Mülheim. Wohnen Menschen hinter modernen, wärmegedämmten Fassaden gefährlich? Nach dem dramatischen Feuer in Essen stellt sich die Frage auch in Mülheim.

Der Großbrand in der Essener Innenstadt, bei dem Montagnacht ein ganzer Häuserblock zerstört wurde, bewegt auch die Menschen in Mülheim. Auch hier in der Stadt hat es in jüngster Zeit folgenschwere Brandunglücke gegeben, zuletzt sogar mit einem Todesopfer – doch die Bilder und Berichte aus Essen besitzen eine besondere Dramatik.

Das empfindet auch Thorsten Drewes so, Sprecher der Mülheimer Feuerwehr mit rund 37-jähriger Berufserfahrung. Er sagt, auch im Namen seiner Kollegen: „So etwas hat noch keiner von uns erlebt. Das war schon einzigartig – Szenen, die man aus Deutschland normalerweise nicht kennt.“

Mülheimer Notfallseelsorger unterstützte Betroffene in Essen

Das Feuer raste die Fassade hoch, erschreckend schnell stand das gesamte Gebäude in Flammen. Er kenne natürlich die Dynamik eines Brandes, ergänzt Drewes, die knappen Zeitfenster, in denen man noch Menschen in Sicherheit bringen kann, doch er kenne es nicht in dieser extremen Form. „Es grenzt an ein Wunder, dass dort kaum jemand verletzt wurde.“

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Zwar waren keine Einsatzkräfte der Mülheimer Feuerwehr an den Löscharbeiten im Essener Universitätsviertel beteiligt, aus Mülheim fuhr jedoch ein Notfallseelsorger in die Nachbarstadt, wo es immens viele Betroffene gab. Und nicht nur Experten wie Thorsten Drewes beschäftigt nun die Frage, wie das Unglück passieren konnte, ob andere Häuser ähnlich anfällig sind, vielleicht auch Gebäude in Mülheim.

Die Ermittlungen in der Essener Brandruine laufen. Sie sind aufwendig, werden Zeit beanspruchen, doch naheliegend richtet sich der Blick auf die Außendämmung der Fassade und auch auf die Balkone, die am Essener Wohnblock großzügig mit PVC verkleidet waren, was zur dramatisch schnellen Ausbreitung des Feuers geführt haben könnte.

Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes, der auch die Mülheimer Feuerwehr angehört, hat nach dem Essener Großfeuer noch einmal höhere Sicherheitsvorschriften für Fassadensysteme gefordert: Die Gefahr durch Brände von außen, sogenannte Sockelbrände, müsste dringend berücksichtigt werden. Brandriegel aus nicht brennbarem Material in der Dämmung, in jedem Stockwerk, sollten gesetzlich vorgeschrieben werden.

Feuerwehrsprecher: Wärmedämmung teils im Widerspruch zum Brandschutz

In diesem Sinne weist auch Mülheims Feuerwehrsprecher Thorsten Drewes auf besondere Risiken hin und gibt zu bedenken: „Wenn in Fassaden sogenannte Wärmedämmverbundsysteme verbaut sind, die nicht der Brandsicherheit entsprechen, besteht die Gefahr des Übergreifens auf die Fassade und bei entsprechenden Umständen (z.B. Wind, Sturm) eine rasche Ausbreitung auf die gesamte Fassade.“

Dämmstoffe beunruhigen Brandexperten

Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (VFDB) ist ein Expertennetzwerk, dem auch die Feuerwehr Mülheim angehört.

Bereits 2017 hat die VFDB - gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren und dem Deutschen Feuerwehrverband - ein Positionspapier zur Sicherheit von Fassaden veröffentlicht.

Dabei geht es vor allem um Häuser, an denen Polystyrolschaum als Dämmstoff verarbeitet ist. Die Feuerwehren beobachten bei diesem System eine „rasante Brandausbreitungsgeschwindigkeit und enorme Rauchintensität“.

Im Positionspapier werden daher unter anderem Brandriegel in jedem Geschoss gefordert, die ein Übergreifen von Flammen verhindern können.

Im ausgebrannten Essener Wohnblock sei aber nicht der brennbare Kunststoff Polystyrol verwendet worden, sondern „absolut überwiegend“ Mineralwolle, erklärte ein Sprecher von Vivawest auf Anfrage der Funke Mediengruppe.

Die Wärmedämmung von Gebäuden sei aus Sicht der Energieersparnis sicherlich anders zu bewerten als aus Sicht des Brandschutzes, ergänzt Drewes: „Zwischen Energiesparpolitik und Brandschutz haben wir einen kleinen Widerspruch.“ Hier sollten die Zulassungsbehörden nachbessern und Alternativen suchen.

Für Mülheimer Bauaufsicht hat Essener Großbrand zunächst „keine!“ Konsequenzen

Die Stadt Mülheim sieht sich indessen nicht unmittelbar in der Pflicht. Gefragt nach Konsequenzen, die die Stadt aus dem Essener Unglück ziehe, antwortet Axel Booß, Leiter der Bauaufsicht: „Keine! Die Bauaufsichtsbehörden sind die Anwender des Gesetzes im Genehmigungsverfahren. Konsequenzen müsste entsprechend der Gesetzgeber ziehen.“ Oberstes Ziel des Bauordnungsrechtes sei der Personenschutz, ergänzt Booß, „und dieser scheint ja auch in Essen vollumfänglich funktioniert zu haben“.

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Beim Gebäudeschutz gehe es vor allem darum, ein Übergreifen von Bränden zu verhindern, so der Leiter der Mülheimer Bauaufsicht, der „eine grundlegende Kritik an Styrodur-Dämmungen“ äußert und daran, „ob die Klassifizierung als B1 (schwer entflammbar) korrekt ist“. Er kenne natürlich nicht die Baugenehmigung für den abgebrannten Gebäudekomplex in Essen, so Booß: „Ich weiß nicht, wie und was hier verbaut wurde.“

Mülheimer SWB versichert: Keine Balkonverkleidungen aus Kunststoff

Auch bei Mülheims städtischer Wohnungsbaugesellschaft SWB hält man sich mit Bewertungen der Essener Brandkatastrophe zurück. „Wir kennen die Brandursache nicht“, sagt SWB-Sprecherin Christina Heine, „und wollen uns an Spekulationen nicht beteiligen. Was wir auf jeden Fall sagen können: Wir benutzen als Balkonverkleidung kein PVC oder andere Kunststoffe, sondern gehen über zu geschlossenen Verkleidungen aus satiniertem Glas oder Trespa-Platten.“ Alle Neubauten der SWB verfügten sogar über gemauerte Loggien.

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Mit Blick auf die Fassadendämmung erklärt die Sprecherin der SWB: Seit den 2000er Jahren würde dort, wo es vorgeschrieben ist, nicht brennbare Mineralwolle statt Polystyrol als Dämmstoff verwendet. „Seit vier oder fünf Jahren verzichten wir durchgehend auf Polystyrol, sowohl bei Neubauten als auch bei Bestandsimmobilien, die energetisch saniert werden.“ SWB verfügt über rund 8500 Wohneinheiten in Mülheim.

Vivawest: Noch keine Rückschlüsse auf andere Gebäude möglich

Mit immerhin rund 1330 Wohnungen ist Vivawest in Mülheim vertreten – das Unternehmen, das sich nach dem Desaster in Essen nun öffentlich rechtfertigen muss. Sprecher Gregor Boldt teilte am Dienstagabend auf Anfrage mit, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Brandschutzauflagen in dem betroffenen Gebäude in Essen nicht eingehalten worden sind. „So lange die Brandursache nicht geklärt ist, lassen sich auch keine Rückschlüsse auf andere Gebäude im Bestand von Vivawest ziehen“, ergänzt er. Man unterstütze die Ermittlungen und müsse die Ergebnisse abwarten.

MWB-Sprecher: Werden genau beobachten, was sich als Erklärung herausstellt

Die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft MWB hält sich angesichts des verheerenden Feuers in Essen noch sehr bedeckt. Welche Konsequenzen MWB aus dem Großbrand zieht, könne man erst sagen, wenn die Ursache bekannt ist, erklärt Sprecher Andreas Winkler. „Die Fachleute werden vermutlich Monate benötigen, um den Grund für den Brand und die schnelle Ausbreitung des Feuers zu ermitteln. Wir werden aber genau beobachten, was sich hier schließlich als Erklärung herausstellt.“

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