Mülheim. Seit Jahren verfolgt der Mülheimer Discounter-Riese Aldi Süd die Ziele Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. Was die Branchengröße dafür tut.
Mit regionalen Produkten, mehr Bio-Nahrung und Verzicht auf Tierprodukte, bei denen bestimmte Formen der Haltung nicht erfüllt werden, will Aldi Süd die Nachhaltigkeit im Lebensmittelhandel stärken. Die Latte hängt hoch: 100 Prozent Frischfleisch aus den Haltungsformen 3 und 4 bis 2030, bis 2025 Textilien, die aus nachhaltiger Baumwolle bestehen. Wie ernst aber ist dem Discounter die Nachhaltigkeit? Mit dieser Frage klopften nun die Grünen beim Mülheimer Konzern an.
Tierhaltung: Aldis Verzicht auf konventionelle Tierhaltung hat Bauern besorgt
Denn die Grünen suchen just vor der Bundestagswahl das Gespräch mit wichtigen Taktgebern im Handel für kommende Klimaschutz- und Tierwohlaufgaben. Sollte es zu einer Regierungsbeteiligung kommen, will man vorbereitet sein. „Wir brauchen die ,First-Mover’ – die Antreiber“, so Franziska Krumwiede-Steiner, Bundestagskandidatin der Mülheimer Grünen.
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Am Discounter anzusetzen, erreichte schnell viele Menschen. Doch im Ruf, ökoloisch-ethisch zu handeln, stehen die eher für ihre scharfe Preispolitik bekannten, günstigen Versorger nicht zuvorderst. Anfang September demonstrierten Schweinebauern noch vor der Zentrale in Styrum mit Treckern und einem deutlichen Vorwurf: Aldi wolle bis 2030 die Fleischproduktion aus konventioneller Tierhaltung aus den Regalen nehmen und setze auf Außenklima- und „Premium-Haltung“ (Bio).
Die Preise allerdings wolle Aldi dafür nicht erhöhen – so die Darstellung der Demonstranten. Dies gehe auf Kosten der Landwirte. Sieht sich Aldi hier in der Verantwortung? „Mit der Ankündigung des Haltungswechsels, also der Umstellung auf die Haltungsformen 3 und 4, gibt Aldi seinen Lieferanten einen verlässlichen Abnahmekanal“, antwortet das Unternehmen. Wie ein Preis der Zukunft jedoch aussieht, könne man zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen.
Klimaneutralität zieht nicht mehr Menschen ins Geschäft
Dabei zeigt sich auch: Die Bedeutung von Bio-Produkten wächst offenbar seit Jahren mit dem zunehmenden Bewusstsein der Käufer. Den Discountern ist dieser Trend nicht entgangen. Aldi Süd und Nord reagierten darauf bereits 2016 mit Produkten und Nachhaltigkeitsberichten.
„Kommen mehr Menschen zu Aldi, weil wir klimaneutral handeln?“, serviert Julia Adou, die die Abteilung Corporate Responsibility von Aldi Süd leitet, gleich eine ernüchternde Antwort: Nur deswegen? Nein. Als das Unternehmen 2016 zum Beispiel die toxischen Wirkstoffe aus dem Obst verbannte, sei das „kein Reißer“ gewesen. Denn die Gründe für nachhaltige oder gar Bio-Produkte sind komplizierter zu erklären als das rote Preisschild auf der Verpackung. „Das geht nur über ein ganzheitliches und kontinuierliches Nachhaltigkeitsengagement über viele Jahre“, glaubt Adou.
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Bio ist nicht gleich Bio: Aldi erwägt Anforderungen auszubauen
Der Anteil von Bio-Produkten am Umsatz mit Lebensmittel-Eigenmarken macht bei Aldi rund 8,6 Prozent aus. Das Unternehmen prüft fortlaufend, seine bisherige Auswahl an ca. 450 Bio-Artikeln auszuweiten.
Dabei ist Bio allerdings nicht gleich Bio. Aldi orientiert sich an der EU-Norm. Ob dieser Standard künftig angehoben wird? Aldi Süd ist auf seinem Vertriebsgebiet der absatzstärkste Händler mit Bio-Lebensmitteln. Diesen Vorsprung möchte es kontinuierlich ausbauen und wägt derzeit alle Optionen ab, auch seine Bio-Anforderungen weiter auszubauen. Nachhaltigkeit allein steigert – nach Erfahrung und Einschätzung Dr. Julia Adous – den Kundenzuwachs nicht unmittelbar.
Die fortschreitende Einführung von Freiland- und Bio-Ware über Discounter könnte allerdings auf den Verbrauchermarkt und bei der Umstellung von Landwirtschaftsbetrieben eine enorme Wirkung zeigen, glaubt Bundestagskandidatin Krumwiede-Steiner.
Die Grünen suchen „Antreiber“ für Klimaneutralität im Lebensmittelhandel
Hier kann Aldi Süd liefern: Seit 2017 handelt man bereits klimaneutral, als erster Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland, und geht das Thema an mit einer emissionsarmen Wirtschaftsweise, die etwa E-Mobilität ausbaut, ihre Dächer mit Photovoltaik ausrüstet.
Regionale Produkte will der Discounter ebenso ausbauen, sie haben kürzere Transportwege. „Regional“ ist aber bisher kein gesetzlich fest definierter Begriff. Für Aldi bedeutet Regionalität, dass die Hauptzutat eines Produkts sowie ein wesentlicher Anteil der Rohstoffe (mindestens 51 Prozent) aus der Region kommen und dort produziert werden müssen.
Weniger Plastik: Die eingeschweißte Gurke ist Vergangenheit
Auch in der Frage, wie man mit übrig bleibenden, verderblichen Produkten am Ende des Tages umgeht, zeigt sich Sparsamkeit: Dass Aldi nur 1700 statt 20.000 Basisartikel, davon überwiegend Eigenmarken, führe, sorge dafür, dass weniger weggeworfen werde, erläutert Adou. Ausgeklügelte Bestellprogramme ordern je nach Wettervorausschau – mehr Grillfleisch an sonnigen Wochenenden etwa. Den größten Teil der nicht mehr verkaufsfähigen Waren gebe man an die Tafeln oder andere soziale Einrichtungen. „Wir unterstützen zudem eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft, indem wir auf recyclingfähige Verpackungen setzen oder wo immer möglich auf Verpackungen verzichten.“
Grüne sehen viele Schnittmengen mit Aldi
Dass Aldi durchaus Einfluss auf Lieferanten ausüben kann, zeigte sich bereits bei den Textilien. Das Unternehmen übernimmt Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette, führt eigenständige Audits in Fabriken durch, setzt Standards und überwacht deren Einhaltung, schildert Adou. Bis 2025 sollen 100 Prozent der Baumwolle aus nachhaltigen Quellen stammen.
Den Druck allerdings, frische und perfekte Ware bis zur letzten Einkaufsminute anbieten zu müssen, spüren auch die Discounter. „Wir bieten mit unseren ‚Krummen Dingern‘ bereits Produkte an, die nicht perfekt sind. Also Äpfel, die nicht der Norm entsprechen oder Würstchen, die unterschiedlich lang sind, und schauen, wo wir das Sortiment in dem Bereich noch erweitern können “, sagt die Leiterin für Nachhaltigkeit.
Für Bundestagskandidatin Krumwiede-Steiner war das Hintergrundgespräch mit dem Discounter auf dem Weg zur Nachhaltigkeit insgesamt aufschlussreich: „Es war deshalb bemerkenswert, weil Aldi die Breite der Gesellschaft mitnimmt. Ich habe auch feststellen können, dass die Vorschläge in unserem Parteiprogramm hier gut funktionieren können.“
In der Kritik war vor Jahren noch die eingeschweißte Gurke. Sie wird heute lose verkauft und Aldi spart allein damit ca. 60 Tonnen Kunststoff im Jahr ein. Bis 2025 will man die Emissionen um ein Viertel reduzieren, bis 2024 sollen sich auch die direkten Lieferanten wissenschaftsbasierte Reduktionsziele setzen. Sie sollen immerhin 75 Prozent der Emissionen in der Lieferkette ausmachen.