Mülheim. Die Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialtarifvertrag für 2400 Beschäftigte von Vallourec in Mülheim und Düsseldorf stocken. Der Stand.

Nach dem verkündeten Basta der Pariser Konzernleitung zur Entscheidung, die deutschen Vallourec-Werke in Düsseldorf und Mülheim mit rund 2400 Beschäftigten bis Ende 2023 zu schließen, sind fünf Verhandlungsrunden zu einem Sozialtarifvertrag gelaufen. Ein Ergebnis aber ist noch fern, wie Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite feststellen.

Wegen Urlaubszeiten auf beiden Seiten ruhten die Verhandlungen zum Sozialtarifvertrag nun bis Anfang August, so der Personalgeschäftsführer des Stahlrohrproduzenten Vallourec Deutschland, Herbert Schaaff. Bis dahin werde man in kleineren Arbeitsgruppen Detailfragen bearbeiten. Im August solle es mit hohem Tempo und gleich fünf Terminen binnen zwei Wochen weitergehen.

Mülheimer Betriebsrat: „Man ist nie konkret geworden, es gab nur ein Abklopfen“

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Schon diese Aussage findet nicht volle Zustimmung vom Betriebsratsvorsitzenden des Mülheimer Werkes, Ousama Bouarous. Nötig sei die Verhandlungspause auch, weil der Konzern „keine richtigen Vorschläge gemacht“ habe, wie er den Forderungen der Belegschaft nachkommen wolle. „Man ist nie konkret geworden, es gab nur ein Abklopfen“, sagt Bouarous.

Der Betriebsratsvorsitzende des Mülheimer Vallourec-Werkes: Ousama Bouarous.
Der Betriebsratsvorsitzende des Mülheimer Vallourec-Werkes: Ousama Bouarous. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

In den Wochen bis August gehe es in den Arbeitsgruppen nun erst einmal darum, eine Basis dafür zu schaffen, welche Mechanismen denn Grundlage sein sollen, um Absicherungen mit Zahlen zu hinterlegen. Etwa: Auf welcher Basis sollen Abfindungen gezahlt werden? Spricht man bei der Schaffung einer Transfergesellschaft über eine Laufzeit von 12, 24 oder 36 Monaten? Es gebe da seitens des Managements „keine konkreten Vorschläge“.

Arbeitsdirektor Schaaff betont aktuell, dass der Konzern bereit sei, im Sozialtarifvertrag sämtliche Komponenten einzubauen, die IG Metall und Betriebsräte in ihrem Forderungskatalog stehen haben. Große Differenzen gebe es allerdings hinsichtlich „der materiellen Ausgestaltung“, sprich: Vallourec will bei Weitem nicht so viel Geld in die Hand nehmen wie gefordert, um die sozialen Härten für die Mitarbeiter, darunter 750 im Dümptener Werk, abzufedern. Die Arbeitnehmerseite sei da „sehr weit gegangen“, so Schaaff. Konkreter werden, was Vallourec zu bieten bereit ist, will er nicht.

Vallourec-Arbeitsdirektor: Tarifwerk muss für Konzern wirtschaftlich tragbar sein

IG Metall und Betriebsräte fordern eine nach Beschäftigungsjahren gestaffelte Abfindung, mit bestimmten Boni – etwa für jüngere Beschäftigte. Mitarbeiter der Jahrgänge 1966 und älter sollen bei 90 Prozent Nettogehalt bis zu ihrem 65. Lebensjahr in Altersteilzeit gehen können. Es ist eine Transfergesellschaft für mindestens drei Jahre gefordert und ein Nettogehalt für dorthin wechselnde Mitarbeiter von netto ebenfalls 90 Prozent. Auch sollen Mitarbeiter bis zu ihrem Ausscheiden eine „Motivationsprämie“ in Höhe von monatlich 1000 Euro bekommen. Zur Sicherung der Betriebsrenten soll der Konzern seinen Treuhandfonds auf eine Viertelmilliarde Euro aufstocken.

Vallourec-Arbeitsdirektor Herbert Schaaff
Vallourec-Arbeitsdirektor Herbert Schaaff © Unbekannt | Vallourec Deutschland

Man werde sich aufeinander zubewegen müssen, sagt Schaaff, dass mit einem Sozialtarifvertrag nun mal zweierlei sichergestellt sein müsse: Der Ausgleich sozialer Nachteile für die Mitarbeiter, aber eben auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit für das Unternehmen. „Einfach gesagt: Die Firma wird ja nicht zugemacht, weil sie große Gewinne macht, sondern weil wir so viele Verluste einfahren“, so der Geschäftsführer mit Blick auf 700 Millionen Euro Verlust der deutschen Werke in den Jahren seit 2015.

Vallourec: Betriebsrenten sind „extrem hoch abgesichert“

Die Betriebsrenten seien „per se sicher“, sagt Schaaff. Selbst im Insolvenzfall seien sie gewährleistet durch den Pensionssicherungsverein. Ohnehin seien die Pensionen mit einer Quote von 60 Prozent und einer Einlage von 140 Millionen Euro für insgesamt rund 6000 aktuelle und ehemalige Beschäftigte „extrem hoch abgesichert“. Es sei auch nicht vorgesehen, die Vallourec Deutschland GmbH komplett zu liquidieren. Es werde über Ende 2023 reale Aufgaben für 20 bis 30 Beschäftigte geben, versucht Schaaff Ängste um die Betriebsrenten zu zerstreuen. Betriebsrat Bouarous bleibt dennoch dabei: Zusätzlich 90 Millionen Euro müssten in die Absicherung gesteckt werden.

Zur Motivationsprämie, die Schaaff lieber „Anerkennungsprämie“ genannt haben will, zeigt sich der Geschäftsführer aktuell „sehr enttäuscht“, dass eine Einigung dazu bislang ausgeblieben ist. Aus seiner Sicht hätte schon im Juni Geld an die Mitarbeiter fließen können. Knackpunkt ist, dass Vallourec jene Prämie nur auszahlen will, wenn die Arbeitnehmer im Gegenzug von Streiks während der Tarifverhandlungen absehen und damit eine störungsfreie Abwicklung der letzten Produktionsaufträge gewährleisten.

Beschäftigte fordern eine Motivationsprämie ohne Streikverzicht

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Dem Arbeitgeber das Zugeständnis des Streikverzichts zu machen, bevor die großen Differenzen im Ringen um den Sozialtarifvertrag ausgeräumt sind, lehnt Betriebsrat Bouraous strikt ab. Es könne so lange keine Friedenspflicht geben, bis nicht wesentliche Punkte aus dem Forderungskatalog zufriedenstellend ausgehandelt seien, gibt er Schaaff Kontra. Bouarous fordert eine Prämie ohne Streikverzicht. Denn die Möglichkeit zu Streiks wolle sich die Belegschaft bewahren, um womöglich schon im August zu streiken, wenn bis dahin kein Durchbruch in den Tarifverhandlungen erreicht sei. Bei einer Probeabstimmung unter Kollegen zuletzt auf dem Mülheimer Werksgelände habe es für solche Streiks 99,8 Prozent Zustimmung gegeben, so Bouarous.

„Viele werden zufrieden sein, was wir am Ende zahlen“, sieht Schaaff die Verhandlungen dennoch „ordentlich und konstruktiv“ laufen. Auch zur Gründung einer Transfergesellschaft sei man bereit, sei aber guter Dinge, dort möglichst wenigen Mitarbeitern ein Sprungbrett in andere Jobs schaffen zu müssen, weil der Arbeitsmarkt zumindest den jüngeren Beschäftigten, auch Maschinenführern, viele Alternativen biete. Rund 30 Unternehmen hätten bereits bei Vallourec Interesse bekundet, qualifizierte Mitarbeiter zu übernehmen.

Gegenseitige Vorwürfe, auf Zeit zu spielen

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Kein Verständnis zeigt Schaaff, dass der Gesamtbetriebsrat bislang die Verhandlungen für einen Interessenausgleich blockiere, obwohl dieser die Grundlage für einen Sozialtarifvertrag sei, eben festschreibe, welche Maßnahmen wann, greifen sollen – das Prozedere zur schrittweisen Stilllegung der Produktionsbetriebe inklusive. Schaaff sieht die Betriebsräte „auf Zeit spielen. Das macht aber keinen Sinn, weil die Mitarbeiter auf ein Ergebnis warten“, sagt er.

Und die Betriebsräte? Die geben den Ball zurück: „Es muss definitiv Tempo rein in die Verhandlungen“, sagt Bouarous. Man habe dem Management zum letzten der fünf terminierten Verhandlungstage am 12. August eine Deadline gesetzt: Sei bis dahin nicht der Rahmen für ein Tarifwerk gesetzt, drohten Streiks.