Mülheim. Muslime, Christen und Konfessionslose aus Mülheim trafen sich zum digitalen Fastenbrechen. Handfester Austausch über Probleme in der Pandemie.
Seit acht Jahren laden die Familienfreunde des Centrums für Bürgerschaftliches Engagement (CBE), die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und das Jugendzentrum Stadtmitte im islamischen Fastenmonat Ramadan zum Fastenbrechen ins Jugendzentrum an der Georgstraße oder in die Awo-Begegnungsstätte an der Bahnstraße. Doch wie schon im Vorjahr musste das gesellige Treffen Corona-bedingt als Zoom-Meeting im Internet stattfinden.
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Dennoch hatte das gut zweistündige Abendgespräch im Ramadan, in das sich etwa 50 Mülheimer Muslime, Christen und Konfessionslose eingeschaltet hatten, etwas von einem familiären Plausch, bei dem man sich besser kennen- und verstehen lernen konnte. In der von Gilberte Raymonde-Driesen (CBE) und Vahide Tig (Jugendzentrum Stadtmitte) moderierten Gesprächsrunde kamen, zumindest visuell, nicht nur Köstlichkeiten auf den Tisch.
Appell, die Corona-Impfungen als lebensrettendes Angebot anzunehmen
Es wurde auch handfest über Themen gesprochen, die uns Mülheimer, die wir aus mehr als 140 Nationen in unserer Stadt zusammengekommen sind, alle betreffen. Da gab es zum Beispiel einen leidenschaftlichen Appell, die Anti-Corona-Impfungen als lebensrettendes Angebot anzunehmen und sich nicht von Falschmeldungen aus den Sozialen Medien über angebliche Nebenwirkungen, die es gar nicht gebe, davon abhalten zu lassen.
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Nicht nur muslimische Gesprächsteilnehmer berichteten davon, dass Corona einsam und manchmal sogar psychisch krank macht und dass der Verzicht auf Treffen mit Freunden und Familienangehörigen eine schwere soziale und seelische Belastungsprobe darstelle. Alle Teilnehmer des Zoom-Meetings waren sich einig, „dass die Corona-Zeit für uns alle eine große seelische Fastenzeit ist und wir nach ihrem Ende vielleicht viel mehr zu schätzen wissen, was wir an unseren Mitmenschen und unseren sozialen Kontakten haben und so auch erkennen, was im Leben wirklich wichtig ist.“
Mindestens sieben Euro für Bedürftige spenden
Interessant war es auch, zu erfahren, dass jeder gläubige Muslim während des Ramadans mindestens sieben Euro für bedürftige Mitmenschen spenden muss. Meistens werden diese Spenden von den Moschee-Gemeinden eingesammelt, so dass ihre Gesamtsumme soziale Wirkung entfalten kann. Allerdings müssen die Muslime auch in diesem Corona-Jahr nicht nur auf das gesellige Fastenbrechen vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang, sondern auch auf das gemeinschaftliche Gebet in der Moschee verzichten.
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Viel Solidarität erfuhren die muslimischen von ihren nicht-muslimischen Gesprächspartnern, die sich zum Teil in den multikulturellen Familienteams des CBE engagieren, in der Frage der Corona-Disziplin in Zeiten des Ramadans. „Die meisten Muslime und Nicht-Muslime in unserer Stadt halten sich an die Regeln. Nur eine Minderheit tut dies nicht. Aber diese Minderheit sollte nicht dafür sorgen, dass verallgemeinert wird und alle den ganzen Problemkübel abbekommen“, hieß es. Festgehalten wurde auch: „Nicht die Inzidenzzahlen sind das eigentliche Problem, sondern die sozial prekären und beengten Lebensverhältnisse der Familien in den nördlichen Stadtteilen.
Problem von Parallelgesellschaften am oberen und unteren Ende der Skala
Vor einem Jahr, als die Inzidenzen im wohlhabenden Süden der Stadt höher waren, habe man den dort lebenden Menschen auch nicht aufs Auge gedrückt, dass sie eine Corona-Infektion aus dem Ski-Urlaub mit nach Hause gebracht hätten. Heute gebe es nicht nur am unteren, sondern auch am oberen Ende der sozialen Skala das Problem von Parallelgesellschaften, die sich von ihrem Umfeld abschirmten.“
Zuckerfest am 12. Mai
Der islamische Fastenmonat Ramadan findet im neunten Monat des Mondkalenders statt. Er dauert, abhängig von den jährlich wechselnden Mondphasen 29 oder 30 Tage. Da sich sein Beginn von Jahr zu Jahr um zehn Tage nach vorne verschiebt, wird der Ramadan im Laufe der Jahre immer wieder zu verschiedenen Jahreszeiten begangen.
Die Nacht des 27. Ramadan-Tages gilt den Muslimen als Heilige Nacht, in der sie der „Herabsendung“ des Korans gedenken. Der islamische Fastenmonat, der, wie die christliche Fastenzeit vor Ostern Körper und Seele reinigen soll, endet mit dem Zuckerfest, dass in diesem Jahr am 12. Mai gefeiert wird.
2022, nach überstandener Pandemie, konnte sich die Zoom-Runde vorstellen, ein für alle Bürger offenes Fastenbrechen auf dem Rathausmarkt oder in einem großen Saal der Stadt zu veranstalten.
Die Zuwanderer bekamen ausdrückliches Lob für ihren familiären Zusammenhalt, „der leider in vielen deutschen Familien heute nicht mehr gelebt wird und vor allem viele alte Menschen vereinsamen lässt.“ Die muslimischen Gesprächsteilnehmer machten deutlich, dass der Islam im Ramadan kein zwingendes Fastengebot für alle Muslime kenne. So seien Kinder, schwangere Frauen, Schwerstarbeiter und Reisende vom Fastengebot befreit.
Ausdrücklich wurde ein Lehrer dazu ermutigt, ein klärendes Gespräch mit den islamischen Eltern zu suchen, die ihre Kinder aufgrund ihrer strengen Religionsauslegung zum Fasten im Ramadan zwängen und damit ihre Leistungsfähigkeit in der Schule beeinträchtigten. „Der Koran zwingt uns zu nichts, was wir als gläubige Muslime in einer bestimmten Lebenssituation nicht leisten können“, hieß es dazu.