Mülheim. Während das Mülheimer Bürgerbegehren gegen die Schließung der Bibliotheken ruht, wird ein Konzept verhandelt. Doch wo kann es Kompromisse geben?

Gibt es eine Zukunft für die Mülheimer Stadtteilbibliotheken – und wenn ja, welche? Noch bis Mitte April hatten sich hinter einem Bürgerbegehren der Stadtschulpflegschaft gegen eine Schließung reichlich Akteure aus der Kultur, Bildung und Politik versammelt. Doch am 16. April ließen Oberbürgermeister und Kämmerer überraschend verkünden: Das Bürgerbegehren sei aufgeschoben. Fällt nun die harte Linie?

,Frohe Botschaft’ des Mülheimer OB und Kämmerers kam überraschend

Die ,frohe Botschaft’ aus der Verwaltungsspitze kam offenbar ohne Wissen der Initiatoren der Kürzung im Bildungsbereich – CDU und Grüne. Diese hatten in der Styrumer Stadtviertelkonferenz zwei Tage zuvor den Wegfall der Bibliotheken in Heißen, Styrum, Speldorf und Dümpten als kleineres Übel vehement verteidigt. Denn mit der Kürzung wollten die Fraktionen verhindern, dass in einem anderen Bildungsbereich – im Offenen Ganztag und bei Kita-Zuschüssen – umfassend Mittel gestrichen werden.

Es sei nicht schön, aber eine einfache mathematische Aufgabe, argumentierte die Parteisprecherin der Grünen, Kathrin Rose, für den Kürzungsbeschluss: „Ich musste eine Summe einsparen. In der Abwägung waren mir die OGS- und Kita-Zuschläge wichtiger.“ Auch die CDU-Fraktionsvorsitzende der Bezirksvertretung 2, Petra Seidemann-Matschulla, verteidigte dies: „Wenn gekürzt wird, geht es immer um freiwillige Ausgaben. Dazu gehört die Kultur.“

Nach Angaben der Grünen und CDU habe der Kämmerer den Parteien im Vorfeld eine Vorschlagsliste unterbreitet, auf der auch die Stadtteilbibliotheken standen. Für die CDU zumindest standen diese schon vor vielen Jahren auf der Streichagenda. Und diesmal traf es sie: Der Beschluss erhielt mit den Stimmen der FDP eine Mehrheit im Hauptausschuss.

Mülheimer Stadtschulpflegschaft überrascht von der Einladung des OB

Dass ausgerechnet die Mit-Architekten des kritisierten Haushaltsbeschlusses nun einen möglichen Ausweg – und das auch noch zunächst ohne Einbezug der Politik – eröffnet haben, irritiert manchen Beobachter. Unerwartet wurde der Vorstand der Stadtschulpflegschaft vom OB für den 15. April eingeladen. Das Thema? Buchholz ließ nur so viel durchblicken: Es sollte um das Bürgerbegehren gehen.

Daraufhin kamen der Vorstand mit Buchholz, Kämmerer Frank Mendack und einer Verwaltungsmitarbeiterin zusammen. „Wir sind offen ins Gespräch gegangen“, sagt die Sprecherin der Stadtschulpflegschaft, Julia Othlinghaus-Wulhorst, „wir begrüßen aber, dass es einen Kompromiss geben soll.“

Vorsicht Fallstrick: Drohen Kollateralschäden und eine zweite VHS-Debatte?

Für die Stadtschulpflegschaft, die das Bürgerbegehren initiiert hat, ist die Handreichung des OB eine Chance, nicht nur die Stadtteilbibliotheken zu erhalten, sondern auch weiteren Kollateralschaden in der Bildungs- und Kulturlandschaft zu verhindern. „Uns hat es sich von Anfang an nicht erschlossen, dass im Bildungsbereich gekürzt worden ist“, meint Othlinghaus-Wulhorst.

Denn die Initiatoren befürchten, dass mit einem harten Bürgerbegehren nun andere sogenannte freiwillige Ausgaben in Kultur und Bildung wegfallen können – gar das eine gegen das andere ausgespielt werden könnte. Eine Debatte wie zur VHS-Sanierung soll sich jedoch nicht wiederholen. Damals hatte die Stadtverwaltung Verzögerungen etwa in der Schulsanierung angekündigt, wenn man die VHS sanieren wolle. „Gelingt uns hier aber der Kompromiss, hätten alle gewonnen“, sagt Othlinghaus-Wulhorst.

Rote Linie: Ohne Fachkräfte in den Bibliotheken wird es keinen Kompromiss geben

Doch einfach wird es nicht. Der härteste Streitpunkt: das Personal und die Kosten. Unmissverständlich ist für die Schulpflegschaft eine rote Linie gezogen: „Ohne Fachkräfte können die Stadtteilbibliotheken nicht arbeiten. Das kann auch nicht von Ehrenamtlern oder Schulen aufgefangen werden.“ Auch bei der Stadtschulpflegschaftssprecherin hat sich in den bisherigen Gesprächen mit Stadtspitze und Parteien der Eindruck eingestellt, weder Stadtverwaltung noch weite Teile der Politik seien im Bilde, was in der stadteigenen Einrichtung an wichtiger Arbeit geleistet werde.

Wie weit können die harten Linien für einen Kompromiss aufgeweicht werden? Noch ist man von einem gemeinsamen Konzept weit entfernt. In mehreren Gesprächen mit der Schulpflegschaft, Schulen, Freundeskreis der Stadtbibliothek, Kirchengemeinden, auch den politischen Fraktionen will man in regelmäßigen Sitzungen bis zur Ratssitzung im Juli ein solches erarbeiten.

Kann dieselbe Arbeit mit weniger Fachkräften plus Ehrenamt geleistet werden?

Opposition will Vorschlag zunächst abwarten

„Ehrenamt nur ,on top’, nicht als Ersatz von Fachkräften“, kündigt SPD-Fraktionsvorsitzende Margarete Wietelmann Skepsis an, den Betrieb der Stadtteilbibliotheken mit Ehrenamtlern, Vereinen und Schulen leisten zu können.Gemeinsam mit der MBI und der Partei „Die Partei“ hatten sich die Genossen bereits für die Unterstützung des Bürgerbegehrens ausgesprochen. Die SPD will aber erst den Vorschlag der Gruppe abwarten.

Diskutiert wird etwa, dass man statt der angedachten acht von zehn Stellen nur sechs streicht. Damit spare die Stadt angeblich zwar nur 300.000 Euro anstelle der geplanten 400.000. Und 100.000 Euro müssten dann anderswo kompensiert werden. Es blieben somit vier Stellen, die sich auf die Stadtteile verteilen könnten.

Wie die Arbeit von zehn Mitarbeitern künftig von nur vier aufgefangen werden kann, bleibt aber die Kernfrage – hier könnten Ehrenamtliche, Schulen, Vereine und das Medienhaus ins Spiel kommen, die bestimmte Aufgaben übernehmen. Nach Ansicht von Othlinghaus-Wulhorst müssen die Fachkräfte Zeit bekommen, die umfassende pädagogische, didaktische, kreative Arbeit leisten zu können, mit der sie die Stadtteilbibliotheken zu beliebten und funktionierenden Bildungszentren und Treffs gemacht haben.

Ähnlich problematisch wäre daher auch eine Kürzung bei den Öffnungszeiten. „Es ist schade, dass man einen Beschluss gefasst hat, ohne sich offenbar die Konsequenzen bewusst zu machen“, resümiert die Sprecherin.

Einkaufen lassen, will sich die Stadtschulpflegschaft bei aller Kompromissbereitschaft jedoch nicht. „Wir führen Gespräche auf Augenhöhe“, kündigt Othlinghaus-Wulhorst an. Stellt sich das Bewusstsein für die wichtige Funktion der Stadtteilbibliotheken bei Politik und Verwaltung nicht ein, hat die Schulpflegschaft noch immer das Bürgerbegehren mit bisher großem Zuspruch in Hinterhand.