Mülheim. Die Bedürfnisse von Kindern psychisch kranker Eltern werden oft nicht wahrgenommen. Wie ein Mülheimer Netzwerk aus Fachleuten Betroffenen hilft.

Psychische Erkrankungen sind nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Ursache dafür, dass Menschen aufgrund einer Erwerbsminderung vorzeitig in Rente gehen müssen. Darauf weist die bei der Caritas arbeitende Sozialpädagogin Carmen Weidemann anlässlich des Welttages der seelischen Gesundheit am 10. Oktober hin.

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Weidemann ist Mitarbeiterin der von Caritas und Mülheimer Kontakten getragenen Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch erkrankte Erwachsene, die im katholischen Stadthaus an der Althofstraße ansässig ist. Dort koordiniert sie die Zusammenarbeit im Jahr 2011 gegründeten lokalen Netzwerk „Kinder psychisch kranker Eltern“. Zu den Netzwerkpartnern gehören etwa die örtlichen Sozialverbände, die Stadtverwaltung und andere Akteure aus dem Sektor der seelischen Gesundheit. Das sind etwa Ärzte, Pädagogen, Sozialarbeiter und Psychologen.

Bedürfnisse der Kinder werden häufig nicht wahrgenommen

„Wir richten unser Augenmerk auf Kinder psychisch erkrankter Eltern, weil sie hinter ihren Eltern stehen und ihre Bedürfnisse deshalb oft nicht wahrgenommen werden“, betont Weidemann. Auch wenn es bereits einige vor allem vorbeugende Angebote, wie Aktionsgruppen und gezielte Bildungs,- und Schulsozialarbeit gibt, die betroffenen Kindern Hilfestellung leistet, lässt Weidemann keinen Zweifel daran, dass die Hilfsinfrastruktur in Sachen seelischer Gesundheit in der Familie ausbaufähig ist. „Wir müssen die Zusammenarbeit an den Schnittstellen zwischen Jugendhilfe und Erwachsenenpsychiatrie ausbauen, damit das gegenseitige Wissen um Hilfsangebote für psychisch erkrankte Eltern und deren Kinder schneller in den betroffenen Familien ankommt“, betont Weidemann.

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Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche zur seelischen Gesundheit, die am 8. Oktober beginnt, haben die KIPE-Netzwerkpartner in der Buchhandlung Fehst am Löhberg einen Büchertisch aufgestellt, um Informationen rund um das Thema Psychische Erkrankungen an Frau, Mann, Kind und Fachleute zu bringen.

Kein zuverlässiges Datenmaterial über Kinder, deren Eltern psychisch erkrankt sind

Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche

Das Jugendamt des Landschaftsverbandes Rheinland (www.lvr.de) bietet eine Fach- und Fördermittelberatung sowie Fortbildung für das Arbeitsfeld Kinder psychisch kranker Eltern (KIPE) an. Weitere Informationen zum KIPE-Komplex sollen in Kürze auch auf die Internetseite der Stadt (www.muelheim-ruhr.de) gestellt werden.

Nach LVR-Angaben wachsen bundesweit zurzeit 3,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Familien mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil auf. Die Ginko-Stiftung für Prävention (Kaiserstraße 90, 300 69 31) bietet mittwochs (18-20 Uhr) eine offene Jugendgruppe für Jugendliche an, deren Eltern ein Suchtproblem haben.

Unter dem Titel „Schatzinsel“ bietet die Arbeiterwohlfahrt eine Gruppe zur Förderung der seelischen Gesundheit von Kindern an. Weitere Infos dazu gibt Awo-Mitarbeiterin Ina Knof unter 84 500 32 23 oder per E-Mail: i.knopf@awo-mh.de.

Vergleichbare Angebote gibt es auch in psycho- und musiktherapeutischen Praxen. Rat und Hilfe finden Betroffene in der Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch kranke Erwachsene im katholischen Stadthaus an der Althofstraße unter 30 853 40 oder per E-Mail: spz-kobs@gmx.de

Außerdem gibt es am 19. November einen KIPE-Fachtag zur Zusammenarbeit an den Schnittstellen der sozialen und psychiatrischen Versorgung In Mülheim. Neben der Tatsache, dass es in der Stadt zurzeit kein zuverlässiges Datenmaterial über Kinder gibt, deren Eltern psychisch erkrankt sind, sieht Weidemann das Problem, „dass viele Hilfs-, Informations- und Weiterbildungsangebote rund um das Thema auf zeitlich begrenzte Projektfinanzierungen, etwa durch die Aktion Mensch, den Landschaftsverband Rheinland oder das Land NRW angewiesen sind.“

Aktuell hat das KIPE-Netzwerk Fördermittel beantragt, mit deren Hilfe eine professionelle monatliche Fachsprechstunde für die Mitarbeitenden der Netzwerkpartner angeboten werden kann. Damit soll eine individuelle Fallberatung möglich werden. Trifft etwa ein Mitarbeiter des Jugendamtes im Rahmen der Erziehungs- und Familienhilfe in einer Familie auf Anzeichen psychischer Erkrankung, kann er diese Online-Beratung in Anspruch nehmen und damit seiner Lotsenfunktion besser gerecht werden, so dass den betroffenen Familie schneller und gezielter geholfen wird.

Grenzen zwischen psychischer Belastung und psychischer Erkrankung sind oft fließend

„Allerdings treffen fast alle Sozialarbeiter immer wieder auf Familien, in denen die Grenzen zwischen psychischer Belastung und psychischer Erkrankung der Eltern fließend sind“, weiß Weidemann. Viel wäre aus ihrer Sicht schon gewonnen, „wenn wir bei der Koordination, Weiterbildung und Fachberatung der KIPE-Netzwerkpartner von einer Projekt- zu einer Regelfinanzierung kommen könnten, um die Arbeit für Kinder psychisch kranker Eltern zu verstetigen, zu professionalisieren und damit effizienter zu machen, damit die Hilfe in den betroffenen Familien schneller ankommt.“