Mülheim. Ein Mülheimer Arzt mit Familie in Kiew bittet um Spenden für ukrainische Kliniken. Die Bilder aus dem Krieg erschüttern den Intensivmediziner.
Bei der Friedenskundgebung am Sonntagabend auf dem Rathausmarkt hat Andrej Kostenko zum Mikrofon gegriffen und um Hilfe gebeten für sein Heimatland. Der Arzt lebt in Mülheim, stammt aber aus Kiew. Dort harrt ein großer Teil seiner Familie aus. „Ich bekomme schreckliche Bilder von den Angriffen, von den Zerstörungen“, sagt der 40-Jährige.
Mit Freunden hat Kostenko jetzt eine Hilfsaktion gestartet, ein Spendenkonto eingerichtet, denn auf den massiven, blutigen russischen Angriff sei das Land nicht vorbereitet gewesen. Medizinische Materialien würden dringend gebraucht: Skalpelle, Spritzen, Pflaster, Nähmaterial, Infusionssysteme, Brandwundtücher, Schmerz- und Narkosemittel, Antibiotika und vieles mehr.
Mülheimer Arzt mit ukrainischen Wurzeln: „Mir kommen die Tränen“
Andrej Kostenko berichtet, er habe sein Medizinstudium noch in Kiew abgeschlossen, sei 2006 als junger Arzt nach Deutschland gekommen. Berufliche Stationen waren unter anderem das Universitätsklinikum Essen, das Mülheimer St. Marien-Hospital sowie das BG Klinikum in Duisburg. Kostenko ist Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin.
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Der Familienvater sagt, er arbeite seit Jahren auf Intensivstationen: „Ich habe schon schlimme Unfälle und Verletzungen gesehen, aber dieser Krieg, das ist etwas anderes. Bei der Arbeit schaltet man den Kopf ab und hilft. Wenn ich jetzt aber sehe, dass die Kinder meines Bruders im Bunker sitzen, kommen mir die Tränen.“
Er sieht diese Bilder täglich – in WhatsApp-Nachrichten, die seine Verwandten ihm schicken. Im schwer umkämpften Kiew lebt nicht nur sein Bruder mit Familie, auch Cousine, Tante, die Schwiegereltern, die Oma. Sie sind entschlossen zu bleiben. „Sie haben nicht vor, zu fliehen“, sagt Kostenko. „Die Frauen sind im Bunker, die Männer mit auf der Straße.“ Der Schwiegervater, ein 67-jähriger Mann, sei Militärarzt. „Er wird dabei sein.“
„Insulin fehlt für die Leute in Bunkern und U-Bahn-Schächten“
Aus Studienzeiten habe er noch viele Kollegen, die in ukrainischen Krankenhäusern arbeiten. „Dort werden die Medikamente knapp. Meine Verwandten aus Kiew berichten auch, dass die Apotheken zu sind. Es fehlt Insulin für die Leute, die in den Bunkern sitzen und in den U-Bahn-Schächten.“
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Kostenko erfährt von seinen ukrainischen Verwandten und Freunden erschütternde Einzelheiten, er hört Geschichten, die den grausamen Irrsinn dieses Krieges vor Augen führen. So heißt es, russische Agenten seien in den Städten unterwegs, um Gebäude, die gezielt beschossen werden sollen, mit Farbe zu markieren. Damit sie per Satellit erkennbar seien. Krankenhäuser seien darunter, ein großes Kinderkrankenhaus sei bereits angegriffen worden. „Wie kann man auf Kinderkrankenhäuser schießen?“, fragt der Arzt, fassungslos. „Dieser Wahnsinn muss beendet werden.“
Mülheimer Apotheker unterstützen die Spendenaktion
Unterstützung für Kostenko kommt auch von Seiten der Mülheimer Apothekerinnen und Apotheker. So berichtet Patrick Marx, Inhaber von drei Apotheken in Mülheim, die ukrainische Botschaft habe eine Liste erstellt und veröffentlicht, mit all den Medikamenten und Materialien, die gerade am dringendsten fehlen. Er versuche gerade, einiges zu organisieren. „Die Situation ist ja noch ganz frisch. Es muss das Richtige sein, und es muss ankommen.“
Man habe durchaus Erfahrungen mit Spendenaktionen, habe jahrelang für Kuba gesammelt, dabei aber auch festgestellt, dass es nicht unbedingt hilfreich ist, alte Medikamente zu verschicken. „Da kommt auch viel Müll zusammen“, meint Patrick Marx, „manchmal ist Geld sinnvoller, damit Hilfsorganisationen Dinge palettenweise besorgen und hinbringen können, die für die Kranken und Verletzten gebraucht werden.“
Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in Mülheim macht für die Aktion von Andrej Kostenko mobil. KV-Vertreter Dr. Stephan von Lackum kündigt an, alle niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner würden angeschrieben, um die Aktion zu unterstützen - „mit Medikamentenproben aus ihrer Praxis, gekauften Medikamenten oder Hilfe sonstiger Art“.
Russische Freunde melden sich
Die Familie von Andrej Kostenko hat auch freundschaftliche Beziehungen nach Russland, da der Schwiegervater sein Studium in Sankt Petersburg absolviert hat.
Russische Freunde wagten momentan aber nicht, sich direkt bei den Ukrainern zu melden, berichtet Kostenko - aus Angst, dass solche Kontakte von den russischen Behörden überwacht werden.
„Sie fragen daher bei uns an, wie es den Eltern und Schwiegereltern in Kiew geht, und haben selber auch keinerlei Informationen.“
Von Lackum würde das Thema auch gerne im städtischen Krisenstab vorantreiben: „Wir müssen bestmöglichst aufgestellt sein, um diesen armen Menschen vor Ort, aber auch hier in unserer Stadt, helfen zu können!“
Mülheimer Ärztin spendet drei Beatmungsgeräte
Andrej Kostenko und seine Mitstreiter haben bereits die ersten Spenden bekommen. So stellte eine Mülheimer Ärztin spontan drei Beatmungsgeräte zur Verfügung und einen Oxygenator - ein Gerät, das Blut mit Sauerstoff anreichert. „Manche geben auch Verbandsmaterial“, berichtet der Arzt, „alles zählt.“
Weiteres Versorgungsmaterial will er selber kaufen und bis an die polnisch-ukrainische Grenze fahren. „Dort wartet schon mein Schwiegervater auf Medikamente. Er hat einige Frauen nach Polen gebracht, um sie aus dem Beschuss zu nehmen. Er selber bleibt auf ukrainischer Seite.“ Zwei Transporter hätten sie schon organisiert, sagt Kostenko. Wann die erste Tour losgehen soll? „Am besten schon Dienstag.“
Geldspenden werden über folgende Bankverbindung entgegen genommen: IBAN DE 66 100777770542539200 (Kontoinhaber: Konstantin Gorbatsch, ein Freund Kostenkos), oder über PayPal kgorbatsch@gmail.com. Die Verwendung der Spenden soll dokumentiert werden auf der Facebook-Seite von Maria Gorbatsch (facebook.com/maria.gorbatsch.7). Es können keine Spendenquittungen ausgestellt werden, da es sich hier nicht um einen Verein oder eine andere offizielle Organisation handelt.