Mülheim. Nach dem SPD-Vorschlag einer Fahrradstraße fürs Dorf Saarn kommt Bewegung in die Mülheimer Verkehrsdebatte. Eine Idee: autofreie Tage auf Probe.
Vier Räder haben Platz gefunden an den einzigen vier Fahrradbügeln gegenüber des Pastor-Luhr-Platzes, Fußgänger drängeln sich emsig zwischen parkenden Pkw, Pflanzpötten, Pollern und Marktständen. Und unermüdlich schreitet die Blechkarawane voran über die Düsseldorfer Straße, ein Oberhausener kurvt zum zweiten Mal um den Pudding – kein Parkplatz mehr. Es ist ein normaler Markttag-Mittwoch im pittoresken Dorf Saarn. Eine Frage aber steht neuerdings im Raum: Muss das so sein? Die mögliche Antwort: probeweise autofreie Tage.
Das Auto steht wie ein Garant für den laufenden Markt-Motor
Diese Idee bringt nun der Vorstand des Saarner Bürgervereins ins Spiel, ein Beschluss sei das noch nicht, wohl aber ein „Meinungsbild“ unter der Mehrheit der Vorsitzenden: Denn das Dorf scheint in der Frage des Verkehrs tief gespalten. Ja - sagen die einen zum Erhalt der Situation, mit Blick auf die seit Jahrzehnten gewohnte Verkehrsstruktur. Und der Sorge: Wer hier etwas verändert, riskiert womöglich, einer sensiblen und noch funktionierenden Wirtschaftmeile zu schaden.
Wissen kann es niemand, doch das Auto steht hier auch in Zeiten des Online-Handels und des Handels auf „grüner Wiese“ fernab der Ortszentren wie ein Garant auch für den laufenden Markt-Motor. Wer das hinterfragt, bekommt den Druck eines Teils der Händlerschaft und einer autonahen Politik zu spüren.
Verwaltung lehnt mehr Platz für Fußgänger ab
Zwei Jahre lang hatte die Verwaltung eine 2018 politisch beauftragte verkehrliche Überarbeitung der Düsseldorfer Straße unerledigt gelassen – die Ablehnung des SPD-Vorschlags einer Fahrradstraße folgte hingegen prompt. Es seien keine Voraussetzungen gegeben für eine Erneuerung der Straße mit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer, ohne dass Parkplätze wegfallen, intervenierte Dezernent Peter Vermeulen.
Auch die CDU wehrte sich gegen eine Dominanz des Fahrrad- und Fußverkehrs: Die „effektive Erreichbarkeit des Dorfes“ hänge maßgeblich auch vom Zugang durch den Autoverkehr ab.
Zuletzt traf dieser Unmut die SPD, die eine Fahrradstraße fürs Dorf forderte, mit weiterhin freiem Zugang auch für Autos. Auch die Verwaltung intervenierte überraschend (siehe Info-Kasten).
Bürgervereinsvorsitzender: „Abgas-Eis und CO2-Kaffee – das ist nicht mehr zeitgemäß“
Nein – das sagen inzwischen andere: „Im Sommer ein Abgas-Eis zu essen, einen CO2-Kaffee oder ein Auspuff-Pils zu nehmen, ist nicht mehr zeitgemäß“, bringt es der zweite Vorsitzende des Saarner Bürgervereins, Journalist Frank-Rainer Hesselmann, spitz auf den Punkt. Denn auch die Cafés und ein Gemüseladen müssen sich mit den engen Fußwegen direkt am Straßenrand begnügen. Die Auto-Dominanz gehe insgesamt auch zu Lasten der Dorfbewohner. Und er verweist auf ein Klimagutachten von 1984.
Das zeige das gemütliche Dorf im tiefen Rot der Schadstoffmessung. „Die Werte dürften sich durch den gestiegenen Autoverkehr insgesamt kaum verbessert haben“, vermutet Hesselmann. „Denn wir haben nicht zu wenig Parkplätze, sondern zu viele Autos.“ Und die seien inzwischen auch zu breit für die Straße und Parkbuchten geworden, die vor gut 40 Jahren für schmalere Wagen konzipiert wurde und der Rüttenscheider Meile einst als Vorbild diente – wie Hesselmann erinnert.
Essen hat den Schritt gegen den Willen von Händlern gewagt: Wende offen
Dort in Essen übrigens ist man den Schritt zur Fahrradstraße in diesem Jahr gegangen – auch gegen den deutlichen Widerstand von Händlern. Und mit jenem Erfolg, der jedem Kompromiss beiwohnt: Autofahrer sind erwartungsgemäß unzufrieden, Platz abgedrückt zu haben, Fahrradfahrer aber stehen weiterhin hinter ausladenden Lkw und Autokarawanen. Und mancher weicht unerlaubt auf den Fußweg aus. Nur durch eine Fahrradstraße allein stellt sich der Verkehr nicht über Nacht um, sondern muss sich neu arrangieren. Ein offenkundig langwieriger Prozess.
Autofreier Versuch könnte vorsichtig im Frühling oder Sommer beginnen
Radikal will auch der Saarner Bürgerverein nicht in eine Verkehrswende einsteigen: Die autofreien Tage im Dorf wären ein Versuchsballon nach Vorbild des Nikolausmarktes, sagt Hesselmann. Denn der funktioniere nicht nur, sondern sei auch äußerst beliebt. Bewusst sollen autofreie Tage an diesen Erfolg anknüpfen – das will der Bürgerverein voraussichtlich im Frühling und Sommer anregen.
Ob’s klappt? Den Versuch wäre es wohl wert, sagt der zweite Vorsitzende, die Saarner Geschäfte seien auch ohne Auto attraktiv genug: „Und man muss es mal so deutlich sagen: Die überwiegenden Fahrten mit dem Auto ins Dorf passieren aus reiner Bequemlichkeit. Uns allen aber täte mehr Bewegung gut.“
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