Mülheim. Neues Mülheimer Theater „Only Connect!“ startete am Freitag mit einem Beckett-Stück in das Eröffnungswochenende. Wie die Premiere verlief.
Im unteren Teil der Wallstraße lässt sich ein stetig wachsender kleiner Pulk von Menschen nicht von den hohen Abendtemperaturen abschrecken und will das neue Theater „Only Connect!“ bei der allerersten Aufführung erleben. Es sind keine Massen, denn je nach Bühnenbild passen nur bis zu 55 Personen als Publikum in den „Saal“, der von außen nicht einsehbar ist, weil schwarze Vorhänge alles verhüllen.
Durch eine offene Seitentür geht’s einen langen Flur entlang zur Kasse. Hier hinten befindet sich auch das für kältere Jahreszeiten so wichtige Foyer. Bunte Sitzhocker, Stühle aller Art, sogar aneinanderhängende Sitze wie in einem Wartehäuschen bieten ausreichend Gelegenheit, sich zu erholen. Die langgestreckte Anlage dieses Einraumtheaters, bei dem alle ‚Räume‘ in einer Flucht liegen, empfindet eine Zuschauerin als „geheimnisvoll.“
Winziges Theater wirkt auf Mülheimer Zuschauer „magisch“
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Heute sind es die maximal erlaubten 34 Zuschauer, die anfangs geduldig, ab 19.30 Uhr zunehmend ruheloser werden. Eine ältere Dame fragt „Worauf warten wir?“. Die passende Replik „Auf Godot“ sowie „Und der kommt nicht!“, nimmt sie mit strafendem Blick wahr, hört dann aber erwartungsvoll den freundlichen Eröffnungsworten der Regisseurin und Leiterin des Theaters, Julie Stearns, sowie des Planungsdezernenten Felix Blasch zu. Die ebenfalls anwesende Kulturdezernentin Daniela Grobe reiht sich still in die Zuhörerschar ein, die nach dem feierlichen Aufschließen des Theaters langsam und neugierig das ehemalige Ladenlokal in der Wallstraße 17 betritt.
Die plötzliche, allumfassende Schwärze bringt jeden ins Stocken, das Kleinraumtheater wirkt magisch, nur langsam weitet sich der Horizont. Da tun sich drei bis vier Sitzreihen rechts und links vom Gang auf. Die vierte Reihe links ist allerdings vom Regie- und Technikpult belegt. Auf die hintersten Plätze zu gelangen, erfordert Geschick. Stühle, Wände, Decken und Boden, alles ist schwarz, sowohl im Zuschauerraum als auch auf der Bühne – die - von der ersten Reihe grad mal einen Meter entfernt - unmerklich beginnt.
Packendes Miteinander von Darstellern und Zuschauern
Mit Samuel Becketts „Warten auf Godot“ den festen Theater-Spielort zu eröffnen, ist eine mutige Entscheidung, die belohnt wird. Dieses absurde Warten der beiden Protagonisten Estragon (Alex Kupsch) und Wladimir (Timo Knop) auf den ominösen Godot, mit willkommenen Unterbrechungen durch Pozo (Johannes Ullrich) mit seinem Diener Lucky (Guido Molina mit Leine um den Hals wie ein Hund, wird auch so behandelt) sowie dem Jungen (Oscar Koch), der verkündet, Godot käme nicht heute, aber ganz sicher morgen, geht immer unter die Haut.
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Denn das Publikum wartet – trotz des Wissens, dass Godot nicht auftaucht – ebenfalls. In diesem winzigen Theater wirkt das Stück „unfassbar intensiv“, wie eine Zuschauerin später sagt. Durch die räumliche Enge, ohne jede Distanz zwischen Akteuren und Zuschauern, entsteht ein packendes Miteinander, dem sich neben den steigenden Temperaturen im Raum niemand entziehen kann oder will. Stearns gibt zu, es sei „kein angenehmes Stück“ und bedauert zugleich, keine Klimaanlage zu haben, wie es in ihrer Heimat, den USA, überall üblich sei.
Begeisterte Mülheimerin: „Es war toll! Einfach überwältigend.“
Gut die Hälfte der Zuschauer feiert nach der umjubelten Premiere das neue Mülheimer Theater. „Es war toll! Einfach überwältigend“, sagt eine Frau begeistert: „Unglaublich dicht, weil es so unmittelbar dran ist. Zum Teil war’s echt krass.“ Schreie, Stöhnen und andere Schreckmomente prallen in diesem schmalen Theaterraum mit Wucht auf das Publikum. Der Mülheimer Jost freut sich: „Mir hat’s richtig gut gefallen. Diese Nähe, die tut dem Theater gut. Die haben das super gemacht!“
Ob es dem Ensemble und der Regie gelingen wird, neue Inszenierungen speziell auf diese Örtlichkeit zuzuschneiden, wird sich zeigen. „Warten auf Godot“ gehört zum Repertoire der Truppe, doch selbst der erst fünfzehnjährige Oscar Koch weiß, dass sich ein Stück mit der Zeit entwickelt - so wie seine kleine Rolle als Boten-Junge: Vor vier Jahren sei dieser „nur ein kleiner Junge“ gewesen, jetzt aber gebe er ihn „arrogant“. Inwieweit sich Anderes verändern wird, wie das Sprechen von der Bühnenkante, die stimmgewaltige Ausgestaltung der Texte (während der Coronazeit wurde auch Freilufttheater gespielt) oder das bodennahes Agieren, das von hinten nicht einsehbar ist, sind Fragen, die gespannt auf die Zukunft blicken lassen.