Mülheim. Von der Langzeitarbeitslosigkeit zur unbefristeten Stelle: Cedric Jesko aus Mülheim hat es geschafft. Über Vorurteile und Herausforderungen.

Getränke einräumen, Backwaren zubereiten, die Kundschaft bedienen und beraten: Cedric Jeskos Tage sind abwechslungsreich. Seit drei Jahren arbeitet der 40-jährige Mülheimer in der Jet-Tankstelle an der Kölner Straße. Nach langen Schichten würden ihm schon mal die Füße wehtun, aber: „Es ist besser zu arbeiten, als nur zu Hause zu hocken. Da fällt einem die Decke auf den Kopf. Das ist echt mies.“

Sich von Minijob zu Minijob hangeln, Maßnahmen vom Amt wahrnehmen, die Tage in der Wohnung verstreichen lassen: Jeskos Alltag war lange von der scheinbar aussichtslosen Suche nach einem Job geprägt. Nachdem er 2004 eine Ausbildung zur Bürokraft absolvierte, fand er keine Stelle. Jahrelang. „In dem ersten Jahr, in dem ich arbeitslos war, habe ich an die 200 Bewerbungen geschrieben. Wenn ich Glück hatte, wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Meistens kam aber nicht mal eine Rückmeldung.“

Intensive Betreuung und Beratung: Förderprogramm für Langzeitarbeitslose

Um Langzeitarbeitslose wie ihn wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hat der Bund 2019 das Teilhabechancengesetz beschlossen. Dieses richtet sich an erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die älter als 25 Jahre und mindestens seit sechs Jahren ohne nennenswerte Beschäftigung sind, sowie an Leistungsbeziehende mit einem minderjährigen Kind und an Menschen mit Behinderung, die seit mindestens fünf Jahre ohne Arbeit sind.

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„Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, sollen wieder eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt erhalten, indem ihre Beschäftigungsfähigkeit durch intensive Betreuung, individuelle Beratung und wirksame Förderung verbessert wird“, heißt es dazu vom Bundesarbeitsministerium.

Ehemals langzeitarbeitsloser Mülheimer bekommt Festanstellung

Die Arbeitsverträge werden zunächst für zwei Jahre geschlossen – und zu 100 Prozent durch den Bund finanziert. Im dritten Jahr zahlt der Bund noch 90 Prozent der Lohnkosten, im vierten Jahr 80 Prozent und im fünften Jahr 70 Prozent. Erst ab dem sechsten Jahr muss der Arbeitgeber die Kosten dann allein tragen, sofern er den Mitarbeitenden übernimmt.

Für Jeskos Chef Denis Voigt sei diese Förderung jedoch nicht ausschlaggebend gewesen. Die finanzielle Unterstützung würde schließlich nichts bringen, wenn der Angestellte nicht zuverlässig und freundlich sei. Sie ermöglichte es ihm jedoch, seinem neuen Angestellten alles in Ruhe zu zeigen, ihn in alle wichtigen Aufgaben einzuarbeiten. Mit Erfolg. Mittlerweile sei Jesko „längst zu einer festen Größe im Betrieb geworden“. Deshalb hat Voigt seinen Vertrag entfristet und ihn fest angestellt.

Weniger Qualifizierungsmaßnahmen in Mülheim – durch Corona-Pandemie

„Eine direkte Entfristung ist sehr ungewöhnlich“, sagt Heike Gnilka vom Jobcenter. 164 langzeitarbeitslose Mülheimerinnen und Mülheimer nehmen laut Jobcenter am Förderprogramm teil. 2021 wurden dafür 53 neue Arbeitsstellen eingerichtet. „Deutlich weniger als prognostiziert“, bedauert Jobcenter-Chef Oliver Vrabec. Aufgrund der Corona-Pandemie seien in Mülheim insgesamt weniger Qualifizierungs- und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wahrgenommen worden.

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Dabei ermöglicht das Teilhabechancengesetz laut Jobcenter Langzeitarbeitslosen häufig einen Neuanfang. Wie viele von ihnen letztendlich wie Jesko übernommen werden, lasse sich rund 2,5 Jahre nach Programmstart noch nicht sagen. Allerdings hätten die Betroffenen aufgrund der gesammelten Arbeitserfahrung generell deutlich bessere Berufsaussichten als zuvor.

Ehemaliger Langzeitarbeitsloser aus Mülheim: „Viele hatten Vorurteile“

Außerdem können sich Teilnehmende im Rahmen des Programms weiterbilden. So plant Jesko, seinen Führerschein zu machen, um flexibler bei der Schichteinteilung zu sein. Für ihn bedeutet das Teilhabechancengesetz vor allem die Möglichkeit, Vorurteile gegenüber arbeitslosen Menschen abbauen zu können.

Arbeitslosigkeit in Mülheim

Die Mülheimer Agentur für Arbeit kann sinkende Zahlen bei der Arbeitslosigkeit vermelden. 60.563 Personen sind aktuell sozialversicherungspflichtig beschäftigt, und damit 1202 Beschäftigte mehr als im Juni 2021 (+2,0 %) sowie 1205 Personen mehr als im Vorjahresquartal (September 2020).

Umgekehrt bedeutet das allerdings auch: 6998 Mülheimerinnen und Mülheimer sind arbeitslos gemeldet. Unterschieden sind diese in 1659, die arbeitslosenversichert sind, und 5339, die eine Grundsicherung beziehen. In beiden Bereichen sinken erfreulicherweise aber die Zahlen.

Bei den Langzeitarbeitslosen (4169) hingegen ist es umgekehrt. Gegenüber Februar sind es 64 Menschen weniger als noch vor einem Monat, im Jahrestrend aber stieg ihre Zahl um 238.

„Ich wollte arbeiten. Immer. Aber viele hatten Vorurteile und haben mir keine Chance gegeben. Ich bin heilfroh, dass es jetzt so gut geklappt hat.“