Mülheim. Der Ukraine-Krieg löst auch in Mülheim Angst vor einem nuklearen Notfall aus. Die Stadt hat jetzt einen Plan für die Verteilung von Jodtabletten.

Wenn ein nuklearer Zwischenfall auftritt, können Jodtabletten verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse sammelt. Die Präparate müssen sehr hoch dosiert sein, Personen ab 45 Jahren sollten die Finger davon lassen, und eine vorbeugende Einnahme ist riskant.

Da aber die Informationen über den Nutzen von Jodtabletten vielfach lückenhaft sind, haben seit Ausbruch des Ukraine-Krieges vor knapp einem Monat viele Menschen auch in Mülheim danach gefragt. Zuletzt seien diese Anfragen allerdings schon wieder weniger geworden, berichtet Patrick Marx, Inhaber von drei Apotheken. Die handelsüblichen Produkte seien auch viel zu niedrig dosiert, um eine Jodblockade zu bewirken, „die anderen sind nicht zu bekommen“.

Gesundheitsschutz bei nuklearem Zwischenfall wieder Thema in Mülheim

Gleichwohl ist die Verteilung von Jodtabletten an die Bevölkerung angesichts des Krieges wieder im Gespräch. Auch der Mülheimer Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (AGS) hat sich in seiner jüngsten Sitzung damit befasst. Auslöser war ein Antrag der SPD-Fraktion: Sie bat die Verwaltung, ihr Konzept für Gesundheitsprävention und -schutz bei einem nuklearen Zwischenfall zu erläutern, auch die Versorgung mit Jodtabletten.

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Dabei ist das Thema als solches nicht neu. Bereits 2015 waren die bundesweiten Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen geändert worden. Die SPD erinnert daran, dass seinerzeit angekündigt worden sei, entsprechende Einsatzpläne für die Stadt Mülheim zu entwickeln.

Ausreichender Tablettenvorrat lagert bei der Mülheimer Feuerwehr

Im Jahr 2016 wurde die Stadt durch das Land NRW mit einem Vorrat an Jodtabletten versorgt. Sie sollen im Notfall schnell verfügbar sein und innerhalb weniger Stunden eingenommen werden können. Hintergrund vor sieben Jahren waren mögliche Störfälle in einem der grenznahen belgischen Atomreaktoren, deren Laufzeit aufgrund des Ukraine-Krieges gerade um zehn Jahre bis mindestens 2035 verlängert wurde.

Der damals angelegte Tablettenvorrat lagert derzeit bei der Mülheimer Feuerwehr. Nach Auskunft von Feuerwehrchef Sven Werner sind ausreichend Tabletten vorhanden, um die Bevölkerung zu versorgen, und das Haltbarkeitsdatum der Medikamente sei auch noch nicht abgelaufen.

Kämpfe um ukrainische Atomanlagen lösen Ängste und Sorgen aus

Aktuell sind es die Kämpfe um ukrainische Atomanlagen, speziell um das größte Atomkraftwerk Europas in Saporischschja, die tiefe Besorgnis auslösen. Durch diese Ereignisse „ist das Szenario eines nuklearen Zwischenfalls realistisch geworden“, argumentiert die Mülheimer SPD-Fraktion. Eine Vorbereitung von Behörden und Bevölkerung sei zwingend erforderlich.

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Angesichts der Hamsterkäufe von Jodtabletten hatte zuletzt auch NRW-Innenminister Herbert Reul vor einer Selbstmedikation mit hoch dosierten Präparaten gewarnt, die gesundheitlich riskant und nutzlos sei. Für den Ernstfall seien ausreichende Bestände an Jodtabletten eingelagert, erklärte Reul vor knapp zwei Wochen. Wie mit den Vorräten weiter zu verfahren ist, erläuterte Dr. Frank Pisani, Leiter des Mülheimer Gesundheitsamtes, vor dem Sozialausschuss.

Stadt Mülheim will Tabletten im „Bedarfsfall“ über die Apotheken verteilen

Zunächst einmal dürfen die Jodtabletten im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg nur auf Weisung des Landes verteilt werden, so Pisani. „Die Stadt hat dabei keinerlei Ermessensspielraum.“ Gelagert werden sollen die Tabletten künftig jeweils zur Hälfte bei Mülheimer Apotheken und bei der Feuerwehr.

Die Verteilung soll über die Apotheken erfolgen. Zur Begründung sagte der Gesundheitsamtsleiter: „Jeder weiß, wo die nächstgelegene Apotheke ist, außerdem können die Apotheker auch bei fachlichen Fragen und Unsicherheiten weiterhelfen.“ Und: Die Medikamente werden dort korrekt gelagert.

Schutz vor Schilddrüsenkrebs

Sehr hoch dosierte Jodtabletten können bei einem nuklearen Zwischenfall vor der Aufnahme von radioaktivem Jod schützen und dadurch vor Schilddrüsenkrebs.

Sie werden in einem Radius von 100 km vom Störfall für die Bevölkerung unter 45 Jahren ausgegeben sowie im gesamten Bundesgebiet für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie für Schwangere.

Für Personen im mittleren und höheren Alter ist die Einnahme von Jodtabletten dagegen riskant, da es zu lebensgefährlichen Störungen des Schilddrüsenstoffwechsels kommen kann. Die Altersgrenze wird hier bei 45 Jahren gezogen.

Das Personal der Feuerwehr und des Gesundheitsamtes sei im Notfall auch anderweitig gebunden, so Pisani. Das Konzept sei noch nicht komplett ausgearbeitet, die Mülheimer Apotheken hätten aber schon Zustimmung signalisiert.

Auch Apotheker Patrick Marx hält diese Überlegungen der Stadt Mülheim für sinnvoll. Er sagt: „Entscheidend ist die Geschwindigkeit. In dem Moment, wo es einen Zwischenfall gibt, hat man nur ein paar Stunden Zeit. Man muss die Schilddrüsenblockade zum richtigen Zeitpunkt vornehmen, nicht zu früh und nicht zu spät.“