Mülheim. Wenn alte Leute stürzen und Brüche erleiden, brauchen sie vielfältige Hilfe. Mülheimer Chefärzte über die Chance, wieder auf die Beine zu kommen.
Die dunkle Jahreszeit, rutschige Wege und Straßen, erhöhen das Sturzrisiko für ältere Menschen. Wenn sie verletzt ins Krankenhaus kommen, hilft ihnen im Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM) ein Zentrum für Alterstraumatologie mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen. Die Chefärzte Christian Triebel (Geriatrie) und Prof. Dr. Johannes Schneppendahl (Orthopädie und Unfallchirurgie) erläutern das Konzept.
Warum braucht man ein spezielles Zentrum für alte Menschen, die stürzen und Knochenbrüche erleiden?
Schneppendahl: Die fachübergreifende Zusammenarbeit zwischen der Unfallchirurgie und der Geriatrie in einem Zentrum verbessert die Behandlung älterer Menschen, denn sie umfasst mehr als die reine unfallchirurgische Versorgung des Bruchs.
Können Sie einen typischen Ablauf schildern?
Schneppendahl: Die meisten Brüche, mit denen Patientinnen und Patienten stationär im Krankenhaus behandelt werden, betreffen das Hüftgelenk. Typischerweise kommen sie zunächst in die Notaufnahme und werden dann in die Unfallchirurgie aufgenommen. Wir nehmen frühzeitig Kontakt auf zur Geriatrie, damit der Fall von Kollegen aus beiden Kliniken bewertet und die richtige Therapieentscheidung getroffen werden kann. In der Geriatrie wird beispielsweise auch geklärt, was man im häuslichen Umfeld verbessern kann, wenn jemand zu Hause gestürzt ist.
Stürze im Alter: Mülheimer Experten erforschen auch die Gründe
In der Alterstraumatologie werden nicht nur akute Verletzungen behandelt. Das Team dort forscht auch nach den Gründen für einen Sturz. Können Sie ein Beispiel geben?
Triebel: Ein Patient, der seit etwa zwei Wochen bei uns liegt, wurde nach einem Oberschenkelhalsbruch operiert. Er leidet am Parkinson-Syndrom und ist zu Hause gestürzt. Wir untersuchen von der Aufnahme an: Wie ist die Medikation? Wie ist seine Beweglichkeit? Kommen chronische Durchblutungsstörungen im Kopf als Sturzursache in Betracht?
Oft können sich alte Menschen gar nicht mehr erinnern, wie der Sturz passiert ist...
Schneppendahl: Das passiert sogar sehr häufig. Dann ist es wichtig, nach der Ursache zu forschen: Ist der Grund eine Vorerkrankung wie z. B. Demenz, oder hat der Patient sich während des Sturzes eine Kopfverletzung zugezogen und ist diese für die fehlende Erinnerung verantwortlich? Zur Klärung erfolgt eine umfassende Diagnostik. Und an dieser Stelle sind wieder unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Geriatrie im Boot, genauso aber auch die Angehörigen. Sie können uns viel über die Vorerkrankungen berichten.
Fachleute, die sich mit Suchtprävention beschäftigen, weisen darauf hin, dass auch hier ein Grund für Stürze liegen kann: Wechselwirkungen zahlreicher Medikamente, vielleicht noch kombiniert mit Alkohol. Begegnen Ihnen auch solche Fälle?
Triebel: Tatsächlich ja. Suchterkrankungen machen nicht Halt vor dem Alter. Wir merken es oft daran, dass die Betroffenen am Tag nach der Aufnahme Entzugserscheinungen bekommen, wenn sie etwa abhängig sind von Alkohol oder Schlaftabletten. Dies sind eher Einzelfälle, aber es ist für uns wichtig, so etwas zu wissen. Sucht darf kein Tabu sein.
So arbeitet die Alterstraumatologie
Im Zentrum für Alterstraumatologie am EKM arbeiten Experten aus der Unfallchirurgie und der Geriatrie ganzheitlich zusammen.
Behandelt werden Patientinnen und Patienten über 75 Jahre, die nach einem Sturz Knochenbrüche erlitten haben. Viele von ihnen sind mehrfach erkrankt.
Ziel ist, dass die Seniorinnen und Senioren wieder mobil und sicher auf den Beinen werden. Daher beginnt schon ab dem dritten Tag nach der Operation eine komplexe Reha-Behandlung.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gibt es verschiedene Möglichkeiten, etwa eine (teil)stationäre Reha, ein Besuch der geriatrischen Tagesklinik oder ambulante Physiotherapie.
Möglichst schonend operieren - oder gar nicht
Sie betonen, dass ältere Menschen, die durch einen Sturz Knochenbrüche erleiden, besonders schonend operiert werden müssen. Was genau bedeutet das?
Schneppendahl: Im ersten Schritt schauen wir sogar, ob eine Operation zwingend erforderlich ist, oder ob wir den Patienten nicht auch durch eine konservative Behandlung wieder rasch mobilisieren können. Geht das nicht, versuchen wir, möglichst auf eine Vollnarkose zu verzichten und die Patientinnen mit minimalinvasiven Verfahren zu behandeln.
Was ist, wenn zum Beispiel der Parkinson-Patient, dessen Fall sie gerade geschildert haben, nicht mehr alleine zu Hause leben kann?
Triebel: Er wird zunächst in eine Kurzzeitpflege gehen, dort weitere Therapie bekommen, und anschließend ist eine Reha geplant. Danach muss man weitersehen, ob er nach Haus zurückkehren kann. Das ist dann Aufgabe der Kollegen in der Rehaklinik.
Was können ältere Menschen tun, um das Sturzrisiko zu verringern?
Triebel: Sie sollten medikamentös gut eingestellt sein, das gilt besonders für Diabetiker. Sie sollten sich ausgewogen ernähren, auf eine gute Vitaminversorgung achten, vor allem mit Folsäure und Vitamin B 12. Auch im häuslichen Umfeld können ältere Menschen ebenfalls viel tun. Im Badezimmer sollten zum Beispiel nur rutschfeste Matten zum Einsatz kommen und eine ausreichende Menge an Haltegriffen vorhanden sein. Hier gibt es eine Vielzahl von Tipps.
Welche Rolle spielt regelmäßige Bewegung?
Triebel: Eine ganz entscheidende Rolle. Man sollte mindestens eine halbe Stunde am Tag laufen, im Training bleiben. Oft hilft es auch, den Stolz zu überwinden und den Rollator zu nehmen, wenn es anders nicht mehr geht. Das fällt vielen älteren Menschen ungeheuer schwer.