Mülheim. Die Weigerung von Vallourec, über die Zukunft der Werke in Mülheim und Düsseldorf noch mal zu verhandeln, macht auch anderen Firmen zu schaffen.

Millionenschwere Staatshilfen hin oder her: Der französische Stahlrohr-Produzent Vallourec will an seiner Entscheidung, die Produktion in Europa Ende 2023 einzustellen, nicht mehr rütteln lassen. Alles politische Bemühen, den Konzern in dieser Frage noch mal ernsthaft an den Verhandlungstisch zu bewegen, laufen offenbar ins Leere. Nur noch die Abwicklung soll Thema sein. Das trifft auch Zulieferer und Dienstleister im Umfeld hart.

Die größten Auswirkungen hat das Aus der Vallourec-Werke in Mülheim und Düsseldorf auf die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg. Sie liefern Vormaterial von Brammen- und Rundstrangguss ausschließlich an ihre drei Gesellschafter: an Thyssenkrupp Steel (50 Prozent Beteiligung), an Salzgitter Mannesmann mit seinem Grobblech-Walzwerk und seinem Europipe-Rohrwerk in Mülheim (30 Prozent) sowie eben an Vallourec (20 Prozent).

Vallourec ist an Stahl-Lieferung der Hüttenwerke noch sieben Jahre gebunden

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Aus informierten Kreisen heißt es zwar, dass Vallourec den Hüttenwerken noch auf sieben Jahre die Abnahme einer bestimmten Tonnage Stahl garantieren müsse, spätestens für die Zeit danach wird es aber kritisch. HKM beschäftigt aktuell nach eigenen Angaben knapp 3000 Beschäftigte und steht vor der großen Herausforderung, nach der Stilllegung des Duisburger Grobblech-Werkes von Thyssenkrupp absehbar auch das Aus von Vallourec zu verkraften.

Die Geschäftsführung der Hüttenwerke will sich aktuell nicht zu den Auswirkungen des Vallourec-Abschieds äußern. Geschäftsführer Gerhard Erdmann verwies auf Anfrage darauf, dass er sich zu Angelegenheiten der Gesellschafter nicht äußern werde. Schon im Dezember 2021 hatte die Funke Mediengruppe berichtet, dass der französische Vallourec-Konzern seinen Gesellschaftervertrag für HKM gekündigt habe – mit eben einer im Vertrag vorgesehenen Kündigungsfrist von sieben Jahren.

Bei Mannesmann Grobblech in Mülheim findet Qualitätsprüfung für Vallourec statt

Vallourec muss also weiter für Hunderttausende Tonnen Stahl Geld überweisen. Einziger Ausweg für die Franzosen: Mitgesellschafter übernehmen von Vallourec Stahlmengen. Ob dafür Erfolgsaussichten bestehen angesichts der aktuell hohen Stahlnachfrage, ließ sich aktuell nicht ergründen. Es ist die Rede davon, dass Vallourec vorhat, die lange Kündigungsfrist juristisch auszuhebeln.

Es sind aber nicht nur die Hüttenwerke, die eng mit Vallourec verzahnt sind. Im Prüfzentrum beim benachbarten Unternehmen von Salzgitter Mannesmann Grobblech (MGB) werden die Vallourec-Rohre auf Qualität gecheckt, mehrere Dutzend Arbeitsplätze sollen hier an den Vallourec-Aufträgen hängen.

Gewerkschafter: „Hier stirbt deutlich mehr“

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„An einem Industriearbeitsplatz hängen drei weitere Arbeitsplätze dran“, sagt Vallourec-Betriebsratschef Ousama Bouarous, dass zahlreiche Zulieferbetriebe, aber auch Betriebe zur Instandhaltung am Werksgelände und andere fest gebuchte Dienstleister betroffen sein würden von der Werksschließung: „Angefangen vom Seifenspender bis hin zum Motor und Schwenkkran. . .“

„Hier stirbt deutlich mehr“, reiht sich auch Gewerkschaftssekretär Dirk Horstkamp von der IG Metall ein bei denjenigen, die eine Kettenreaktion befürchten und insbesondere beklagen, dass hier in Mülheim neben mehr als 700 Tariflohn-Arbeitsplätzen auch Schlüsseltechnologie am heimischen Wirtschaftsstandort verloren gehe. Mit Ansiedlungen von Lebensmittel-Bringdiensten, die kaum Jobs böten, um Familien zu ernähren, sei ein Vallourec-Aus jedenfalls nicht aufzufangen, so Horstkamp.

Sorge um Beschäftigte: Viele Mitarbeiter mit erheblichem Qualifizierungsbedarf

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Er macht sich Sorge, ob ein Gros der Vallourec-Beschäftigten via Transfergesellschaft überhaupt erfolgreich eine adäquate Alternative am Arbeitsmarkt finden könnten. Den Fachkräftemangel gebe es zwar. Doch sei die Spezialisierung im Vallourec-Werk mitunter stark ausgeprägt. So könnten etwa Maschinenführer, Industriemechaniker oder Mitarbeiter, die innerhalb der Produktionslinie ihren Arbeitsplatz mitunter seit Jahrzehnten an ein und derselben Stelle hätten, wohl nur mit massivem Aufwand fit gemacht werden für eine Rückkehr in ihren erlernten Beruf. Nur ein geringer Anteil der Mitarbeiter, etwa solche aus der Instandhaltung oder Elektriker, seien wohl ad hoc in der Lage, anderweitig vollumfänglich ihren Lehrberuf auszuüben.

Der Betriebsratsvorsitzende von Vallourec in Mülheim: Ousama Bouarous.
Der Betriebsratsvorsitzende von Vallourec in Mülheim: Ousama Bouarous. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Wir sind noch nicht fertig damit“, reagiert Horstkamp trotzig auf die Ankündigung von Konzernchef Guillemot vom Mittwoch, dass Vallourec von der Schließung der deutschen Werke nicht abzurücken gedenke. Er und Bouarous werfen dem Management vor, dass der im November gestartete Verkaufsprozess „nur Schauspielerei“ gewesen sei. Doch der Betriebsratsvorsitzende will sich weiter nicht geschlagen geben, hofft weiter auf den Erfolg politischer Initiativen zur Rettung der Produktion, auch wenn „die Chance mini-minimal“ sei. Am Ende könne vielleicht doch das Geld, das an Staatshilfen angeboten werde, ein Umschwenken ermöglichen.

Enttäuschung über späte Initiativen der Politik

Enttäuscht ist Bouarous aber doch von der Politik. Mit Solidaritätsbekundungen der vergangenen Monate ließen sich nun mal keine Arbeitsplätze retten, sieht er politische Initiativen zu spät auf den Weg gebracht. Schon seit Jahren zahle Vallourec keine Umsatzsteuer mehr, auch der Politik hätte die dunklen Wolken über Vallourec schon vor Jahren sehen können, sagt er.

Den Arbeitnehmervertretern geht es nun darum, möglichst schnell bei den Sozialtarifverhandlungen an den Punkt zu kommen, Betriebsrenten und Co. abzusichern, um nicht später doch von einer Insolvenz der deutschen Vallourec-Gesellschaft überrollt zu werden. „Wir reden da um eine dreistellige Millionenhöhe“, macht Horstkamp die Dimensionen deutlich. Am Freitag steht Verhandlungsrunde zwei an.