Mülheim. Fast alle Intensivbetten in Mülheim sind momentan belegt, zeitweise sogar alle. Warum die Krankenhäuser dennoch vom „Normalbetrieb“ sprechen.

Die vierte Pandemiewelle mutet uns Rekordinzidenzen zu, doch viel größer ist die Angst vor Engpässen auf den Intensivstationen, wo es tatsächlich um Leben oder Sterben geht. Das Divi-Intensivregister, dem alle Krankenhäuser täglich ihre Bettenkapazitäten melden, zeichnet derzeit eine Deutschlandkarte, auf der rote Flecken überwiegen. Die Stadt Mülheim erscheint gar in Dunkelrot.

Dies signalisiert, dass in einer Stadt gerade weniger als zehn Prozent der Intensivbetten frei sind. In Mülheim waren am Donnerstag knapp drei Prozent frei - nur ein einziges Bett. Insgesamt 34 Betten hatten die beiden örtlichen Krankenhäuser gemeldet, neun waren mit Covid-Patientinnen oder -Patienten belegt, von denen drei invasiv beatmet werden mussten.

Mittwochmorgen: kein einziges freies Intensivbett in Mülheim

Noch knapper stellten sich die Kapazitäten am Mittwochmorgen dar: Kein einziges freies Intensivbett in Mülheim zeigte das Divi-Register an. Was passiert, wenn der Rettungsdienst einen Notfall bringt? Wenn jemand einen Schlaganfall erleidet oder einen schweren Unfall? Alarmstufe Rot?

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Nicht aus Sicht der Mülheimer Krankenhäuser. So heißt es aus dem Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM), die Zahlen der intensivmedizinisch behandelten Covid-Patienten bewegten sich „auf einem stabilen mittleren bis hohen Niveau“. Das EKM laufe „im Normalbetrieb“, erklärt Sprecherin Silke Sauerwein, dies bedeute, dass auf der Intensivstation auch Patienten liegen, die nach größeren Operationen oder mit schweren Krankheiten versorgt werden. „Die Belegung und Auslastung der Intensivstation folgt den normalen Abläufen.“

„Normalbetrieb“ in den Mülheimer Krankenhäusern

Normale Abläufe bedeuten: Priorisierung, abgestufte Verlegung. Katharina Landorff, Sprecherin des Mülheimer St. Marien-Hospitals, skizziert das Grundprinzip, das eben nicht nur in Pandemiezeiten gilt: „Wird die Aufnahmekapazität der Intensivstation durch einen Notfall überschritten, so wird versucht, diese Kapazität durch Verlegung wieder herzustellen.“ Wenn möglich, werden Patientinnen und Patienten auf die Normalstation verlegt oder auf die Intensivstation eines anderen Krankenhauses.

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Nächster Schritt ist die sogenannte „Überlast“: Die Leitstelle der Feuerwehr bekommt eine Belegtmeldung für die betreffende Intensivstation. Diese Meldungen werden „fast live übermittelt“, erläutert Feuerwehrsprecher Thorsten Drewes. „Wir sind also immer auf dem aktuellen Stand.“

Dass Mülheim offiziell kein freies Intensivbett mehr hat, kommt immer wieder vor und ändert sich rasch. Viele Betten frei zu halten, wäre auch Luxus mit Blick auf die Krankenhausfinanzierung. Denn ein freies Bett ist nicht nur das Möbelstück, ein freies Beatmungsgerät ist nicht allein die Maschine, sondern sie können nur betrieben werden, wenn ausreichend Pflegepersonal im Dienst ist. Die bezahlten Kräfte möglichst effizient einzusetzen, wird immer im Sinne der Ökonomie sein.

Leitender Notarzt: Komplettbelegung meist nur stundenweise

„Dass alle Intensivbetten belegt sind, ist meist nur stundenweise der Fall“, berichtet Thomas Franke, leitender Notarzt der Feuerwehr Mülheim. Auch auf den Intensivstationen gebe es „eine ganz normale Fluktuation“. Nach einer Hüft-OP etwa werden frisch Operierte einige Stunden lang intensiv betreut und dann auf die normale Station verlegt. Wenn plötzlich Unfallpatienten das Bett benötigen, verlegt man früher.

Kapazitäten schon erweitert

Im Zuge der Corona-Pandemie haben Krankenhäuser ihre Intensivkapazitäten bereits erweitert.

Beispielsweise werden im Mülheimer St. Marien-Hospital nach eigenen Angaben momentan 14 Betten planmäßig betrieben - ausnahmslos „High Care“-Betten mit Beatmungsmöglichkeit.

Am 1. Januar 2020 habe man neun Intensivbetten betrieben, im Laufe des Jahres 2020 dann sukzessive aufgestockt. Seit etwa einem Jahr (21. Dezember 2020) stehen in der Regel 14 Betten zur Verfügung.

Allerdings, so der Notarzt weiter, „kommt es immer wieder vor, dass tatsächlich tagelang kein Intensivbett in Mülheim zur Verfügung steht“. Der Rettungsdienst steuert dann die nächst gelegene Klinik an, bei Bedarf in einer Nachbarstadt. Thomas Franke hat bislang nicht den Eindruck, dass diese Fälle sich jetzt, in der vierten Corona-Welle, häufen.

Kapazitäten seit Jahren eng, und jetzt kommt die Pandemie dazu

Das System sei generell auf Kante genäht, meint Franke: „Auch im Normalbetrieb arbeiten Krankenhäuser immer an der Grenze. Denn Vorhaltekosten bekommen sie nicht erstattet. Die Kapazitäten sind schon seit Jahren eng, und jetzt kommt die Pandemie dazu.“ In anderen Bundesländern, etwa in Bayern, laufen die Intensivstationen daher schon voll, was uns hier hoffentlich erspart bleibe, so der Notarzt.

Die beiden Mülheimer Krankenhäuser können noch Reserven mobilisieren. „Bislang mussten keine geplanten Operationen verschoben werden“, erklärt EKM-Sprecherin Silke Sauerwein. „Sollte die Zahl der Covid-19-Patienten steigen, werden wir entsprechend kurzfristig reagieren.“ Aus dem Marien-Hospital heißt es, in Einzelfällen könnte es kurzfristig passieren, das geplante Eingriffe verschoben werden müssten – aber, wenn irgend möglich, nicht bei Menschen mit Krebserkrankungen.