkennen und gegensteuern“, sagt David A. Lüngen. Ein Mülheimer Krankenhaus habe schon eine Fachabteilung aufgrund von Personalengpässen vorübergehend schließen müssen, ergänzt Dr. von Lackum. Ebenso spüren die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte die Corona-Herbstwelle, schildert er: „Patienten stehen wieder in großer Anzahl vor den Praxen – mit Atemwegserkrankungen und für Covid-Testungen.“
Die Stadt Mülheim wolle auf zwei Wegen gegensteuern, erklärt Krisenstabsleiter David A. Lüngen: Einerseits durch verstärkte Impfaktivitäten („Da ist noch viel Luft nach oben“), andererseits durch einen erneuten Appell an die Eigenverantwortung der Menschen. Lüngen erinnert an die bekannte AHA-Regel. Wo es angemessen ist, sollten Masken getragen werden. Eine Wiederauflage der Maskenpflicht in städtischen Gebäuden werde es aber zunächst nicht geben.
Steigende Nachfrage an stationären Impfstellen
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An den stationären Impfstellen in Mülheim war in letzter Zeit wieder deutlich mehr los. Vergangene Woche wurden dort nach Angaben der Stadt 576 Impfungen durchgeführt. Besonders bei zwei Gruppen sieht der leitende Impfarzt von Lackum jedoch noch erheblichen Nachholbedarf, wenn es ums Boostern geht: bei vorerkrankten Personen unter 60 und bei Jugendlichen. „Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren sollten die dritte Impfung bekommen. Hier gibt es aber noch viel zu wenig Nachfragen. Sie kommen so gut wie gar nicht.“ Dabei, so von Lackum, seien es oft die Schulkinder, die Infektionen in den Familienkreis tragen.
Impfstellen erweitern ihre Öffnungszeiten
Die stationären Impfstellen in Mülheim erweitern ab dieser Woche ihre Öffnungszeiten. Angeboten werden Erst- bis Viertimpfungen mit verschiedenen Impfstoffen.
An der Holzstraße 111 in Broich kann man sich donnerstags von 10 bis 18 Uhr und freitags von 14 bis 18 Uhr impfen lassen. Das Impfangebot im Forum (1. OG) besteht samstags von 10 bis 18 Uhr.
Die Impfstelle im DRK-Luftschiffhangar ist ab sofort auch mittwochs von 18 bis 21 Uhr geöffnet (Late Night Impfung) sowie weiterhin sonntags von 9 bis 16 Uhr. Einen Zusatztermin gibt es dort am 1. November (Allerheiligen) von 10 bis 14 Uhr.
Das Virus ist nach wie vor tückisch. Der Impfarzt sieht derzeit verschiedenste Verläufe: Da gebe es asymptomatische Infektionen, die nur durch Zufall entdeckt werden. Etwa fünf bis zehn Prozent der Infizierten erwische es schon zum zweiten Mal – „besonders Personen, deren Impfung deutlich länger als sechs Monate zurückliegt“. Ganz wenige steckten sich sogar zum dritten Mal an.
„Außerdem“, so von Lackum, „gibt es ganz tragische Verläufe. Menschen, die seit mehreren Wochen positiv sind mit Symptomen, die gar nicht mehr aus der Infektion rauskommen. Deswegen machen wir uns alle Sorgen.“