Essen. Die Muslime in Nordrhein-Westfalen erleben einen Ramadan, wie es ihn noch nie gegeben hat. Sie fiebern den Lockerungen ab Anfang Mai entgegen.
Freitagnachmittag in der Salahu d-Dîn-Moschee, einem imposanten, sandfarbenen Gotteshaus in einem Altenessener Gewerbegebiet. In dem großen, mit einem blauen Teppich ausgeschlagenen Gebetssaal sitzt Imam Muhammad Amin Rashid unter dem prachtvollen Leuchter auf einem hölzernen Stuhl mit hoher, verzierter Rückenlehne, vor sich eine Videokamera und einen Monitor. Es ist der erste Tag des Ramadan und in diesem Jahr ist der heilige Fastenmonat der Muslime anders als jemals zuvor.
Eigentlich wäre um diese Uhrzeit der Gebetssaal voll. Hunderte Gläubige würden sich in der Moschee drängen, um sich die Unterrichtungen des Imams und anderer Prediger anzuhören. Aber wie in den vergangenen Wochen muss der Imam auch heute wieder in die Kamera sprechen. Tausende schauen ihm auf Facebook und Youtube zu, so wie sie es schon in den vergangenen Wochen in der Corona-Krise gemacht haben.
Eine der größten arabischen Moscheen in Deutschland
Die Salahu d-Dîn-Moschee in Essen ist eine der größten arabischen Moscheen in Deutschland, die Gläubigen, die sie besuchen, kommen vor allem aus dem Irak, aus Syrien oder dem Libanon. Dass sie in den vergangenen Wochen nicht zum gemeinsamen Freitagsgebet kommen konnten, habe viele der Gemeindemitglieder hart getroffen, sagt der Imam. „Das ist wichtig für die Seele. Die Ausübung der religiösen Rituale hält sie fern von schlechten Handlungen.“
Der 51-Jährige ist in diesen Tagen Seelentröster und Konfliktberater. Viele Menschen rufen bei ihm an, berichten von häuslichem Zwist oder von dem Kummer, der sie plagt, weil sie nicht mehr in Gemeinschaft beten können. „Da sind viele Trauertränen geflossen.“ Normalerweise sind Moscheen in Krisenzeiten Zufluchtsorte.
Bislang ist die Gemeinde von einer Corona-Infektion verschont geblieben
Bei seiner heutigen Unterrichtung will der Imam die Gläubigen an die Moral erinnern, und daran, dass sie sich an die Vorschriften halten müssen. Das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang, sonst ein gesellschaftliches Ereignis, das oft in der Öffentlichkeit stattfindet, fällt zumindest in den ersten Wochen des Ramadan bescheiden aus und findet nur im kleinen Kreis statt.
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Bislang, sagt Rashid, sei die Gemeinde von dem Virus verschont geblieben. Niemand wurde infiziert, Alhamdulillah, Gott sei Dank. Er führt das auch darauf zurück, dass die Gemeindemitglieder sich strikt an die Vorschriften gehalten haben. Das würden sie auch tun, wenn die Moscheen ab Anfang Mai wieder öffnen können. Das Gebet Schulter an Schulter, wie es üblich ist, wird so nicht stattfinden können. Die Gläubigen werden Abstand halten müssen.
Beten - und auf den Rat von Ärzten und Experten hören
„Das Gebet wird trotzdem seine Gültigkeit haben“, sagt der Imam lächelnd. „Einmal ist ein Mann zum Propheten gekommen. Er hat ihn gefragt, ob er sein Kamel nicht anbinden und stattdessen auf Gott vertrauen soll. Der Prophet hat ihm gesagt, er solle sein Kamel anbinden und auf Gott vertrauen.“ Heißt in die heutige Zeit übersetzt: Es ist klug, nicht nur zu beten, sondern auf den Rat von Ärzten und Experten zu hören.
Wenn die Öffnung kommt, wird es den Muslimen in Deutschland besser ergehen als ihren Glaubensgeschwistern in den meisten arabischen Ländern. Dort gilt eine strikte Ausgangssperre, die nach jetziger Schau auch nicht während des Fastenmonats gelockert wird. „In solchen Krisen weiß man, was man an Deutschland hat“, sagt Alaá El-Sayed, der stellvertretende Vorsitzende der Salahu d-Dîn-Gemeinde.
El-Sayed: Wir haben eine Verantwortung, es wird nicht brechend voll werden
Die Gemeinde hat in der Stadt einen sehr guten Ruf, wird immer wieder für ihr Eintreten gegen religiösen Extremismus und für ihre Jugendarbeit gelobt. „Aber zurzeit ist das gesamte Gemeindeleben zum Erliegen gekommen“, bedauert El-Sayed, der auch deswegen froh darüber ist, dass nun Lockerungen der strikten Beschränkungen in Reichweite sind. „Wie wir dann genau vorgehen, wissen wir noch nicht. Wir warten ab, was die Stadt einfordert.“
Möglicherweise, sagt El-Sayed, werden sie mit Listen arbeiten, damit nur jeweils ein Teil der Gläubigen zum Gottesdienst kommen kann. „Wir haben eine Verantwortung und werden dafür sorgen, dass es nicht brechend voll wird.“ Zumindest werden sie in der Salahu d-Dîn-Gemeinde irgendwie gemeinsam das Fastenbrechen feiern und beten können. Besser als eine Video-Übertragung wird es allemal sein.