Mülheim. Dr. Thomas Riedel forscht in Mülheim zu Grundwasser. Im Interview erklärt er, wie extreme Wetterlagen das Grundwasser langfristig beeinflussen.

Durch den trockenen, heißen Sommer sind viele Bäche ausgetrocknet, und Flüsse haben einen so niedrigen Wasserstand wie seit Jahren nicht. Wie sich das langfristig auf das Grundwasser und damit auch auf die Trinkwasserversorgung auswirkt, darüber hat Redakteurin Nikolina Miscevic mit Dr. Thomas Riedel, Geschäftsfeldleiter für Wassergewinnung am Mülheimer IWW Zentrum Wasser gesprochen.

Der Sommer hat merkliche Spuren an Flüssen und Bächen hinterlassen. Welche Rolle spielt da der Mensch, welche der Klimawandel?

Dr. Thomas Riedel: Oft wird aufbereitetes Wasser aus den Kläranlagen in Flüsse eingeleitet, so dass diese in unserer Wahrnehmung immer Wasser geführt haben. Wenn es so extrem ist, dass auch dieses Wasser verschwindet, ist das für uns ein ungewöhnlicher Anblick, obwohl es eigentlich einer natürlichen Variabilität entspricht. Vor 100 Jahren waren Niedrigwasser und trockenliegende Bäche eigentlich der Regelfall. Jetzt kommt noch der Klimawandel dazu und verschärft die Situation.

Sind ausgetrocknete Bäche und niedrige Wasserstände in Flüssen jetzt also das neue „Normal“?

Eine Abschätzung, wie es sich langfristig entwickeln wird, ist schwierig. Aus den USA wissen wir, dass die Trockenheit in Kalifornien von 2000 bis 2018 Teil der natürlichen Variabilität war. Erst der Klimawandel hat es zu einer extremen Dürre ausgeweitet. Die Abschätzungen gehen dahin, dass die Ursache dieser langen Dürreperiode etwa zu 50 Prozent in der natürlichen Variabilität und zu 50 Prozent beim Klimawandel liegt. Dadurch wird die Entwicklung extremer Trockenperioden verstärkt. Und das erleben wir bei uns hier, glaube ich, auch gerade.

Dr. Thomas Riedel sieht zwar Handlungsbedarf, in Panik sollte aber niemand verfallen.
Dr. Thomas Riedel sieht zwar Handlungsbedarf, in Panik sollte aber niemand verfallen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Wie hat sich der trockene, heiße Sommer auf die Qualität des Grundwassers ausgewirkt?

Wir leben hier in einem humiden Klima. Der Wasserkreislauf funktioniert so: Niederschlag fällt, ein Teil davon versickert, wird zum Grundwasser. Das Grundwasser fließt dann den Flüssen zu – oder auch einem See oder dem Meer. Wenn die Grundwasserstände fallen, so wie wir das aktuell sehen, dann bedeutet das, dass weniger Grundwasser in die Flüsse strömt. Wenn wir niedrige Wasserstände in den Flüssen haben, haben wir dadurch auch weniger Verdünnung. Es gibt industrielle Einleiter, es gibt kommunales, geklärtes Abwasser mit bestimmten Spurenstoffen – diese Stoffe konzentrieren sich dann in den Flüssen auf. Das sind Spurenstoffe, die in den Klärungsprozessen nicht vollständig entfernt werden können. Zum Beispiel Medikamente, Süßstoffe oder Rückstände von Pflegeprodukten. Es gibt Abschätzungen für die Ruhr, dass bei einem Niedrigwasser wie wir es im Jahr 2018 erlebt haben, 50 Prozent des Wassers geklärtes Abwasser ist.

Ist das aktuell vergleichbar oder sogar noch extremer?

Sie können davon ausgehen, dass wir aktuell auch wieder einen großen Anteil an kommunalem Abwasser in vielen unserer Flüsse haben. Das ist nicht automatisch alarmierend, aber durchaus eine Aufgabe. Gerade die Wechselwirkung der Spurenstoffe kann sich unter Umständen auf die Ökosysteme der Flüsse auswirken. Deshalb wird darüber nachgedacht, eine vierte Reinigungsstufe in den Klärwerken einzuführen. Gerade in Niedrigwasser-Situationen könnte das wichtig sein. Das ist natürlich ein Kostenfaktor und man müsste schauen, wer es bezahlt.

Hat das Einfluss auf das Wasser, das bei uns aus dem Wasserhahn kommt?

Theoretisch ja. Aber die Wasserwerke hier in der Region, die einen Teil des Wassers indirekt aus den Flüssen beziehen, sind sehr gut aufgestellt und arbeiten auf dem höchsten technischen Niveau, das es gibt. Spurenstoffe werden in ihren Konzentrationen so weit gesenkt, dass sie in der Regel nicht mehr relevant sind.

Was kann man als Individuum angesichts des niedrigen Grundwasserpegels denn tun? Ist es sinnvoll, weniger zu wässern oder kürzer zu duschen?

Grundsätzlich ist es immer eine gute Idee, mit Ressourcen sorgfältig umzugehen. Ob man sich jetzt einschränken muss oder nicht, das hängt von Kommune zu Kommune ab. Soweit ich weiß, gibt es in Mülheim beispielsweise keine Einschränkungen. Aber es gibt durchaus aktuell einzelne Wasserversorger in Deutschland, die Nutzungseinschränkungen für das Trinkwasser ausgesprochen haben. Das sind meist kleinere Versorger in den Mittelgebirgen, die nicht so gut aufgestellt sind und keine Verbundsysteme haben.

Bis zum Herbst ist es nicht mehr allzu lang. Glauben Sie, dass sich die Ökosysteme von der Trockenheit wieder spurlos erholen?

Die Trockenheit hat sicherlich noch längere Auswirkungen. Wir wissen von den trockenen Jahren 2003 und 2018, dass zum Beispiel die Böden lange brauchen, bis sie wieder einen Wassergehalt aufweisen, der dem langjährigen Mittel entspricht. Das hat damit zu tun, dass die Böden jetzt tiefer ausgetrocknet sind und der Grundwasserstand auch relativ niedrig ist. Wenn im Herbst wieder mehr Niederschlag fällt und die Vegetation weniger Wasser braucht, kann auch wieder mehr Wasser im Boden versickern. Aber erst wenn die Böden ausreichend mit Wasser gesättigt wurden, kann das Sickerwasser einsetzen und bis zum Grundwasser weiterströmen.

Niedrigwasser: Der Rhein in Duisburg ist sichtbar trockener. Als wichtige Verkehrsader macht sich das in der Wirtschaft bemerkbar.
Niedrigwasser: Der Rhein in Duisburg ist sichtbar trockener. Als wichtige Verkehrsader macht sich das in der Wirtschaft bemerkbar. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Dann erst steigen die Grundwasserspiegel wieder an?

Ja. Und wir wissen von den Jahren 2003 und 2018, dass das nicht im Oktober sein wird, wie das in einem Durchschnittsjahr der Fall wäre, sondern dass es bis Januar, Februar oder sogar März dauern kann.

Wenn es unter Umständen bis zum Frühjahr dauert, ehe der Grundwasserspiegel steigt, es in dieser Zeit aber so langsam auch wieder wärmer wird: Fehlt dann nicht die Phase zur Regeneration an der Stelle?

Richtig, das ist der Punkt. Die Zeit für die Grundwasserneubildung wird in solchen Jahren stark verkürzt. Im nächsten Jahr hat man wahrscheinlich dann auch noch mit den Folgen der Trockenheit zu kämpfen. Selbst wenn es ein nasses Jahr und ein nasser Sommer werden würde, würden die Grundwasserstände sich trotzdem erst mal nicht vollständig erholen.

Was passiert, mit der Wasserversorgung, wenn sich der Grundwasserspiegel nur so langsam regeneriert?

Wenn der Grundwasserstand sinkt, ist es erst mal so, dass Sie mehr Energie aufwenden müssen, um das Wasser aus einem Brunnen zu heben. Mit jedem Meter Absenkung können pro Jahr etwa einige Tausend Euro mehr an Förderkosten entstehen, weil viel mehr Energie aufgewendet werden muss, um das Wasser aus der Tiefe zu holen. Das bedeutet also, dass sich niedrige Grundwasserstände auf die Produktionskosten von Trinkwasser auswirken. Aus ökologischer Sicht wäre eine Absenkung von einem Meter für viele Pflanzen, die keine tiefen Wurzeln haben, ein Problem. Die bräuchten dann von oben mehr Wasser. Auenbereiche und Moore würden auch stark darunter leiden. Dieser erste Meter Verlust wäre langfristig für die Vegetation dramatisch.

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Lässt sich dem noch vorbeugen?

Aufgrund der jüngsten Folge von Trockenjahren ist die Sorge groß geworden. Einige Kommunen und Städte fragen langfristige Analysen oder Beratungen an. Ich habe zum Beispiel für ein Wasserwerk in Nordrhein-Westfalen gerade eine Prognose zur Grundwasserneubildung bis ins Jahr 2100 gemacht. Dabei kommen zunächst überraschende Erkenntnisse heraus: Je stärker der Klimawandel wird, umso mehr Grundwasserneubildung wird es eigentlich geben.

Mehr?

Ja, genau. Weil es im Winter mehr Niederschlag geben wird, also in der Zeit mit der größten Grundwasserneubildung. Dadurch, dass es wärmer wird, verdunstet mehr Wasser über dem Ozean – unser Wasser kommt hauptsächlich vom Atlantik, die Westwinde bringen die feuchte Luft zu uns. Das ist zumindest das, was im langfristigen Mittel passieren wird. Trotzdem werden wir mit Sicherheit weiterhin Extremjahre erleben. Die bedeuten dann immer, dass man Perioden hat, in denen dieses „Mehr“ unterbrochen ist. Wir müssen uns zunehmend auf Extremereignisse einstellen. Die Situationen mit Trockenstress im Sommer werden trotzdem zunehmen.

Es fehlt also an Konstanz.

Ja, und die Amplitude wird größer. Wir können davon ausgehen, auch wenn es im Winter vielleicht mehr Niederschlag gibt, werden die Sommer trockener und der Wasserbedarf steigt dadurch insgesamt. Vor allem in trockenen Sommern sind die Bedarfsspitzen ohnehin recht hoch. Abends um sieben Uhr müssen viele Wasserversorger schauen, dass sie den Druck im Leitungsnetz aufrechterhalten können, weil dann alle duschen oder den Garten wässern. Das ist teilweise eine Herausforderung. Und wenn dann ein Brand sein sollte und die Feuerwehr löschen muss, kann es passieren, dass der Wasserdruck nicht ausreicht.

Immer mehr Städte und Kommunen fragen Analysen an, entsteht da ein neues Bewusstsein?

Deutschlandweit ist da viel unterwegs, NRW war ein bisschen Vorreiter. Wir hatten schon vor Jahren Wasserversorgungskonzepte, die alle Gemeinden in NRW vorlegen mussten. Das waren aber keine integrativen Konzepte. Das Augenmerk lag auf der Trinkwasserversorgung. Landwirtschaft, Industrie und vor allem Ökosysteme waren noch nicht ausreichend berücksichtigt. Versorgungssicherheit lag im Fokus, und das ist auch wichtig. Aber weil es ein erster Aufschlag war, hatte man noch nicht den ganz großen Blickwinkel gewählt.

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Was gehört zum großen Blickwinkel Ihrer Ansicht nach alles dazu?

Niedersachsen zum Beispiel hat ein Wassermanagement-Konzept vorgelegt, bei dem versucht wurde, alle Grundwassernutzer einzubeziehen. Andere Bundesländer machen das jetzt auch. Es gibt in Deutschland sogar einzelne Landkreise, die da für sich selbst vorangehen und integrativ drauf schauen. Dass alle Beteiligten an einem Tisch sitzen, passiert jetzt erst langsam. Gerade mit Blick auf Extremjahre wird das wichtig sein. In NRW wäre so ein erweitertes Bewirtschaftungskonzept sicherlich auch wünschenswert. Vielleicht sogar mit einem eigenen Kapitel zum Thema Dürre.

Wieso ist das bislang noch nicht geschehen? Aus Bequemlichkeit?

Nein, so würde ich das nicht formulieren. Das ist schon eine erhebliche Aufgabe. Da sofort den großen Sprung zu machen, hätte nicht funktioniert. Die Versorgungskonzepte waren ein Baustein und jetzt kann man diesen nach und nach adaptiv erweitern, am besten alle paar Jahre.

Nach aktuellem Stand: Was wird sich für Wasserverbraucherinnen und -verbraucher denn in nächster Zeit ändern?

Wasser könnte teurer werden, wenn Energie teurer wird. Wir müssen davon ausgehen, dass das, was wir für Wasser bezahlen, in Zukunft mehr den tatsächlichen Wert widerspiegeln sollte. Das sollte sich auch jeder vergegenwärtigen. Wasser hat immer einen Wert, auch wenn es in Deutschland in Form von Trinkwasser relativ günstig und selbstverständlich ist. Das liegt daran, dass die Versorger immer gute Arbeit geleistet haben und nie richtig in der Öffentlichkeit waren. Wenn es jetzt aber mal etwas enger wird, werden Maßnahmen ergriffen werden müssen. Panik macht aber keinen Sinn, Sorge ist okay, Vorsorge ist aktuell das Allerbeste.