Mülheim. Die Mülheimerin Karin Cruysen verkauft seit 40 Jahren Mode und Dessous. Im Geschäft von Frau zu Frau bleibt ihr auch sonst nicht viel verborgen.
Das Dorf Saarn ist voll von attraktiven Modeadressen, und vielfach leuchtet es dort in knalligen Saisonfarben: Pink, Orange, Grasgrün. Nicht im Schaufenster von Karin Cruysen Mode & Dessous, einem Traditionsgeschäft auf der Düsseldorfer Straße. Die angesagten Frühlingslooks, „die hat ja jeder“, sagt die Inhaberin. Kurzlebige Trendware führt sie nicht. Junge Leute shoppen woanders.
Der Laden von Karin Cruysen feiert in diesem März 40-jähriges Bestehen, im Sortiment sind Oberbekleidung, Bademode, Wäsche, Strümpfe – gediegene Marken. Besonders BH-Kauf ist Vertrauenssache. Auf professionelles Vermessen kommt es an – und auf den geübten Blick.
Mülheimer Geschäftsfrau: „Ich müsste ‘nen Talar tragen“
Sie habe schon Frauen mit ihrer Fähigkeit überrascht, die richtige BH-Größe durch Pullover und Mantel hindurch zu schätzen, erzählt Karin Cruysen. Auch in anderer Beziehung durchschaut sie manche Kundin, die sich exklusive Wäsche zulegt: „Ich frage dann: ,Ist das für Ihren Ehemann, oder gehen Sie auf die Rolle?’“ Karin Cruysen darf so direkt fragen. Ihre Arbeit ist auch Lebensbegleitung, sie sagt es so: „Ich müsste ‘nen Talar tragen.“
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Manche Kundinnen sind Karin Cruysen seit 40 Jahren treu, seit ihr Geschäft besteht. Die Schwestern Eleonore und Irene Irmer gehören dazu, inzwischen 82 beziehungsweise 80 Jahre alt, stets gemeinsam unterwegs. Mit dem, was der Mode- und Dessousladen hergibt, sind sie weitgehend eingekleidet, von den Strümpfen über den Blazer bis zum Schal. Einen Wintermantel, den sie vor geschätzt dreieinhalb Jahrzehnten hier erstanden hat, habe sie gerade erst weggegeben, sagt Irena lrmer.
Karin Cruysen erinnert sich sofort an diesen Mantel, an den Stoff, die Marke. „Sie weiß genau, was in unseren Kleiderschränken ist“, sagen die Stammkundinnen der ersten Stunde.
In ganz Düsseldorf nichts gefunden – aber in Saarn
Auch für Barbara Kleinschmidt ist der Laden erste Anlaufstelle in Sachen Mode, seit sie ihn 1982 erstmals mit gefüllten Tüten verließ. Die passende Story dazu haben beide Seiten noch präsent, Karin Cruysen zögert nicht, sie zu erzählen: Der Ehemann der Kundin habe damals ein „Taschengeld“ spendiert, die Gattin sollte sich damit einen schönen Tag machen. „Sie ist durch ganz Düsseldorf gelaufen und hat nichts gefunden“, erinnert sich die Saarner Geschäftsfrau. „Dann kam sie zu mir.“ Und blieb gewissermaßen bis heute.
Vor vier Jahrzehnten hing noch vieles vom Wohlwollen der Männer ab – in der Regel auch eine Geschäftseröffnung, wie Karin Cruysen sie wagte, damals Hausfrau und Mutter, Ende Dreißig, die Kinder waren elf und 15 Jahre. Ihr Partner war von der Idee nicht begeistert, doch sie setzte sich darüber hinweg und übernahm das ehemalige Modegeschäft Menzen. „Ich wollte schon immer einen eigenen Laden haben und bin sofort voll eingestiegen. Aber richtig.“
Jeden Geburtstag habe sie mit Kundinnen gefeiert und kürzlich auch den 40. ihrer Boutique. „Sie sind meine erweiterte Familie“, sagt die 78-Jährige. Sie suchen ihre Nähe, so dass ihr Geschäft auch Begegnungszentrum ist, geschützter Raum. Es kämen Kundinnen, die ihren Partner verloren haben, berichtet Cruysen, die trauern. „Sie wollen nur mit mir sprechen, sie müssen auch gar nichts kaufen.“
Bei ihr stehe der Mensch im Mittelpunkt, und genau damit könne ein traditionsreiches Fachgeschäft punkten. Ohne Instagram-Account, ohne Website, aber mit erfahrenem Personal. Verkäuferin Jutta Jansen arbeitet seit 36 Jahren hier.
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Durch die Corona-Flaute, durch den Lockdown, haben Kundinnen sie und ihr Team getragen, berichtet Karin Cruysen dankbar. Ein Beispiel: Eine Frau habe an die Schaufensterscheibe geklopft, mit 500 Euro in der Hand, die sie mit den Worten übergab: „Ich möchte, dass Sie die Corona-Zeit überleben.“ Jetzt läuft der Laden wieder wie gewohnt, wenngleich die Chefin längst nicht mehr jeden Tag arbeitet. Das Stehen fällt ihr schwer.
„Frauen haben mehr Oberweite“: Aus Standard-Körbchengröße B wurde C
Wenn Karin Cruysen die vier Jahrzehnte Revue passieren lassen, stellt sie Veränderungen fest. Das Saarner Dorf habe sich äußerst positiv entwickelt: „Jetzt gibt es hier viele wirklich hochwertige Geschäfte.“ Verändert hätten sich auch die Schnitte und Größen der Mode, die sie verkauft. Was früher, sagen wir, 38 war, ist jetzt 36. Und: „Die Frauen haben mehr Oberweite.“ Aus der früheren Standard-BH-Größe 75/80 B sei jetzt „C wie Cäsar“ geworden, stellt die Fachfrau fest. Sie führt es auf Hormone zurück, die schon sehr junge Mädchen zu sich nehmen.
Zwei Cruysen-Geschäftsfrauen
Auch Karin Cruysens Tochter Anja ist als Geschäftsfrau im Dorf Saarn aktiv. Sie betreibt an der Düsseldorfer Straße 107 ein Atelier für Inneneinrichtung und Raumgestaltung.
Das Mode- und Dessousgeschäft von Karin Cruysen an der Düsseldorfer Straße 30 befand sich anfangs schräg gegenüber (Hausnummer 45, ehemals Menzen). Zwischenzeitlich zog sie mit ins Loft ihrer Tochter.
Eines habe sich nicht verändert, meint Karin Cruysen: der kritische Blick von Frauen auf den eigenen Körper. Ihr Ziel ist, den perfekten BH zu finden, „für ein rundum gutes Körpergefühl“. Doch zufrieden mit ihrer Figur sei kaum eine Frau, „die am besten aussehen, sind am unzufriedensten und überlegen, an welchen Stellen man noch nachhelfen könnte“. Dabei sind die Umkleidekabinen im Dessousgeschäft, wo die Kundinnen vor den Spiegel treten, bewusst mit warmem Licht ausgestattet. „Zufriedenheit kann man nicht kaufen“, auch das ist eine Erkenntnis nach 40 Jahren im BH- und Bademodengeschäft.