Mülheim. Das Mülheimer Konditoren-Paar Großenbeck leitet in siebter Generation das Stadtcafé Sander. Die Kinder wollen das Geschäft nicht weiterführen.
„Wir machen nicht zu, sondern weiter!“ Diese Botschaft ist Anke und Friedhelm Großenbeck angesichts immer wiederkehrender Schließungsgerüchte wichtig. Das Mülheimer Konditoren-Paar leitet in siebter Generation das Stadtcafé Sander am Kohlenkamp. Der Familienbetrieb kann auf eine 262-jährige Geschichte zurückblicken.
„Solange wir gesund bleiben und unser tolles Team weiter so mitzieht wie bisher, machen wir weiter“, betonen der 62-Jährige und die 57-Jährige, die beide das Konditorenhandwerk gelernt haben und seit 1990 an der Spitze der Traditions-Konditorei stehen, die unter anderem zwei Weltkriege, eine Revolution, eine Hyperinflation und eine Diktatur überlebt hat.
Kinder wollen die Mülheimer Traditions-Konditorei nicht weiterführen
Erst 2015 haben die Großenbecks viel Geld in die Hand genommen, um das Stadtcafé zu modernisieren und den Wohlfühlfaktor für die Kundschaft zu erhalten. „Unsere 1989 und 1991 geborenen Kinder Martin und Anja haben bereits als Schüler als Bedienung im Café mitgearbeitet. Sie haben uns aber schon vor etlichen Jahren signalisiert, dass sie beruflich andere Wege gehen und den Familienbetrieb nicht als achte Generation fortführen wollen“, sagen die Großenbecks.
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Sie fügen hinzu: „Wir respektieren diese Entscheidung unseres Sohnes, der heute bei der Bezirksregierung arbeitet, und unserer Tochter, die im internationalen Projektmanagement tätig ist.“ Friedhelm Großenbeck, der schon als kleiner Junge von seinen Eltern Friedrich und Marie hörte: „Du übernimmst ja mal den Betrieb“, hat seine Berufswahl als Konditormeister und Café-Betreiber nie in Frage gestellt. „Als ich 1974 meine Lehre begann und nach meinen Gesellenjahren in Remscheid und Düsseldorf die Meisterschule besuchte, habe ich mir gesagt: ‚Du wärst dumm, wenn du etwas anderes machen würdest‘“, erinnert er sich.
Früher gab es noch keinen „Gesundheits- und Diätwahn“
Auch seine Frau Anke Großenbeck-Holthaus, die 1982 als Auszubildende ins Stadtcafé Sander kam und drei Jahre später als Jahrgangsbeste abschloss, kann sich noch an die früheren Jahre erinnern. „Wir hatten mehrere Stammtische, die sich bei uns im Café trafen“, berichtet sie. Und ihr Ehemann ergänzt: „Damals hatten wir es mit Gästen zu tun, die unter dem Eindruck der Hungerjahre während und nach dem Zweiten Weltkrieg standen. Sie waren im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswunders zu Wohlstand gekommen und hatten enormen Nachholbedarf. Damals kannte man noch keinen Gesundheits- und Diätwahn. Wer ins Café kam, der aß auch schon mal zwei Stücke Kuchen oder drei und gönnte sich bei der Zigarette danach auch noch einen weiteren Kaffee und einen Cognac.“
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Die Großenbecks leben und lieben ihren Beruf, das kreative Konditorenhandwerk, „bei dem man sehen und schmecken kann, was man geschafft hat“, und auch das positive Feedback ihrer Kunden. Dennoch verstehen sie die Entscheidung ihrer Kinder, die die Familientradition nicht fortsetzen wollen. „Unsere Kinder scheuen nicht den Arbeitsumfang, sondern eher die betriebswirtschaftlichen Unwägbarkeiten, die man als selbstständiger Konditor in Kauf nehmen muss“, sagt Anke Großenbeck.
Mülheimer Stadtmitte hat sich verändert – nicht zum Vorteil
„Die Stadtmitte hat sich in den letzten Jahrzehnten ja leider auch nicht zu ihrem Vorteil entwickelt. Dass unsere Straße als Spielstraße genutzt wird und hier die Fußbälle gegen Fensterscheiben und Werbung knallen, wäre früher undenkbar gewesen“, schildert Friedhelm Großenbeck seine unfreiwilligen Alltagsabenteuer als Bewohner und Kaffeehausbetreiber in der Innenstadt.
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Doch trotz aller wirtschaftlichen und sozialen Unwägbarkeiten können sich die Großenbecks eine Zukunft des Stadtcafés Sander vorstellen, die über ihren eigenen Eintritt in den Ruhestand in fünf, sechs, vielleicht aber auch erst in sieben oder acht Jahren, hinausgeht. „Wir könnten uns externe Nachfolger aus dem Konditorenhandwerk vorstellen, vielleicht auch Nachfolger, die aus unserem eigenen Team heranwachsen. Ohne unsere tollen Mitarbeiter könnten wir das Stadtcafé Sander ohnehin nicht betreiben.“
Ein Stadtcafé mit langer Geschichte
Der 1714 als Bauernsohn in Dümpten geborene Bäcker Georg Sander gründete 1760 in einem Fachwerkhaus am Kohlenkamp eine Bäckerei, in der er von seiner früh verwitweten Mutter unterstützt wurde. Ebenfalls tatkräftig unterstützt wurde er von seinem 1760 geborenen Sohn Dietrich. Dieser ging bei seinem Vater in die Lehre und erlebte so den Ausbau der Bäckerei, die bald nicht nur Brot, sondern auch Zuckerwerk und Pfefferkuchen backte. Außerdem konnte man bei Sander auch seinen eigenen Teig zu Brot verbacken lassen.
Nach dem Tod des Vaters übernahm Dietrich 1792 die Leitung des Familienbetriebs und erweiterte das Sortiment um Schokoladenkuchen. Sein 1802 geborener Sohn Hermann trat als einziges von acht Geschwisterkindern in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters. Er baute das Kuchensortiment aus und verkaufte auch kandierte Früchte. Außerdem richtete er ein Schaufenster für die Produktpräsentation ein.
August Sander war der erste Konditormeister in der Familie
Als Hermann Sander 1863 starb, war sein Sohn August erst 22 Jahre alt. Er war der erste Konditormeister in der Familie Sander und nahm Spekulatius als Weihnachtsgebäck ins Sortiment auf. Mit seiner Frau Marie Halfmann eröffnete er 1868 am Kohlenkamp das Stadtcafé Sander. Nach seinem Tod führte seine Witwe Marie es ab 1885 weiter. 1895 ersetzte sie das alte Fachwerkhaus durch ein repräsentatives Steinhaus mit moderner Innenbeleuchtung.
Zwei ihrer fünf Kinder, zunächst August (1902-1910) und dann Gustav Sander (1902-1950), führten das unternehmerische Erbe ihrer 1925 verstorbenen Mutter fort. Nach Gustavs Tod führte seine Witwe Ermine das Stadtcafé bis 1963 als Alleininhaberin weiter. Als Tochter eines Duisburger Konditormeisters war Ermine Sander (1894-1980) eine Frau vom Fach. Als Mutter musste sie den frühen Kriegstod ihrer Söhne Gustav und Helmut erleben, die in Russland gefallen waren. Als Betriebsinhaberin bewältigte sie 1952 den stadtplanerisch erzwungenen Neubau des Kaffeehauses am Kohlenkamp 12.
Bis heute gilt das Motto: „Qualität, die man schmeckt“
Statt ihrer im Zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder setzte die 1921 geborene Marie Sander die Familientradition fort. Mit ihrem gleichaltrigen Ehemann, dem Konditormeister Friedrich Großenbeck, übernahm sie die Leitung des elterlichen Betriebs, in dem sie seit 1936 gearbeitet hatte. Während ihrer fast 30-jährigen Betriebsleitung prägten die 2014 verstorbenen Eheleute die bis heute für das Stadtcafé Sander geltende Firmenphilosophie: „Qualität, die man schmeckt!“