Mülheim. Für das große Mülheimer Theaterprojekt rund um den „Fatzer“-Text von Brecht wird derzeit intensiv geprobt. Ein Besuch auf der Probebühne.
Damaskus 2011. Eine friedliche Demonstration gegen das autoritäre Regime gerät zum „Chaos“. Auch Frauen sind dabei, haben „sich schön gemacht für die Demokratie, für eine gerechte Zukunft“. Doch auf den Bildern, die rausgehen in die Welt, sind sie nicht zu sehen…
Die Schauspielerin Amal Omran spricht auf der Probebühne an der Ruhrorter Straße über das, was sie einst selbst erlebt hat. Sie ist geflohen aus Syrien, jetzt wirkt sie bei einem großen Theaterprojekt der Mülheimer Allianz Vier.Ruhr mit. Für die Premiere von „Ein Mensch wie ihr“ nach Brechts „Fatzer“-Fragment am 14. Oktober wird gerade intensiv geprobt.
Geflüchtete berichten in Mülheim von ihren Erfahrungen
Fünf Frauen aus Mülheim und Umgebung hat die Münchner Regisseurin Christine Umpfenbach befragt zu ihren Erfahrungen - oder denen ihrer Eltern - im Krieg und auf der Flucht: Neben der Syrerin Amal Omran (55) sind es die junge Musikstudentin Anya Dudkina (21) aus der Ukraine, Jasmina Music (34), die in den 90ern aus Bosnien floh, sowie Berit Vander (24), Schauspielerin am Theater an der Ruhr, deren Vater Ungarn den Rücken kehrte. Auch dabei: Mülheimerin Inge Ketzer (74), deren Vater im Zweiten Weltkrieg desertierte - und der wie Fatzer bei Brecht durch Mülheim zog. Diana Zaza (52), die ebenfalls aus Syrien flüchtete, ist zudem als Gast im Stück zu sehen.
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Szene für Szene üben die zwei Profi-Schauspielerinnen und die drei Laien-Darstellerinnen ein. „Es ist vielleicht die 30. Fassung, die wir heute hier spielen. Denn wir diskutieren alle gemeinsam immer wieder über den Text, ändern kontinuierlich etwas ab“, sagt Christine Umpfenbach, die die Erzählungen der fünf Frauen mit Textpassagen aus dem „Fatzer“ verwoben hat. „Ich lese Brechts Text häufig. Das ist ein interessantes Material, da stecken viele tolle Sätze drin, aus denen man viel entwickeln kann“, findet die Regisseurin.
Ukrainerin nutzt in Mülheimer Stück auch ihr Medium - die Musik
Über die Gräuel des Krieges wird nicht nur gesprochen. Auf vier Stoffbahnen hinter der Bühne werden dokumentarische Bilder von Zerstörung und Gewalt gezeigt. In Archiven hat man im Vorfeld reichlich Filmmaterial zum Thema gesammelt. Sie visualisieren das, was von den Frauen berichtet wird.
Am Anfang sei es nicht leicht gewesen, über das Erlebte, persönliche Erfahrungen und Emotionen zu berichten. „Es gab einige Stellen, die wieder herausgeflogen sind aus dem Stück, weil es für die Frauen schwer war, darüber zu sprechen“, berichtet Christine Umpfenbach. Mittlerweile habe man aber die professionelle Distanz, sagt Amal Omran. Das Erlebte werde zum bloßen Text, den man performen müsse, so Anya Dudkina. Die junge Ukrainerin, die eigentlich Pianistin werden möchte, nutzt auch ihr Medium, die Musik. Auf dem schlichten E-Piano des Probenraumes hört sich das Gespielte allerdings etwas dünn an.
Mülheimer Produktion ist dreisprachig - mit Übertiteln
Sehr unterschiedliche Sichtweisen auf den Krieg spiegeln die Szenen im Stück. „Es geht auch darum zu zeigen, was der Krieg mit den Frauen macht“,sagt Berit Vander. „In Syrien sind fast nur noch die Frauen übriggeblieben“, erzählt Amal Omran. Während die Männer tot oder geflohen seien. In der Ukraine ist es anders. „Die Frauen sind weggegangen, die Männer müssen bleiben und sollen kämpfen“, erklärt die Regisseurin. Und fügt hinzu: „Mich interessiert die Frage nach Individuum und Kollektiv. Was ist das für ein Moment, in dem sich ein Mensch entscheidet, sich aus einer Gruppe zu lösen, ,Nein’ zu sagen, ,Nein’ zum System oder ,Nein’ zum Kämpfen?“
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Die Produktion ist dreisprachig - in Deutsch, Englisch und Arabisch. Die deutsche Übersetzung wird bei den Aufführungen in der Stadthalle in Übertiteln mitgeliefert. Auch in der Probe switchen die Ensemble-Mitglieder zwischen den Sprachen hin und her. „I don’t need a flag“ lautet ein Statement im Stück, „Wer profitiert vom Krieg?“ eine Frage. In einer Szene wird ausgedrückt, was alle wollen: „Leben“ steht in großen Lettern auf einem Banner. Die Darstellerinnen sollen es fordernd ausrufen. „Lauter!“ fordert die Regisseurin. Und: „Reckt die Hände mit aller Kraft in die Höhe!“
Die Aufführungen
Premiere ist am Freitag, 14. Oktober um 19 Uhr in der Stadthalle. Gleich drei Räume werden dort bespielt.
Weitere Aufführungen sind am 15. Oktober sowie am 3. und 4. November, jeweils um 19 Uhr.
Die beiden anderen Teile der Produktion sind eine Tanzchoreographie von Rafaele Giovanola und eine Theater-Darbietung (Regie: Philipp Preuss).
In die zwei anderen Teile von „Ein Mensch wie ihr“ hat Christine Umpfenbach nur sporadisch reingeschaut, sie beziehen sich zwar auch auf den „Fatzer“-Text, entwickeln sich aber unabhängig voneinander auf anderen Probebühnen. Ebenso wie der Chorgesang, der alles miteinander verbindet. Die Spannung auf dass fertige Gesamt-Werk steigt.