Mülheim. Verwaltung und die Initiatoren des Mülheimer Bürgerbegehrens für die Stadtteilbibliotheken haben ein Konzept. Jetzt muss noch der Rat zustimmen.

Kann Mülheim an Krisen wachsen? Zumindest im Falle der Stadtteilbibliotheken hat der nun gefundene Kompromiss das Potenzial. Das bürgerschaftliche Engagement der Stadtschulpflegschaft der Grundschulen – und nicht zuletzt der ,Argumentationsverstärker’ eines „Bürgerbegehrens“ – hat Verwaltung, Kämmerer und Oberbürgermeister, Schulleitungen sowie OGS-Träger an einem Strang ziehen lassen.

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Die Bibliotheken bleiben als Begegnungsort und Ausleihe mit Fachpersonal bestehen

Entscheiden darüber muss freilich noch die Politik Anfang Juli. Teile von ihnen sollen aber bereits ein „Daumen hoch“ signalisiert haben, wie OB Marc Buchholz mitteilt. Was aber ist nun der Ansatz? Das Positive vorweg: Alle vier Stadtteilbibliotheken in Dümpten, Speldorf, Heißen und Styrum bleiben nicht nur bestehen, sondern behalten auch ihre Bibliotheksfachkräfte vor Ort im Umfang jeweils einer vollen Stelle.

Die fachliche Kompetenz vor Ort zu erhalten – das heißt vor allem die sozialpädagogische, didaktische Arbeit – war eine mehr als deutliche Forderung der Stadtschulpflegschaft, der Schulleitungen und nicht zuletzt des Freundeskreises der Stadtteilbibliotheken. Denn als die Mehrheit aus CDU, FDP und Grünen im Februar das Aus für die örtlichen Bibliotheken im Haushalt verankert hatten, um am Ende 400.000 Euro für den Offenen Ganztag gewinnen zu können, war der Aufschrei groß: Bildungseinrichtungen zu schließen, um OGS zu finanzieren? Das leuchtete den wenigsten ein.

OB Buchholz verspricht: Das Ehrenamt soll nicht überlastet werden

Für noch weniger Verständnis sorgte zudem zunächst ein Vorschlag, die Lücke der Fachkräfte mit Ehrenamtlichen schließen zu wollen. „Was wir nicht wollen, ist, das Ehrenamt zu überfordern“, räumt OB Buchholz diese Idee nun vom Tisch.

Die Stadt will zum einen dafür weniger Stellen sparen als ursprünglich geplant: Statt am Ende 400.000 Euro zu kürzen, indem man acht Stellen in den kommenden zwei Jahren nicht wiederbesetzt, werden es am Ende nur sechs, was 300.000 Euro spart. Die deshalb fehlenden 100.000 Euro will man stattdessen an vielen Positionen im gesamten Haushalt streichen.

Kämmerer Frank Mendack holte sich dafür das Einverständnis der Kommunalaufsicht ein. „Die Tatsache, dass die Politik im Februar gezeigt hat, notfalls auch unbequeme Beschlüsse zu treffen, hat dort für Vertrauen gesorgt, dass wir die fehlende Summe einsparen werden.“

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Personal der neuen Familienzentren sollen Angebote der Bibliotheken sozialpädagogisch stärken

Die erhaltenen Fachkräfte sollen zum anderen durch Personal der Familienzentren, die an Grundschulen andocken, unterstützt werden. Acht Zentren hat Buchholz beim Land beantragt, das jeweils eine halbe Stelle plus 8000 Euro Sachmittel finanziert. Hinzu kommt eine Koordinierungsstelle pro vier Zentren – maximal also zwei. Die können schon im Sommer 2021 an den Start gehen, und Buchholz scheint sich recht sicher zu sein, dass diese auch genehmigt werden. Es ist Wahljahr.

Buchholz will die Entscheidung aber nicht erst abwarten, sondern hat bereits mit den Trägern der Familiengrundschulzentren inhaltliche Gespräche über verbindliche Strukturen geführt. Demnach soll die Arbeit der Stadtteilbibliotheken sozialpädagogisch flankiert werden etwa mit Medienangeboten und digitalem Lernen, Vorlesenachmittage, Erzählcafé, regelmäßige Kreativnachmittage, „Kulturrucksack“, Begegnungsangebote wie ein monatliches Eltern-Kind-Treffen. Die Liste ist lang und trifft den Kern dessen, was viele Besucher der Stadtteilbibliotheken geschätzt haben.

„Wir haben durch die Möglichkeit der Familiengrundschulzentren, den Stadtteilbibliotheken eine noch größere Bedeutung zu geben“, hofft der OB. Auch Kulturdezernent Peter Vermeulen sieht, „eine neue Qualität der Stadtteilbibliotheken. Aus der Krise ist eine Chance geworden“.

Die Stadtschulpflegschaft sieht einen guten Kompromiss: Die Verwaltung hat transparent gearbeitet

Stadt will bis Ende 2023 finanzielle Spielräume schaffen

Der Kompromissvorschlag ist bereits als Antrag für die Ratssitzung am 1. Juli vorgesehen. Geht er durch die Politik, soll dieser bis Ende 2023 verbindlich sein.

Dann endet übrigens auch der Stärkungspakt der Landesregierung. Mülheim wäre dann wieder frei, seinen Haushalt selbst zu gestalten. Und damit auch wieder mehr in die vermeintliche Kür einer Stadt – die Kultur und Bildung – zu investieren.

„Wir arbeiten daran, die Spielräume zu schaffen, die wir ab 2024 haben wollen“, stellt der Kämmerer Frank Mendack in Aussicht.

Wie zufrieden sind aber die Initiatoren des Bürgerbegehrens, die Stadtschulpflegschaft? Julia Othlinghaus-Wulhorst, Frank Elberzhagen und Daniel Steinbring sehen einen guten Kompromiss: „Wir haben es geschafft, zu einer positiven Lösung zu kommen. Die Verwaltung zeigte sich sehr transparent und wir haben versucht, auch ihre Perspektive zu verstehen.“ Das vielseitige Angebot vor Ort bleibe weitestgehend erhalten. Die zahlreichen Unterstützer aus dem Freundeskreis der Stadtteilbibliotheken, der Schulen, Bildungs- und Kultureinrichtungen seien bereits informiert.

Und offenkundig signalisieren auch diese Zufriedenheit: „Die Verwaltung hat sich nicht wenig bewegt“, lobt Brigitte Jänigen vom Freundeskreis der Stadtteilbibliotheken. Mit der Lösung könne man leben. „Gut finde ich, dass die Bibliotheken so frei in der Gestaltung vor Ort sind, dass sie jeweils für den Stadtteil passende Angebote machen können.“

Ihr „großes Lob“ gilt aber dem „unheimlichen Einsatz“ der drei Stadtschulpflegschaftsvorständen. Ist das Begehren damit vom Tisch? „Ja, aber wir werden die Umsetzung und die Besucherzahlen genau beobachten“, verspricht Elberzhagen.