Mülheim. „Ein Mensch wie ihr“ heißt ein Groß-Projekt der Theaterallianz Vier.Ruhr. Drei Aufführungen an einem Abend in der Stadthalle bieten Sehenswertes.

So viel Leben gab es in der Stadthalle wohl lange nicht mehr. Geprobt wird gleich auf drei Bühnen – und zwar intensiv. Im Foyer üben die Tänzerinnen und Tänzer um Choreographin Rafaële Giovanola Bewegungsfolgen ein. Im Kammermusiksaal feilen die Schauspielerinnen um Regisseurin Christine Umpfenbach noch an ihren Dialogen und auf der großen Bühne im Theatersaal arbeiten Darsteller vom Theater an der Ruhr. Regisseur Philipp Preuss gibt Anweisungen, lässt manche Szene wiederholen. Schließlich soll bei der Premiere am Freitag, 14. Oktober, ab 19 Uhr alles perfekt gelingen.

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Das Groß-Projekt der Theater-Allianz Vier.Ruhr – „Ein Mensch wie ihr“ – soll dann möglichst viele Zuschauer in die Stadthalle locken. Sie werden sich in Gruppen auf einen Parcours begeben, sollen hintereinander – an verschiedenen Spielorten im Gebäude – drei 45-minütige Aufführungen anschauen, die alle auf dem „Fatzer“-Fragment von Bertolt Brecht basieren. Das nicht vollendete Bühnenstück (1927-30) umfasst circa 600 getippte Seiten, aber auch handschriftliche Notizen auf Zetteln, Packpapier oder Servietten.

Brechts Helden desertieren und fliehen nach Mülheim

Probe zum „Fatzer“-Projekt in Mülheim: Anya – eine junge Frau aus der Ukraine – spielt mit bei einem Stück von Christine Umpfenbach, das von Fluchtgeschichten berichtet.
Probe zum „Fatzer“-Projekt in Mülheim: Anya – eine junge Frau aus der Ukraine – spielt mit bei einem Stück von Christine Umpfenbach, das von Fluchtgeschichten berichtet. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Im „Fatzer“-Text geht es um vier Soldaten, die im Ersten Weltkrieg an der Westfront kämpfen, bis einer von ihnen – Fatzer – die anderen überredet, zu fliehen und sich nach Mülheim an der Ruhr durchzuschlagen. Dort finden sie Unterschlupf. Aber Fatzers unvernünftiges und egoistisches Verhalten stellt die Gemeinschaft der Deserteure auf eine harte Probe und bringt alle in Gefahr. Sie werden entdeckt, das Ende ist tragisch.

Die konkrete Geschichte von Brecht will Philipp Preuss mit seinem TaR-Ensemble auf die Bühne bringen. Szene Nummer 1 wird geprobt: Drei Männer im Federkleid stellen die drei Soldaten dar, die sich Fatzer anschließen. Sie marschieren zur Musik von Schostakowitsch, ein Reporter von Brecht-TV (Rupert Seidel) kommentiert die Umstände. Zwischendurch soll auf Geheiß des Regisseurs immer wieder der Eiserne Vorhang rauf- und runtergefahren werden. Dann, Szenenwechsel: Der Fatzer (Fabio Menéndez) taucht auf, ein Streit bricht aus mit den Federviechern wegen seiner Ich-Bezogenheit. Der Text sitzt bei allen Schauspielern schon richtig gut, am Szenischen gibt es noch einiges zu verbessern.

Die Tänzerinnen und Tänzer rund am Rafaële Giovanola proben für „Ein Mensch wie ihr“ in der Mülheimer Stadthalle.
Die Tänzerinnen und Tänzer rund am Rafaële Giovanola proben für „Ein Mensch wie ihr“ in der Mülheimer Stadthalle. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Aus Körpererinnerungen der Tänzer entstehen Bilder für Mülheimer Projekt

Zeitgleich üben im Foyer der Stadthalle die Tänzerinnen und Tänzer um Rafaële Giovanola (von der international bekannten Gruppe CocoonDance) zu rhythmischer Musik ihre Choreographie ein. „Ich bringe hier zwei Profi-Tänzer zusammen mit Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind – aus Syrien und der Ukraine“, erklärt die Choreographin. Aus Körpererinnerungen der Tänzer entstehen Bilder, auf „sanfte Weise“ sollen auch Zuschauer einbezogen werden – aber nur, wenn sie möchten. „Es geht um Wunsch, Begierde und Angst, ums Hin-und-Her-Gerissensein, um die Bewegungen des Einzelnen und der Gruppe. „Ich möchte einen Zwischenraum schaffen, in dem Verschiebungen des Hörens, Sehens und Fühlens spürbar werden“, erläutert Rafaële Giovanola.

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Im Kammermusiksaal probt ebenfalls gleichzeitig ein Team, zu dem vor allem Geflüchtete gehören. Die Münchener Regisseurin Christine Umpfenbach hat aus den Erzählungen der Frauen - und mit ihrer Hilfe - ein Stück zu verschiedenen Fluchtgeschichten geschrieben. Im Fokus steht der Moment, in dem ein Mensch sich entscheidet, aus seinem Land zu fliehen. Und um junge Menschen, die nicht im Krieg kämpfen wollen und das auch aussprechen.

Alle Zuschauer sind zum Abschluss zu einem Fest eingeladen

Der Zuschauer nähert sich dem „Fatzer“-Thema also auf verschiedenste Weise. Der geführte Rundgang zu den verschiedenen Bühnen in der Stadthalle beinhaltet auch Pausen. Nach der Aufführung gibt es außerdem noch ein Fest für alle. Der Eintritt zum Theaterprojekt funktioniert nach dem „Zahle, was du willst“-Prinzip, der Normalpreis läge bei 20 Euro, von 8 bis 40 Euro ist alles möglich.

Weitere Aufführungen sind am 15. Oktober, 3. und 4. November. Info unter www.ringlokschuppen.ruhr und www.stuecke.de oder www.vier.ruhr oder www.theater-an-der-ruhr.