Mülheim/Duisburg. Dass sie am Entenfang wohnen bleiben können, lässt hunderte Bewohner der Camping-Anlage an Mülheims Stadtgrenze zu Duisburg aufatmen. Ein Besuch.
Absehbar will Mülheims Stadtverwaltung hunderten Dauercampern der Entenfangsiedlung die Duldung aussprechen. Zwei Bewohner des Campingplatzes an Mülheims Stadtgrenze zu Duisburg erzählen nun, wie groß ihre Erleichterung ist – und warum sie sich nichts anderes vorstellen können, als am Entenfang zu leben.
Andreas Baldus ist 59 Jahre alt. Vor knapp 18 Jahren hat er mit seiner Familie und seinem Wohnwagen einen Dauerplatz am Entenfang bezogen. „Wir waren immer schon Camper“, erzählt der gelernte Techniker, der früher bei Mannesmann und Bilfinger beschäftigt war, 2014 aber als Experte für Atomkraftwerke das Aus für seine Abteilung bei Bilfinger miterleben musste.
Mülheimer Dauercamper: „Es war immer wieder sehr schade, wenn wir hier wegmussten“
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Baldus weiß gar nicht mehr, wann genau. Aber es müsse um 2010 gewesen sein, dass er und seine Familie festgestellt hätten, dass sich am Ende eines schleichenden Prozesses „unserer Lebensmittelpunkt komplett hierhin verlegt hatte“, er und seine Frau vom Entenfang aus morgens zu ihren Arbeitsstellen gefahren sind, den ganzen Sommer über die einstige Familienwohnung an der Großenbaumer Straße gar nicht mehr genutzt haben. „Es war immer wieder sehr schade, wenn wir hier wegmussten“, erzählt Baldus.
Stadt lädt zur Bewohner-Versammlung
Die Stadt hat die Bewohner für den 18. November um 18 Uhr zu einer Versammlung in der Aula des Gymnasiums Broich eingeladen, um über den Stand der Dinge zu informieren. Ausdrücklich sind nur Bewohner der Entenfang-Siedlung eingeladen.
Die Bauaufsicht hatte angekündigt, dass die Stadt das Dauerwohnen am Entenfang nach den jüngsten Gerichtsurteilen für alle Pächter dulden werde, die entweder länger als zehn Jahre dort wohnen, älter als 60 Jahre alt sind oder per Attest nachweisen, dass ihnen ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten wäre.
2012 war es soweit: Baldus kaufte drei Blockhäuser, um sie auf einer größeren Parzelle in der Entenfang-Siedlung aufstellen zu lassen: Eines ursprünglich als Partyhaus, das heute auch als Büro dient, ein Wirtschaftshaus mit Küche, Waschmaschine und Trockner und ein Blockhaus für Wohn- und Schlafzimmer und ein geräumiges Bad. „Wir wollten uns auf keinen Fall verschlechtern“, erklärt der 59-Jährige, warum es keines dieser Mobilheime mit nur 2,10 Metern Raumhöhe geworden ist, wie sie am Entenfang zuhauf zu finden sind.
Pächter ist im Blockhaus-Vertrieb tätig: Tut sich da ein neues Geschäft auf?
Wie es der Zufall wollte, sei er damals von der Blockhaus-Herstellerfirma angesprochen worden, ob er nicht für sie im Vertrieb aktiv werden wolle. Das machen die Baldus’ seither und bis heute. Seit fast zehn Jahren beackern sie den europäischen Markt zwischen Hamburg und dem Schwarzwald, in Benelux und woanders. Mittlerweile hat Baldus eine zweite Firma gegründet, die über den Vertrieb hinaus den Aufbau der Blockhäuser übernimmt.
Am Entenfang selbst hat er freilich länger keines der Häuser mehr verkauft, zu unsicher war zuletzt die Zukunft des Dauerwohnens dort. Jetzt, da Gerichte festgestellt haben, dass die Stadt dort ein Wochenendhausgebiet nachträglich zu genehmigen hätte und ein Brandschutzkonzept in die Umsetzung geht, könnte Baldus seinen Vertrieb auch mal zu Fuß – von Nachbar zu Nachbar – angehen. „Wenn es hier Rechtssicherheit gibt und der Brandschutz steht, kann ich auch hier wieder Häuser verkaufen“, hofft er.
Entenfang-Dauercamper: „Mich kriegt man hier nur waagerecht weg“
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„Mich kriegt man hier nur waagerecht weg“, macht Baldus klar, dass ihn und seine Frau nichts vom Entenfang wegbewegen könnte. Die abgeschottete Gemeinschaft in der Siedlung sei einmalig, es gebe weder Diebstähle noch Drogendelikte und anderes, was man als Bewohner inmitten einer Großstadt ertragen müsse. Mit ihrem Sport- und Freizeitclub, einem eingetragenen Verein, organisieren Baldus und 20, 30 weitere feste Mitstreiter viele Angebote, vor allem auch für die Kinder, etwa ein Sommerfest, bei dem über drei Tage gar Bands bei den Dauercampern auftreten.
Engagiert mit dabei ist auch Dunja Schultheiß. 33 Jahre alt ist sie – mit nur kurzen Unterbrechungen hat sie immer hier am Entenfang gelebt. Ihre Eltern sind von Heißen aus in ein Mobilheim am See gezogen, als sie rund ein Jahr alt war. Sie hatten zuvor den Chef des Vaters dort in seiner Unterkunft besucht – „und waren sofort Feuer und Flamme“, erzählt Schultheiß.
Schulrektorin: Den Entenfang zwei Mal „nur schweren Herzens“ für kurze Zeit verlassen
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Noch heute wohnt ihre Mutter am Entenfang, Dunja Schultheiß hat sich dort auf einer großen Parzelle mittlerweile ihr eigenes Reich geschaffen und pendelt von dort als Schulrektorin täglich zu ihrer Arbeitsstelle in Xanten. Wegziehen? Niemals wieder! „Zwei Mal kurz“ sei sie doch fortgewesen, so die 33-Jährige. Einmal mit 19 zum Studieren nach Köln, einmal fürs Referendariat nach Bad Lippspringe.
Doch schon während des Studiums war Schultheiß froh, an jedem Wochenende die lärmende und „usselige“ Großstadt hinter sich zu lassen und ins Idyll am Entenfang zurückzukehren. „Das war für mich wie eine Kur“, berichtet sie, nach drei Jahren Köln schnell den Rücken gekehrt zu haben, um für die letzten Kurse und Klausuren zu pendeln. Auch nach Ostwestfalen ging die junge Frau „nur schweren Herzens. Es ging nicht anders. . .“
„Man sieht jeden, man kennt jeden – es ist eine Gemeinschaft, die zusammenhält“
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Die Natur am Entenfang, die Leute dort, „man sieht jeden, man kennt jeden – es ist eine Gemeinschaft, die zusammenhält“, erzählt Schultheiß, warum auch sie nichts wegbewegt vom Entenfang. Die 33-Jährige hat investiert, hat sich eingerichtet in der Siedlung der Dauercamper.
Einen Tiefschlag musste sie dabei aber verkraften: Als sie sich gerade für viel Geld ein individuell gestaltetes Haus für den Entenfang gekauft habe, „kam im Oktober 2020, vier Tage vor der Lieferung, die Stadt und hat einen Baustopp verhängt“. Schultheiß ist Platzbetreiber Dietmar Harsveldt sehr dankbar, dass er sie in der Zeit unterstützt hat und sie das Haus verkaufen konnte. So blieb Raum, um in diesem Frühjahr an anderer Stelle eine 570 Quadratmeter große Parzelle zu beziehen.
„Das war ein mutiger Schritt“, zollt Baldus seiner Entenfang-Nachbarin Respekt, in unsicherer Zeit weiter auf die Zukunft der Gemeinschaft gesetzt zu haben. Schultheiß lächelt milde. Jetzt, da die Stadtverwaltung nach den Gerichtsurteilen klein beigeben musste, kann sie ihre Zukunft bauen. Und die baut sie – selbstverständlich – nur an ihrem geliebten Entenfang.