Mülheim. Test-Chaos an Grundschulen: Mülheims Schulchefs sind arg belastet. Über ein Krisengespräch und den Appell eines Vaters an die Landesregierung.
Mülheims Schulen ächzen unter der Last, die ihnen das Scheitern der NRW-Teststrategie beschert. Am Donnerstag versuchte die Stadtverwaltung den Schulleitungen Hilfestellungen zu geben, damit die Schulen möglichst einheitlich dem Chaos begegnen.
Die Corona-Test-Strategie an den Grundschulen hat sich erneut geändert: Weiterhin müssen die Jungen und Mädchen zweimal wöchentlich am Lolli-PCR-Test teilnehmen. Falls dieser zu einem positiven Pool-Ergebnis führt, wird aber nur noch mit Schnelltests überprüft, wer infiziert sein könnte. Diese Tests werden am Folgetag in der Schule durchgeführt. Wer dabei mit positivem Resultat auffällt, kommt in Quarantäne.
Mülheimer Schulsprecher: „Der Organisationsaufwand ist gewaltig“
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Andreas Illigen, Sprecher der Mülheimer Schulleitervertretung und Leiter der Schildbergschule, kann der neuen Regelung einiges abgewinnen. „Der Organisationsaufwand für die Schulleiter aber ist gewaltig“, sagte er am Donnerstagvormittag. Etliche Detailfragen seien noch offen.
Am Donnerstagnachmittag schalteten sich die Schulchefs daher mit Krisenstabsleiter Dr. Frank Steinfort sowie Vertretern von Schul- und Gesundheitsamt zusammen. Das Ziel der Initiative, die laut Stadtsprecher Volker Wiebels der OB gestartet habe, sollte sein, alle Schulleiterinnen und Schulleiter auf den gleichen rechtlichen Sachstand zu den Testungen, zu Quarantäneregeln und Co. zu versetzen. „Mehr als eine Hilfestellung können wir nicht geben, das Wirrwarr entfaltet hat das Schulministerium“, so Wiebels.
Schulleiter: „Den ganzen Tag gehen Corona-Meldungen bei uns ein“
„Den ganzen Tag gehen per Telefon und Mail Corona-Meldungen bei uns ein – als Schulleiter mache ich nichts anderes mehr, als das zu sortieren“, so Illigen. 320 Schüler und Schülerinnen besuchen die Dümptener Grundschule; aktuell sind 55 von ihnen in Quarantäne. 34, weil sie selbst positiv getestet wurden, und die anderen, weil Familienangehörige infiziert sind. Seit Ausbruch der Pandemie haben sich bis zu 60 Kinder seiner Schule angesteckt, schätzt Illigen. An allen Mülheimer Schulen seien die Zahlen der positiv Getesteten aktuell „sehr hoch“.
Illigen kritisiert, dass die Schulleitungen erneut „sehr kurzfristig“ über die Veränderungen informiert worden seien. Auch wenn er „nicht von Chaos an den Schulen sprechen“ möchte: „Die Schulleitungen sind schon sehr, sehr, sehr belastet.“ 16- bis 17-stündige Arbeitstage seien zwischenzeitlich fast normal, „von morgens 6 Uhr bis abends 23 Uhr“ sei man beschäftigt. Illigen geht jeden Tag von Klasse zu Klasse, um abzuklären, wie die aktuelle Lage ist: Wer ist infiziert, wer ist genesen? Wer darf am Lollitest teilnehmen? „Es ist aufwendig und stressig, alle Informationen zusammenzuführen. Zumal es sich minütlich ändert.“
Noch sind viele Detailfragen ungeklärt, zum Beispiel zum Thema Quarantäne
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Die neue Regelung begrüßt er grundsätzlich – „es ist ein Vorteil, dass wir nicht mehr auf Einzelergebnisse warten müssen“. Sie geht ihm aber noch nicht weit genug: „Es wäre vernünftig und konsequent, jetzt komplett auf Selbsttests umzusteigen.“ Wer sein Kind in die Schule schicken muss, obwohl er weiß, dass es am Vortag einen positiven Pool-Befund gab, tue das nur mit einem „mulmigen Gefühl“. An den weiterführenden Schulen sei die Situation eigentlich die gleiche – es ist unklar, ob und wer infiziert mit im Klassenraum sitzt – „aber man weiß es vorher nicht“, ist also womöglich weniger ängstlich und besorgt.
Stimmen aus anderen Mülheimer Grundschulen waren am Donnerstag nicht zu bekommen, obwohl die Redaktion bis zum frühen Nachmittag 13 Schulen kontaktiert hatte. Halbjahreszeugnisse, Schulanmeldungen, dazu das Test-Chaos: Schulleiterinnen und Schulleiter waren entweder gar nicht ans Telefon zu bekommen, verwiesen auf ihren Stress oder an Stadtverwaltung oder Schulsprecher Illigen für Informationen. So sprachlos waren die Schulen zuvor selten zu erleben.
Nach dem Krisengespräch: Stadt sagt Schulen Unterstützung und Entlastung zu
Nach dem virtuellen Krisentreffen zwischen Leitern der Mülheimer Grundschulen und Vertretern von Schul-, Gesundheits- und Rechtsamt der Stadt kündigte Gesundheitsamtsleiter Frank Pisani am Donnerstag Unterstützung und Entlastung für die Schulen an.
Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte Pisani etwa Hilfen zu, um in den Schulen ein langes Hin und Her zwischen positiven Pool-, negativen Schnell- und wieder positiven Bürgertests zu vermeiden. In solchen Fällen ermögliche die Stadt betroffenen Schülerinnen und Schülern künftig einen PCR-Test im Testzentrum am Flughafen, so Pisani. Das soll vermeiden helfen, Kinder immer wieder von Neuem in Quarantäne schicken zu müssen.
Neues Online-System soll die Meldung von Positivfällen vereinfachen
Darüber hinaus sagte der Chef der Gesundheitsbehörde den Schulen zu, das Meldewesen zu vereinfachen. Schulen sollen dem Amt künftig nur noch die Daten der positiv Getesteten übermitteln – und das auch noch über ein neues Online-System. Kontaktpersonen werde dann das Amt ermitteln.
Große Unsicherheit herrsche auch bezüglich der aktuell geltenden Quarantäne-Regeln, so Pisani. Hier werde die Stadt noch am Freitag Schaubilder an Schulen und Kitas versenden, um für alle möglichen Fälle die Abläufe darzustellen.
Unterdessen untermauerte Pisani die über den Städtetag ans Land übermittelte Forderung der Gesundheitsämter, die Pooltestungen wegen der Verzögerungen bei der Laborauswertung einzustellen und stattdessen komplett auf Schnelltests zu setzen. Das helfe, zeitnah reagieren zu können. Gefordert sei für eine solche Entscheidung das Land, ausreichend Tests und in guter Qualität nachzuliefern. Problem dabei sei, so Pisani, was derzeit der Markt hergebe für eine umfassende Ausstattung der Schulen.
Mülheimer Vater an Landesregierung: „Stoppen Sie die Kinderdurchseuchung!“
„Stoppen Sie die Kinderdurchseuchung in unseren Schulen!“ Diesen Appell richtete unterdessen der Mülheimer Christoph Kamburg, bekanntgeworden durch seine Initiativen pro Luftfilter in Klassenräumen, per offenem Brief an NRW-Ministerpräsident Wüst, Schulministerin Gebauer, Gesundheitsminister Laumann und andere.
Mit Verweis auf die extrem hohe Kinder-Inzidenz in Mülheim – sie lag am Donnerstag bei Kindern im Alter zwischen fünf und 15 Jahren bei weit über 3000 – kritisierte Kamburg die Verantwortlichen der Schulpolitik scharf. Seit Schulstart im Sommer 2021 und bis Mittwoch seien in Mülheim bereits 1657 Schüler durchseucht worden. „Jetzt werden auch noch die PCR-Pooltests in den Grundschulen abgeschafft. Damit senken Sie künstlich die offiziellen Fälle, was ich für besonders perfide halte“, so Kamburg an die Regierenden.
Sie fragt er: „Wann geben Sie uns Eltern endlich das Recht, unsere Kinder vor der Durchseuchung in den Schulen zu schützen?“ Kamburg drohte mit Klagen von Elterninitiativen: „Gehen Sie von der Kultusministerkonferenz und der NRW-Landesregierung davon aus, dass Elterninitiativen jeden Long-Covid-Fall dokumentieren und juristische Schritte einleiten werden.“ Der Mülheimer Vater sieht durch das aktuelle Handeln in NRW Artikel 2 des Grundgesetzes verletzt, wonach jeder Bürger das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat.