Mülheim. Der Mülheimer Reinhard Jehles gründete 2014 erfolgreich den Verein „Willkommen in Mülheim“, um Geflüchtete zu unterstützen. Welche Tipps er hat.
Wenn es um Hilfe für Geflüchtete in Mülheim geht, fällt schnell ein Name: Reinhard Jehles. 2014 gründete Jehles den Verein „Willkommen in Mülheim“(WiM). Er koordinierte die anfangs große Spendenbereitschaft der Mülheimerinnen und Mülheimer, mietete Lagerräume und sammelte ein tatkräftiges Team um sich.
Als Reinhard Jehles auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung im Jahr 2015 gefragt wurde, was er sich für die Zukunft wünsche, antwortete er: „Dass die Initiative nicht mehr gebraucht wird.“ Drei Jahre später, 2018, konnte sich der Verein auflösen.
Ukraine-Krieg stellt Europa vor Herausforderungen
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Doch 2022 steht Europa vor neuen Herausforderungen – auch in Mülheim kommen viele Menschen an, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Ein guter Zeitpunkt, bei Reinhard Jehles nachzufragen, was man aus der Vergangenheit lernen kann und welche Fehler sich vermeiden lassen.
Jehles steht heute kurz vor der 70, aus gesundheitlichen Gründen ist er heute nicht mehr mittendrin im Geschehen, sondern versucht die engagierten Mülheimerinnen und Mülheimer im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen. „Leute rufen mich an und wollen den Menschen aus der Ukraine helfen, ich versuche dann die Leute in die richtige Richtung zu lenken.“ Dabei greift er auf sein weitreichendes Netz an Kontakten zurück. Auch in der Facebook-Gruppe von WiM lenkt er noch die Geschicke. „Eben die Sachen, die ich von zuhause aus leisten kann.“
Jehles zeigt sich begeistert von Mülheims Engagement
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Für Jehles sei es schön zu sehen, wie sich nun neue Hilfsangebote für Geflüchtete finden. Egal, ob Rolli Rockers, der evangelische Kirchenkreis oder die Caritas. „Ich habe mich sehr über die schnelle und starke Solidarität gefreut“, so Jehles.
Und über einen weiteren Punkt ist er erleichtert. „Zum Glück ruft die Situation nicht Gruppen wie Pegida oder die AfD auf den Plan. Bei den Menschen aus Syrien war das ein großes Problem. Damals hat man versucht, die Leute in eine ganz böse Ecke zu drängen.“ Ihm war es wichtig, mit seiner Arbeit auch eine Art Öffentlichkeitsarbeit für die Geflüchteten zu leisten und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen.
Dem Mülheimer hatte die rechte Stimmung stark zugesetzt
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Damals habe ihm der rechtsextreme Gegenwind stark zugesetzt. „Die Aktionen der Nazis musste man selbst erst einmal verkraften“, doch er habe sich dabei vor allem die Frage gestellt: „Wie fühlen sich die Flüchtlinge? Wenn sie erst engagiert empfangen werden und dann merken, sie sind hier doch nicht willkommen?“
Gleichwohl, die kulturellen Unterschiede habe er auch für syrische Geflüchtete als Herausforderung erlebt, die ukrainische Kultur hingegen würden Deutsche als ähnlicher erleben. „Dabei gibt es schon große Unterschiede zwischen der russischen und ukrainischen Mentalität“, das habe ihm vor allem eine ukrainische Bekannte erklärt.
Worauf sollte Mülheim bei der Hilfe achten?
Doch worauf sollten Integrationshelfende und motivierte Bürgerinnen und Bürger nun achten? „Ich glaube, die damals geleistete Hilfe hat sich gut entwickelt, gerade die Einschulung der Kinder spielt eine große Rolle für die Integration.“ Auch 2022 sei es wichtig, die Menschen gut zu begleiten und schnell in einen Alltag zu integrieren.
Aber auch eine andere Herausforderung kennt er aus eigener Erfahrung. Der Drahtseilakt mit gespendeten Dingen. „Als wir 2015 mit einem Spendenaufruf gestartet haben, war die Masse an Spenden überwältigend. Wir hatten mit so viel Unterstützung nicht gerechnet“, blickt Jehles zurück.
Jehles: „Mülheimer wollten Gutes tun“
Mit der Zeit habe die Qualität der Spenden deutlich abgenommen. „Jede Woche stand ein großer Container, den wir bis oben hin mit wirklich unbrauchbaren Spenden füllen mussten.“ Ein logistischer und finanzieller Zusatzaufwand für die WiM-Gruppe. „Es muss ja sowieso alles sortiert, organisiert und an Bedürftige verteilt werden.“ Außerdem sorge die generelle Lagerung der gespendeten Kleidung bei allen Hilfsorganisationen für hohe Kosten.
Reinhard Jehles ist es wichtig, niemanden vor den Kopf zu stoßen: „Die Spenden kommen ja aus reinem Herzen. Die Leute sagen, sie haben vielleicht selbst kein Geld, wollen aber Gutes tun und geben ihre eigenen Hemden und Kleider ab.“ Eine noble Geste, die man nicht verprellen möchte, so der engagierte Mülheimer.
Offene Kommunikation hilft am meisten
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Aber die Form der Hilfsbedürftigkeit verändere sich im Laufe der Zeit ganz natürlich. „Wer nach langer Flucht mit nur einem Hemd in Mülheim ankommt, für den ist das zweite Hemd toll. Doch wenn er dann fünf Hemden hat, konzentriert er sich eher auf andere Probleme und Dinge, die ihm fehlen.“ Es stünde auf dünnem Eis. „Wenn man den Menschen sagt, das brauchen wir leider nicht, haben manche das Gefühl: ‚So schlecht kann es denen gar nicht gehen‘.“ Und das sei das falsche Signal.
Doch wie lässt sich das Problem lösen? „Viele Organisationen sagen ja auch konkret, was sie benötigen.“ Offene und ehrliche Kommunikation und im Zweifel auch Erklärungen für die Spendenden halte er für besonders wichtig. „Die Leute benötigen keine Wohnzimmerdekoration.“ Natürlich sei es nicht für alle möglich, finanziell Gutes zu tun, doch Geldspenden würden besonders den Kauf von Medikamenten ermöglichen. „Die Helferinnen und Helfer wissen oft am besten, was aktuell benötigt wird.“
Mülheims Infrastruktur steht noch
Was die allgemeine Organisation der Kommunen angeht, zeigt er sich zuversichtlich. „Damals musste alles neu aufgebaut werden. Es gab keine Erfahrungswerte, auf die man zurückgreifen konnte.“ Egal, ob Notunterkünfte oder Behörden. „So schrecklich es ist, dass es das je gegeben hat, das heutige Management wird dadurch immens vereinfacht.“
Schon in der Vergangenheit habe es eine Diskrepanz in seinem Herzen gegeben. „Wir haben damals gedacht, wir können als Team stolz darauf sein, was wir geschafft haben. Wie vielen Menschen wir helfen konnten. Aber wir mussten es nur schaffen, weil andere Leute vorher leiden mussten. Es ist eigentlich eine Katastrophe.“
„Willkommen in Mülheim“ konnte viel erreichen
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Von seinem Engagement bereut Reinhard Jehles keine Minute. „Ich bin kürzlich in der Innenstadt gewesen und zwei junge Männer von früher kamen mir mit ihren Familien entgegen. Sie haben sich in den letzten Jahren stark verändert, haben mich aber sofort erkannt und wir haben uns kurz unterhalten.“
Den Familien konnte WiM damals helfen, heute sind sie ein zufriedener Teil der Mülheimer Gesellschaft. Die Geschichte von Reinhard Jehles und „Willkommen in Mülheim“ zeigt, Solidarität und Nächstenliebe sind wertvoll und Engagement um Integration zahlt sich aus.