Mülheim. Ein bewegendes Erlebnis: Der Mülheimer Künstler Gregor Doc Davids ermöglicht es Blinden und Sehbehinderten, seine Kunst haptisch zu erleben.

An die 30 Personen – plus zwei Blindenhunde – stark ist die Gruppe des Mülheimer Vereins der Blinden und Sehbehinderten, die sich am Samstagvormittag vor dem Atelier des Mülheimer Künstlers Doc Davids am Muhrenkamp versammelt. Die Atmosphäre ist offen und herzlich, was im Wesen von Gregor Davids liegt, dessen Schwiegermutter Marliese ebenfalls zum Verein gehört.

Maria St. Mont, Vorsitzende des Vereins, zeigt sich zufrieden über den regen Zulauf – trotz der eigentlich schlechten Wetterprognosen. Schließlich werden sich alle meist draußen aufhalten, zunächst vor dem liebevoll vor vier Jahren restaurierten Backsteingebäude, später auch im Garten „der etwas anders ist“, wie Doc Davids ausführt. Doc Davids Leidenschaft ist Glas, farbiges Glas, einmaliges Glas – vor allem auch seltenes Glas, das nie von einer Maschine berührt wurde, darauf legt er großen Wert.

Mülheimer Doc Davids Glas-Künstler weiß um die Wirkung von Licht

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„Wenn Sie mit Glas arbeiten“, führt Doc Davids gleich zu Beginn der knapp zweistündigen Führung aus, „brauchen Sie Licht! Dann erleuchten die Farben!“ Im mit Kalkfarbe geweißten Atelier sind dementsprechend fast alle Kunstobjekte beleuchtet. „Bohemian Rhapsody“ gar mit einer dimmbaren Lampe, was das Farberlebnis unfassbar vielgestaltig erlebbar macht. Kaltweiß ist unglaublich brutal, hat aber durchaus seinen Reiz. Das ursprüngliche bunte böhmische Glas ist mundgeblasen, weshalb die Farben „ineinander schlieren“, wie Nicole erläutert.

All diese Farbverläufe kann Michael Kuprat, der vor elf Jahren voll erblindete, nicht mehr sehen, doch seine Frau Ulrike beschreibt sie ihm „toll“, wie er selbst sagt. Da Michael früher sehen konnte, weiß er, wovon sie spricht, wenn sie die ineinanderfließenden gelben, orangen und roten Töne dieses Bildes beschreibt. Doch er gibt zu: „Die Erinnerungen verblassen.“ Nichtsdestotrotz findet er es „erstaunlich, die unterschiedlichen Materialien zu erfühlen“, denn Doc Davids hat anfangs gleich klargestellt: „Anfassen ist ausdrücklich erlaubt!“

Finger wandern nach oben und unten, streichen sacht über Erhebungen

Und so sind überall Blinde, Sehbehinderte und auch die Sehenden eifrig dabei, sich die Bilder und zum Teil riesigen Skulpturen näher zu bringen. Da wandern Finger mal nach oben und unten, begeben sich hinter das Bild, streichen sachte über die Erhebungen, die in die Bleiverglasung eingearbeitet sind, etwa beim beeindruckenden „Tower of Power“, der schon in London ausgestellt wurde. Bisweilen ist ein kleiner Ruf zu vernehmen: „Ich seh‘ Licht“, sagt etwa Marliese, und prompt schiebt ihre sehende Begleiterin den Rollstuhl näher an das Objekt.

Der Blinden- und Sehbehindertenverein Mülheim war am Samstag zu Gast bei Künstler Gregor Doc Davids.
Der Blinden- und Sehbehindertenverein Mülheim war am Samstag zu Gast bei Künstler Gregor Doc Davids. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Einige aus dem Verein können noch Formen ausmachen, manche erkennen noch Farben. Bei Livia Hecker sind es vor allem Blau- und Grüntöne, und so lässt sie zum Erkunden der Bilder und Objekte nicht nur ihre Finger über die Ausstellungsstücke wandern, sondern geht ganz nah mit den Augen heran, als wolle sie mit dem Kopf eintauchen in das Farbenmeer. „Das ist toll!“, sagt sie bedächtig und verliert sich tastend und schauend in den Reliefs, die in Stahlständern stehen. „Das sieht total schön aus! Das mag ich.“

Neben der Optik trägt eben auch die Haptik zur sinnlichen Erfahrung der Besucher bei

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„In welchen Formen Glas verarbeitet werden kann“, sagt Michael, „ist wirklich faszinierend. Glas als künstlerisches Ausdrucksmittel, das ist wirklich nicht üblich, wüsste nicht, dass ich das – außer bei Kirchenfenstern – schon mal gehört hätte.“ Das alles sieht zwar schon großartig aus, aber neben der Optik trägt eben auch die Haptik zur sinnlichen Erfahrung bei, und so kann kaum jemand aufhören, über diese rauen, kantigen Oberflächen zu streichen. Es ist wie eine Sucht und erdet ungemein.