Mülheim. Sie ist trocken, er ist Alkoholiker – eine Mülheimerin gibt private Einblicke in ihre spezielle Ehe. Wieso sie bis heute bei ihrem Mann bleibt.
Als Ulrike und Klaus (Namen geändert) sich in ihren Zwanzigern kennenlernen, imponiert ihr seine ruhige, geduldige Art. Ihm imponiert ihr lebhaftes Wesen. Vor seinen Freunden aus der Studentenverbindung gibt er sich stolz darüber, wie trinkfest seine Freundin ist. „Er hat dann immer gerne damit geprahlt, dass ich alle unter den Tisch trinke“, erzählt Ulrike heute, knapp 40 Jahre später. Das Paar trinkt zum Abendessen gerne einen guten Wein, beim Kniffeln gibt es ein Bier – manchmal trinken sie zusammen, manchmal jeder für sich.
Dass ihr Mann ein Alkoholproblem hat, weiß Ulrike schon nach der ersten gemeinsamen Zeit. Wie groß es ist, begreift sie erst später. Die Erkenntnis, dass auch sie selbst alkoholkrank ist, trifft Ulrike um die Jahrtausendwende. „Ich habe gemerkt, wie ich mich verändere, dass ich anders bin.“ Beobachtet hat sie die Wesensveränderung schon über Jahre hinweg bei ihrem Mann. Aus dem geduldigen, ruhigen Gefährten wird immer häufiger ein aufbrausender, fahriger Zeitgenosse – „manchmal habe ich ihn nicht wiedererkannt“.
Mülheimerin begibt sich freiwillig in die Entgiftung
Für sich selbst möchte Ulrike das nicht, „ich musste mich vor mir selbst schützen“. Sie geht zu den Anonymen Alkoholikern, anfangs noch heimlich. „Ich habe mich geschämt und wusste, er würde es nicht verstehen.“ Als es 2001 schließlich durch einen Zufall herauskommt, reagiert Klaus mit Wut und Unverständnis: „,Das hast du doch gar nicht nötig, so viel trinkst du doch gar nicht’, das hat er damals gesagt.“ Ulrike habe sich doch unter Kontrolle – wieso also der komplette Verzicht auf Alkohol? „Das war genau die richtige Entscheidung damals“, sagt die ehemalige Pädagogin mittlerweile. „Ich war funktionale Alkoholikerin und habe auf Spiegel getrunken.“ Ein gewisser Pegel musste immer da sein, trotz Arbeit und drei Kindern.
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Es folgt eine Entgiftung in einer Frauenklinik, damals noch in der Begleitung ihrer jüngsten Tochter. „Eine Sache werde ich nie vergessen“, erzählt Ulrike. „Meine Tochter guckte mich an und meinte: ,Jetzt habe ich wieder eine schöne Mama ohne roten Kopf.’ Das hat mich sehr gerührt.“ Bis heute, sagt Ulrike, trinkt sie keinen Alkohol. „Leicht ist das nicht immer, aber mir geht es so besser.“
Im Mülheimer Bekanntenkreis weiß niemand von der Alkoholsucht
Was Ulrike gelungen ist, gelang Klaus nie so richtig. Wie viel ihr Mann täglich tatsächlich trank, wusste seine Frau lange Zeit nicht. Als Klaus bei einer Dienstreise, auf die ihn Ulrike begleitete, zum Mittag eine Karaffe Wein trank, „fiel der Groschen“. Einquartiert hatte sich der IT-Fachmann in einem ehemaligen Kloster mit hauseigener Brauerei und Destillerie. „Bis dahin dachte ich immer, er trinkt nur im Feierabend. Aber auch tagsüber?“ Die Jahre vergehen, der Alkohol bleibt.
„Irgendwie haben wir uns arrangiert, es war unterschwellig immer Thema, aber selten offen ausgesprochen“, sagt Ulrike. Aus dem Freundes- und Bekanntenkreis weiß niemand von ihrem Entzug und Klaus’ Sucht. „Ich war immer sehr aktiv in der Elternpflegschaft und viel unter Menschen. Klaus war auch manchmal dabei.“ Nach außen hin eine Fassade, innerhalb der vier Wände ihres Mülheimer Reihenhauses zieht Klaus sich immer wieder in den Keller oder seinen Arbeitsraum zurück. „Was er da genau macht, weiß ich nicht immer. Aber ich kann es mir denken“, sagt Ulrike. „Alkoholiker sind sehr gewieft darin, heimlich zu trinken. Aber ich kenne meinen Mann nun mal.“
Paartherapie hilft Mülheimer Eheleuten bei ihren Problemen
Als Klaus vor drei Jahren an Lymphdrüsenkrebs erkrankt, verschieben sich die Prioritäten. Durch Chemo-und Immuntherapie ist er geschwächt, der Suchtdruck schwindet – zeitweise. „Ich hatte schon ein bisschen Hoffnung, aber dann hat er an einem guten Tag Wein getrunken, obwohl er noch in Therapie war.“ Mittlerweile trinkt Klaus deutlich weniger als noch vor einigen Jahren, sagt Ulrike. „Und wir kommen zurecht.“ Ihn aufgefordert, mit dem Trinken aufzuhören, habe sie schon lange nicht mehr. „Lass doch das Zeug weg“, bat sie ihn zuletzt während der Chemo. „Da wurde er wieder richtig böse, und das möchte ich nicht.“
Selbsthilfegruppe Al-Anon
Seit fünf Jahren besucht Ulrike die Al-Anon-Familiengruppe für Angehörige und Freunde von Alkoholikern. Jeden Montag trifft sich die Selbsthilfegruppe von 16 bis 18 Uhr bei Ategris, Schulstraße 10a.
Die Al-Anon-Familiengruppe bietet Gleichbetroffenen einen geschützten Raum für den Austausch und zur Heilung. Im Zentrum stehen der Erfahrungsaustausch, das Teilen von Kraft und Hoffnung sowie das gemeinsame Lösen von Problemen. Die Al-Anons arbeiten nach einem festen Konzept, das die individuellen Erfahrungen der Gruppenmitglieder berücksichtigt.
Weitere Infos zu Selbsthilfegruppen in Mülheim gibt es unter www.selbsthilfe-muelheim-an-der-ruhr.de.
Eine Paartherapie habe ihnen dabei geholfen, auf die Bedürfnisse und Wünsche des jeweils anderen zu hören. Lange Spaziergänge nutzen die beiden für Aussprachen. „Ich genieße diese Zeit. Weil ich dann weiß, dass er richtig da ist.“ Seit fünf Jahren besucht Ulrike eine Selbsthilfegruppe für Angehörige (siehe Infobox) von Alkoholkranken. „Das hilft mir sehr, auch im Umgang mit Klaus.“ Statt Vorwürfe zu machen und Forderungen zu stellen, geht sie mittlerweile lieber mit Fragen auf ihn zu. „Wie geht es dir heute?“ „Heute müsstest du dich aber besser fühlen als gestern, oder?“ Was im Verborgenen passiert, kann sie nun mal nicht beeinflussen, erklärt Ulrike. Und am Ende des Tages, sagt sie, will sie das auch gar nicht. „Er ist ein freier Mensch.“