Mülheim. Bei einem Besuch in der Mülheimer Geflüchtetenunterkunft erzählen Ukrainerinnen von ihrer Flucht, dem neuen Alltag in Saarn und ihrer Hoffnung.

Es ist heiß in dem großen Aufenthaltszelt mit den vielen Klapptischen und Bänken in der Geflüchtetenunterkunft an der Mintarder Straße. Drei Ukrainerinnen haben einem Gespräch über ihr altes Leben und ihren Alltag in Mülheim zugestimmt. Sie wirken freundlich und aufgeschlossen. Immer wieder flitzen Kinder durch die Gänge, spielen fangen und fahren auf Tretrollern umher.

Die Hitze staut sich. Kurzerhand wird eine Bankgarnitur vor das Zelt getragen, die drei Frauen blicken auf eine der großen, hellen Holzbaracken, in denen sie auch schlafen. Die erste Frage, die sich stellt, beantwortet Anna Nosyk mit „So weit es geht, gut“. Die beiden anderen Frauen nicken zustimmend. Ihre Erwartungen seien in Deutschland weit übertroffen worden. Die Menschen in Mülheim seien sehr offen und herzlich zu ihnen.

Mülheimer Geflüchtetenunterkunft soll Schutz bieten

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Anfang März wurde die Unterkunft an der Mintarder Straße wieder aktiviert. Wer das Gelände betreten will, muss zunächst das Sicherheitspersonal passieren. Die Bewohnenden können das Gelände jedoch jederzeit verlassen. Das Lager soll einen geschützten Raum für Geflüchtete bieten, die erst einmal Ruhe brauchen, um ihre Erlebnisse aus dem Krieg zu verarbeiten.

Die Zimmer in den langen Holzgebäuden haben jeweils zwei Etagenbetten und vier Spinde. In einigen Fällen können zwei Zimmer miteinander verbunden werden, um Platz für eine achtköpfige Familie zu schaffen. Toiletten, Duschen und Küchenräume befinden sich in separaten Containern.

Ein bisschen Normalität in schweren Zeiten. Kinderfahrräder vor der Flüchtlingsunterkunft an der Mintarder Straße.
Ein bisschen Normalität in schweren Zeiten. Kinderfahrräder vor der Flüchtlingsunterkunft an der Mintarder Straße. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Ukrainerin, die in Mülheim untergekommen ist, hatte nicht an Krieg geglaubt

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Eine Frau in einem weißen T-Shirt mit Katzenaufdruck beginnt zu erzählen. Anna Nosyk kommt aus Krivoy Rog, einer Stadt im Süden der Ukraine mit über 600.000 Einwohnern. „Bis zum 24. Februar war ich überzeugt, dass Russland keinen Krieg beginnen würde. Ich habe immer am lautesten dagegengehalten“, blickt sie zurück. Bis sie dann die ersten Explosionen hörte. „Der erste Angriff, direkt ein volles Kriegsmanöver.“ Jetzt lebt sie in der Mülheimer Unterkunft mit Frauen zusammen, die ihr vorher völlig fremd waren. Ihr Mann ist in der Ukraine bei ihren Eltern geblieben.

Nosyk spricht neben ihrer Muttersprache auch Englisch. Sie besucht seit vierzehn Tagen einen Deutschkurs und ist sehr ambitioniert. Im Camp fungiert sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und ihrer freundlichen Art immer wieder als Vermittlerin. Sie mag Deutschland, aber: „Ich hoffe, dass ich bald wieder nach Hause kann!“

Geflüchtete in Mülheim: Viele träumen von Ukraine

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Nataliia Tlustova, die neben ihr sitzt, empfindet das Gleiche. „Für mich ist es immer noch unvorstellbar, dass im 21. Jahrhundert ein Nachbarland so brutal angegriffen wird und Menschen getötet werden“, fügt sie hinzu. Vor zwei Monaten floh sie mit ihrer neunjährigen Tochter Veronika aus der Millionenmetropole Charkiw.

Es musste schnell gehen, sagt sie, viel Zeit zum Packen hatte sie nicht. „Und nichts von dem, was ich mitgenommen habe, war wirklich brauchbar“, erinnert sie sich. Das Schlimmste aber ist, dass ihre Eltern zurückgeblieben sind. Die Sorge um ihre Familie hält sie nachts wach. „Und wenn ich träume, dann von meinem Zuhause und den schönen Parks in Charkiw.“

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum so viele ältere Menschen in ihrer Heimat bleiben, erklärt DRK-Mitarbeiter Artem Mednikov, der selbst aus der Ukraine stammt und die Gespräche übersetzt. Für manche ist die Flucht zu beschwerlich, aber viele sind auch der Meinung: „Wir sind hier geboren und werden hier sterben.“

Drei unterschiedliche Frauen, teils mit Kindern geflüchtet, in ihrem Schicksal vereint.
Drei unterschiedliche Frauen, teils mit Kindern geflüchtet, in ihrem Schicksal vereint. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Ukrainerinnen in Mülheim geben die Hoffnung nicht auf

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Doch daran wollen Tlustova und Nosyk im Moment nicht denken. Sie verfolgen die Entwicklungen in ihrem Heimatland über ukrainische Netzwerke, Nachrichten und Freunde. Sie geben die Hoffnung nicht auf, in ihr altes Leben zurückzukehren, obwohl sie wissen, dass ihre Häuser verwüstet oder sogar zerstört sind und dass es lange dauern wird, bis sie nach dem Krieg wieder aufgebaut sind.

Oksana Kuznetsova und ihre jugendliche Tochter Javdokija leben erst seit zwei Wochen auf dem ehemaligen Saarner Kirmesplatz. Die Reise hierher war lang. Rund 16 Stunden, teilweise mit Auto, Bus und Bahn, bis sie in Mülheim ankamen. Die Augen von Oksana Kuznetsova leuchten, wenn sie von ihrer Ankunft in Deutschland erzählt. „Ich habe die Natur bewundert. Die gepflegten Wälder und die schöne Landschaft.“ Auch ihr Mann und ihre Eltern sind in der Ukraine geblieben, dennoch kann sie sich eine Zukunft in Deutschland vorstellen. „Es fühlt sich an wie Verliebtsein.“

Ukrainerinnen halten in Mülheimer Unterkunft zusammen

Alle drei Frauen scheinen sich vorerst mit dem Leben im Camp arrangiert zu haben. Aktuell leben insgesamt 300 Personen auf dem Gelände. Davon 100 Kinder, gut 60 Männer und 140 Frauen. Für Kinder gibt es diverse Angebote zum Basteln, Spielen und Tanzen. Überwiegend organisiert vom Centrum für bürgerschaftliches Engagement. Doch auch untereinander sei der Zusammenhalt groß. „Wir sitzen alle im selben Boot. Man versucht sich immer gegenseitig zu unterstützen, ohne Hilfe geht hier eigentlich nichts“, so Nataliia Tlustova.

Anfangs wurde die Verpflegung noch vom DRK übernommen. Mittlerweile läuft alles selbstständiger auf dem Gelände. Die Geflüchteten sind registriert, erhalten Geld vom Jobcenter und kümmern sich selbst um ihre Bedarfe und Einkäufe. Dafür stehen den 300 Personen 28 Küchenräume zur Verfügung, 16 weitere werden aktuell noch gebaut. Das erfordert einiges an Organisation, bestätigt Artem Mednikov, die Verteilung laufe aber ohne große Probleme.

Freundschaften sind bereits in der Mülheimer Grundschule entstanden

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Die Tage werden durch Behördengänge, Kinderbetreuung und Alltägliches gefüllt. Auch durch Ausflüge versuchen sich die Frauen auch eigenständig von ihren Sorgen abzulenken. Sie habe sich schon einige umliegende Städte angeschaut, erzählt Anna Nosyk. Sehr gefallen habe ihr der Kölner Dom. Nachbarin Tlustova ist vor allem bemüht, ihrer Tochter ein bisschen Leichtigkeit zu erhalten. Gemeinsam mit anderen Müttern und deren Kindern sei sie schon ins Legoland und ins Aqualand gefahren.

Aber nur nachmittags und an den Wochenenden, denn Tochter Veronika besucht die Grundschule am Klostermarkt. Der Anfang sei schlimm gewesen, aber: „Inzwischen hat sie auch deutsche Freunde gefunden. Sie unterhalten sich zwar mit Händen und Füßen, aber spielen manchmal nach dem Unterricht noch auf dem Schulhof“, erzählt die Mutter erleichtert.

Ukrainerin in Mülheim: „Wahre Freunde erkennt man in der Not.“

Auch wenn die drei Frauen unterschiedliche Zukunftsvisionen haben, eint sie eine aufrichtige Dankbarkeit für die Aufnahme in Mülheim. Mit so viel Herzlichkeit, Unterstützung und Anteilnahme hatten sie nicht gerechnet. Anna Nosyk hält kurz inne und zitiert ein Sprichwort, das auch in Deutschland sehr bekannt ist: „Wahre Freunde erkennt man in der Not.“