Dortmund. Das Feuer in Essen öffnet den Blick auf Risiken bei der Dämmung und Verkleidung von Häusern. Experte Dirk Aschenbrenner warnt.

Experten nehmen den verheerenden Brand von Essen zum Anlass, auf die Gefahren hinzuwesen, die offenbar von modernen, wärmegedämmten Fassaden ausgehen. Dirk Aschenbrenner, Präsident der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes, VFDB, sagt: Die Vorschriften in Deutschland greifen zu kurz.

Herr Aschenbrenner, der VFDB wirbt nach dem Brand von Essen für bessere Brandsicherheits-Vorschiften. Warum?

Aschenbrenner: Wir wissen noch nicht, ob die Wärmedämmung in Essen der ausschlaggebende Faktor war. Wir nehmen allerdings den Brand in Essen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zum Anlass, um grundsätzlich auf das enorme Gefahrenpotenzial durch moderne Außenfassaden hinzuweisen. Feuer können sich dort extrem schnell verbreiten und die Feuerwehr vor unlösbare Probleme stellen. Es gib noch ein zweites Problem: Fenster sind in der Regel ein zweiter Rettungsweg neben dem Treppenhaus. Der fällt bei Fassadenbränden oft weg.

Das Bildmaterial aus Essen lässt vermuten, dass es eine Brandausbreitung über die oder vor der Fassade gab. An dem Gebäude waren offenbar Teile der Balkons verkleidet, und nach dem Brand ist nur die stählerne Grundkonstruktion der Balkone geblieben. Das heißt: Rund um die Balkone wurden scheinbar Materialien verbaut, die brennbar waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Kunststoffe waren, ist recht groß.

Welche Kategorien gibt es für Dämmmaterialien für die Außenfassade?

Aschenbrenner: Es gibt zwei Kategorien: Die Mindestanforderung ist „schwer entflammbar“. Dabei handelt es sich häufig um Polystyrol, umgangssprachlich Styropor. Zusammen mit dem Putz gilt eine solche Fassade als schwer entflammbar. Darüber gibt es die Kategorie „nicht brennbar“. Das kennen wir von Altbauten, bei denen die Fassade in der Regel aus Stein und Putz besteht. Das Phänomen der rasanten Brandausbreitung über die Fassade ist also recht neu und hängt zusammen mit der modernen Dämmung, bei der sehr oft „nur“ preiswertes Polystyrol verwendet wird. Die Alternative wäre die teurere Mineralwolle zur Dämmung. Ihr Vorteil: Sie ist nicht brennbar, deshalb empfehlen wir sie.

Wie schwer entflammbar ist Polystyrol mit Putz tatsächlich?

Aschenbrenner: Dafür gibt es ein genormtes Verfahren. Leider wurde die deutsche Norm noch nicht an den europäischen Standard angeglichen.

Was muss zur Verbesserung der Sicherheit passieren?

Aschenbrenner: Die Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes und andere Experten-Verbände fordern erstens den Sockelbrand-Test, bei dem ein Müllcontainer neben der Fassade brennt. Außerdem ist unser Vorschlag, zumindest im Erdgeschoss eine nicht brennbare Dämmung zur Pflicht zu machen und Brandriegel einzubauen. Das heißt: Pro Geschoss ein Riegel aus nicht brennbarem Material. Österreich und Frankreich haben das schon zur Pflicht gemacht.

Es gibt eine Liste mit mehr als 90 Bränden in Verbindung mit brennbaren Außenfassaden aus den vergangenen 20 Jahren. Das Phänomen ist also nicht neu. Wurden die Vorschriften in Deutschland nicht verschärft?

Aschenbrenner: Es hat marginale Anpassungen gegeben, aber leider keinen großen Durchbruch.

In jedem Neubaugebiet gibt inzwischen es solche Fassaden. Sind das alles tickende Zeitbomben?

Aschenbrenner: Da würde ich nicht widersprechen. Der Fall in Essen hat deutlich gemacht, welches Risikopotenzial Fassaden und Balkone beinhalten, wenn brennbare Baustoffe verwendet werden. Es gibt Tausende dieser Häuser. Solange der Putz komplett geschlossen ist, ist das Risiko reduziert. Wir stellen aber fest, dass vielerorts der Putz an der gedämmten Fassade bröckelt. Manchmal picken auch Vögel Löcher hinein. Dann reicht ein kleines Feuer aus, um das Material zu entzünden, und der Brand breitet sich schnell aus.

Die rasante Ausbreitung des Feuers in einem modernen Wohngebäude überrascht auch Prof. Jochen Zehfuß vom Zentrum für Brandforschung der TU Braunschweig. Aus seiner Sicht sind in Essen ungünstige Umstände zusammengekommen.

Aus der Distanz könne er zwar keine Aussagen über die Gebäudekonstruktion treffen, aber „die wahnsinnig schnelle Ausbreitung kann durch die großflächige Verwendung von Plastik an der Außenseite des Gebäudes etwa an den Laubengängen und Balkonen verursacht worden sein. Das Bodenmaterial der Balkone war sicher auch brennbar“, meint Zehfuß. Zudem seien an der Fassade vermutlich neben nicht brennbaren Mineralfaserplatten auch leichter entzündliche Wärmedämmverbundsysteme auf Polystyrol-Basis verbaut worden. „Das ist klassisches Baumaterial und auch zulässig.“

Ob die Brandschutzriegel, die ein Übergreifen der Flammen auf weitere Geschosse verhindern sollen, vorschriftsmäßig in jeder zweiten Etage eingebaut wurden, müssten Ermittlungen zeigen. Der starke Wind habe das Brandgeschehen zusätzlich angefacht. „Für ein solches Szenario sind die Brandschutzsysteme nicht ausgelegt“, so der Professor. Auf der anderen Seite habe das Brandschutzkonzept des Hauses grundsätzlich funktioniert: „Man hat die Menschen retten können, zudem hat die Tragekonstruktion des Hauses der Hitze standgehalten.“ Angesichts dieses Feuers und ähnlicher Brände zuvor plädiert Zehfuß für eine Verschärfung der Vorschriften und der stärkeren Verwendung nicht brennbarerer Dämmstoffe.

Spezielle Risiken bei Polystyrol

„Von polystyrolhaltigen Dämmstoffen gehen große Gefahren aus. Sie verhalten sich wie verfestigtes Heizöl, das, wenn es brennt, an der Fassade heruntertropfen kann“, warnt Dietmar Grabinger vom Lenkungsausschuss Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz des Verbandes der Feuerwehren NRW. Man solle das Thema auch bei anderen modernen Baustoffen im Blick behalten, zum Beispiel bei solchen aus Naturfasern. „Auch hier geht es um die Brennbarkeit. Zum Teil verbrennen sie nicht vollständig, setzen daher das gefährliche Kohlenmonoxid frei.“