Waltrop/Essen. Die Grünen wollen Lastenräder mit 1000 Euro fördern. Was bei CDU und FDP für Spott sorgt, hat die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung längst getan.

Der Wind lässt es kräftig rauschen im Handy, Kirsten Hase ist unterwegs auf einem Tandem und lässt ihren Mann Marec lenken. Die beiden fahren von ihrer Spezialradmanufaktur Hase Bikes in Waltrop nach Gelsenkirchen, zu einem Auftritt der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Seit sie im Bundestagswahlkampf eine 1000-Euro-Kaufprämie für Lastenräder versprochen hat und dafür eine Milliarde Euro ausgeben will, sind die meist elektrisch unterstützten, überlangen Zweiräder zum Politikum geworden.

Schwarz-Gelb will in NRW Lastenrad-Förderung fortsetzen

„Abstrus und weltfremd“ nannte das CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Das Weltklima könne nicht mit Lasten­rädern in Berlin-Kreuzberg gerettet werden, spottete FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Dabei fördert der Bund die Anschaffung durch Unternehmen und Verwaltungen bereits mit bis zu 2500 Euro. Und die aus Ziemiaks und Dürrs Parteien gebildete schwarz-gelbe Landesregierung in NRW ergänzt dieses Programm mit Landesprämien von bis zu 4200 Euro für gewerbliche Cargobikes, wie die elektrischen Lastenräder heißen.

Verkauf versechsfacht

2020 wurden laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) bundesweit 103.200 Lastenräder verkauft – ein Anstieg um 40 Prozent. Binnen fünf Jahren hat sich diese Zahl versechsfacht.

Mehr als drei Viertel der Modelle sind Räder mit elektrischem Zusatzantrieb. Sie werden gewerblich vor allem in der Zustellung genutzt, zunehmend aber auch von Handwerkern.

Es seien bereits 3500 Anträge bewilligt worden, teilte das FDP-geführte Landeswirtschaftsministerium auf Anfrage unserer Redaktion mit. Die Landesregierung sehe insbesondere bei Unternehmen und Kommunen weiteres Potenzial, den innerstädtischen Verkehr zu entlasten und auf klimafreundliche Mobilität umzusteigen. Die Förderung solle auch im kommenden Jahr fortgesetzt werden. In der Logistik sieht auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) großes Potenzial für Lastenräder – sie sollen absehbar 30 Prozent der Zustellung auf der letzten Meile übernehmen.

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Der politische Streit um die Kaufprämien dreht sich vor allem darum, ob auch private Käufer einen staatlichen Zuschuss erhalten sollen. Doch auch das wäre nicht neu: NRW hat bereits 2300 private Lastenräder mit bis zu 1000 Euro gefördert – in Städten, deren Stickoxid-Werte zu hoch waren. Das Programm ist ausgelaufen. Weil viele Städte aber weiter auf die praktischen, aber teuren Zweiräder setzen, um den Autoverkehr und die Parkplatznot zu mindern, haben sie eigene Prämien ausgelobt. 20 NRW-Kommunen geben aktuell Zuschüsse, vorneweg Köln und Düsseldorf, im Ruhrgebiet hat sich allein das von CDU und Grünen regierte Recklinghausen dazu entschlossen.

Lastenrad-Boom: Lieferzeiten von anderthalb Jahren

Ob sie für eine Kaufprämie sei, bejaht Kirsten Hase wenig überraschend. Sie findet, auch Normalverdiener sollten sich die ab etwa 2500 Euro erhältlichen E-Lastenräder leisten können – Hases Topmodell Pino liegt bei 7000 Euro und mehr. Doch auf die Frage, ob die Prämie aktuell gebraucht würde, um den Verkauf anzukurbeln, muss sie lachen und sagt: „Aktuell geben wir als Lieferdatum März 2023 an. Wir kommen mit der Produktion nicht hinterher.“

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So wie der Waltroper Spezialrad-Manufaktur geht es fast allen Herstellern: Der Fahrradboom im Zuge der Corona-Krise trifft auf unterbrochene Lieferketten – auch das eine Folge der Pandemie. Manchmal fehlt ein kleines Teil, ein Ritzel aus Asien etwa, um das Rad fertigstellen und ausliefern zu können. Vor Corona betrug die Lieferzeit sechs bis acht Wochen, sagt Kirsten Hase, da wollen sie irgendwann wieder hin. Bis Jahresende soll deshalb auf der Zeche Waltrop eine neue Produktionshalle stehen und die Fertigung am Band erfolgen. Ab 2022 wollen die Hases dann mit ihren 70 Beschäftigten bis zu 4500 statt 3000 Lasten-, Liege- und Handräder bauen.

Auch Recklinghausen zahlt Prämie für private Lastenräder

In Recklinghausen ist man überzeugt, dass Lastenräder echtes Potenzial haben, die Verkehrslage in der Stadt zu beruhigen. Sie übernimmt bereits im zweiten Jahr für private Käufer 30 Prozent des Preises, maximal aber 1000 Euro. „Gerade in städtischen Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet werden viel zu viele Strecken unter fünf Kilometern mit dem Auto absolviert. Das ließe sich alles mit dem Lastenrad erledigen, vor allem die Einkäufe“, sagt David Herz, Recklinghausens Koordinator für Nahmobilität. Diese Routine, zum Supermarkt um die Ecke mit dem Auto zu fahren oder das Kind zur Schule zu fahren, wolle man aufbrechen. Er ist sicher: „Mit dem Rad geht alles bis fünf Kilometer auch schneller, wenn man die Parkplatzsuche einrechnet.“ Das mindere Lärm, Emissionen, Parkplatznot und verbessere die Klimabilanz.

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Die Stadt hat bisher rund 50 Lastenräder gefördert, „die Entscheidung fällt Privatleuten mit Prämie schon leichter, etwa wenn es darum geht, den Zweitwagen abzuschaffen“, sagt Herz. Ob nicht Menschen die Prämie erhielten, die genug verdienten, um sich ein Lastenrad leisten zu können? „Wir belohnen klimafreundliches Verhalten in vielen Bereichen, warum soll der Kauf eines E-Autos gefördert werden, der eines E-Lastenrads aber nicht?“, findet er. Und wundert sich, warum Recklinghausen die einzige Stadt im Ruhrgebiet ist, die Lastenräder fördert.