Mülheim. Die Allianz vier.ruhr in Mülheim entwickelt einen Theaterparcours für die Stadthalle. Es wird ein dreiteiliger Abend. Was die Zuschauer erwartet.

Ungewöhnliche Musik erklingt in der Petrikirche. „Von jetzt ab wird es keinen Sieger mehr geben auf eurer Welt, sondern nur mehr Besiegte“, singen rund fünfzehn Frauen und Männer. Kantor Gijs Burger nickt zufrieden. Sie klingt schon recht passabel, diese Passage aus einer Komposition, die eigentlich noch im Entstehen ist.

Der Chor probt für ein großes Projekt. Die Theater-Allianz vier.ruhr will an einem Abend gleich drei Räume in der Stadthalle bespielen, den Zuschauer an mehreren Tagen auf einen Theater-Parcours schicken (Premiere: 14. Oktober). Alle drei Teile der Produktion „Ein Mensch wie ihr“ basieren auf einem fragmentarischen Text von Bertold Brecht: „Fatzer“.

Regisseurin war schon bei den Mülheimer Theatertagen dabei

Drei künstlerische Teams entwickeln das Theaterereignis, bei dem neben Bühnen-Profis auch Menschen aus der Region beteiligt sein werden. Gesucht wird aktuell noch Verstärkung für den Bürgerchor. Jeder kann mitmachen – egal, ob er chorerfahren ist oder nicht. Die „Laien“ gesellen sich zu erfahrenen Sängern aus den Chören der Petri-Kirche. Den Text zum Chorwerk hat die Autorin und Regisseurin Christine Umpfenbach geschrieben, die auch schon zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen war. Das Mülheimer Theater- und Konzertbüro hat sie für das Projekt gewinnen können.

Die Regisseurin Christine Umpfenbach bei der Probe des Bürgerchores für das Mülheimer „Fatzer“-Projekt.
Die Regisseurin Christine Umpfenbach bei der Probe des Bürgerchores für das Mülheimer „Fatzer“-Projekt. © Björn Stork

Umpfenbach hat Sätze aus dem Brecht’schen Text neben Aussagen gestellt, die sie bei Interviews mit fünf Frauen aus der Region berührt haben. „Das waren Menschen, die selbst mit Krieg und Flucht zu tun hatten oder deren Väter desertiert sind“, erklärt die Theaterfachfrau, bekannt fürs dokumentarische Arbeiten und intensive Recherchieren. „Mich hat es interessiert, herauszuarbeiten, was es bedeutet, nicht mitzumachen in einem Krieg. ,Nein’ zu sagen zu einem System oder ,Nein’ zum Kämpfen.“ Das, was in langen Gesprächen gesagt wurde, fließt aber nur zum kleinen Teil in das Chorstück. Vielmehr montiert Christine Umpfenbach „Fatzer“-Zitate und Erzählungen der Frauen auch zu einem größeren theatralischen Element.

Die Geschichte von Brecht spielt kurioserweise in Mülheim

Ausschließlich mit dem „Fatzer“-Material arbeitet dagegen Philipp Preuss, künstlerischer Leiter am Theater an der Ruhr. Die Geschichte von Brecht spielt kurioserweise in Mülheim: Vier Soldaten desertieren im Ersten Weltkrieg, sie schlagen sich von der Westfront bis an die Ruhr durch. Einer von ihnen ist Fatzer, der sich nicht immer solidarisch verhält.

„Der Text ist der Versuch, Krieg auf das ewige Schlachtfeld Individuum versus Gruppe zu kondensieren“, sagt der Regisseur. „Es geht um Egoismus und Solidarität, um das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv“, erklärt Sven Schlötcke, TaR-Geschäftsführer. Philipp Preuss löse die Geschichte aus dem Zeitkontext, denn das Problem scheine in vielen Zeiten auf. Neben der szenischen Darstellung durch Schauspieler vom Theater an der Ruhr werden auch filmische Mittel in der Inszenierung genutzt.

Choreographin kooperiert seit Jahren mit Mülheimer Ringlokschuppen

Den dritten Teil des Abends liefert die Choreographin Rafaele Giovanola (von „Cocoon Dance“), die seit Jahren mit dem Ringlokschuppen kooperiert. Sie probt mit Profi-Tänzern und Laien und macht klar: „Es geht um Bewegungen des Einzelnen und der Gruppe. Bewegungen, die den Raum definieren und strukturieren.“ Sie möchte „einen Zwischenraum schaffen, in dem Verschiebungen des Hörens, Sehens und Fühlens spürbar werden“. Hier sollen sich Betrachter und Akteure vermischen.

Neben dem Abschlusschor wird es auch eine weitere musikalische Ebene geben bei diesem Parcours. Jörg Ritzenhoff schafft eine Gesamtsound-Installation, die in allen drei Räumen (Kammermusiksaal, Theatersaal und Foyer) eine Rolle spielen wird. Der Komponist Thorsten Töpp brütet zusammen mit Gijs Burger noch über der Chormusik. „Ich habe die musikalischen Ideen, er ist der Profi, der weiß, was sängerisch machbar ist“, berichtet Töpp. Manchmal diskutiere man „über jede Note“. „Der Text ist nicht leicht zu vertonen“, gesteht der Chorleiter. Man arbeite mit kleinen Bausteinen – mit Gesungenem und Gesprochenem, mit Mehrstimmigkeit und Solo-Passagen, mit Wortwiederholungen und vielem mehr.

Abschließendes Fest findet in der Mülheimer Stadthalle statt

Mehr als 60 Personen wirken insgesamt bei dem multiperspektivischen Theater-Event mit. Bis zu 600 Zuschauer hofft man, pro Abend begrüßen zu können. Sie werden in Gruppen durch die Stadthalle geleitet. Die beiden Theater-Stücke und die Tanz-Performance dauern jeweils etwa 45 Minuten, der Chor-Part rund 15 Minuten. Danach sollen alle zusammen Gemeinschaft erfahren – bei einem Fest mit Essen und Trinken.

Der Karten-Vorverkauf für den „Fatzer“-Abend hat begonnen, Karten (ab 8, bis 40 €) gibt es unter www.vier.ruhr. Premiere: 14. Oktober. Weitere Vorstellungen: 15. Oktober, 3. und 4. November, 19 Uhr.

Weitere Mitsinger gesucht

Für den Bürgerchor werden noch weitere Sängerinnen und Sänger gesucht.

Sie müssen keine Erfahrung im Chorsingen haben.

Geprobt wird jeden Dienstag von 18.30 bis 19.30 Uhr in der Petrikirche.

Hauptprobe ist am 12. Oktober, Generalprobe 13. Oktober (20.30 bis 22 Uhr)

Aufführungen sind am 14. und 15. Oktober sowie 3. und 4. November.

Kontakt: info@vier.ruhr oder 0170 8517494