Essen. Konzept in Essen sieht eine Seilbahnstrecke zur Zeche Zollverein vor. Zahlreiche weitere Städte im Ruhrgebiet sehen in der Technik eine Lösung.
Die Straßen in den Städten des Ruhrgebiets sind überlastet. Anwohner klagen über Staus, Lärm und dicke Luft. Warum also nicht dem Verkehrschaos entkommen und einfach darüber hinwegschweben? Verkehrsexperten sehen eine preisgünstige und emissionsfreie Möglichkeit, den Verkehr zu entzerren: Seilbahnen könnten stark frequentierte Strecken entlasten und die Verkehrswende anschieben.
Diese Idee gewinnt im Ruhrgebiet und in NRW offenbar immer mehr Freunde. In Köln soll sie im Zickzackkurs über den Rhein schweben, in Bochum den Uni-Campus mit der Innenstadt und dem ehemaligen Opelgelände verbinden, in Dortmund den Hafen ansteuern oder in Bonn zur Uniklinik führen. Auch in Gelsenkirchen, Herne und Düsseldorf wird über eine Seilbahn als Ergänzung des ÖPNV diskutiert. In machen Städten wurden bereits Machbarkeitsstudien zur Ermittlung der Kosten und zur Suche nach geeigneten Trassen in Auftrag gegeben.
Uni Duisburg-Essen erarbeitet Machbarkeitsstudie
So auch in Essen. Hier arbeitet seit kurzem ein Team unter Leitung von Prof. Rudolf Juchelka im Auftrag der Stadttochter Essen Marketing GmbH (EMG) an einer Studie für eine Seilbahn im Essener Norden, die das Weltkulturerbe Zollverein mit der nördlichen Innenstadt verbinden könnte. „Zollverein als Zielort einer Seilbahn ist ein spannendes und schlüssiges Konzept“, meint Wirtschafts- und Verkehrsgeograf Juchelka.
„Täglich pendeln zahlreiche Besucher und Beschäftigte nach Katerberg, das garantiert über den ganzen Tag eine Grundauslastung der Bahn.“ Die bisherigen ÖPNV-Verbindungen nach Zollverein seien wenig attraktiv und leistungsfähig. Eine Seilbahn aber könne 6500 Menschen pro Stunde befördern – ohne Wartezeit und Staugefahr.
Seilbahn als neues Element im ÖPNV-Angebot
Zudem sei der Image-Effekt nicht zu unterschätzen, glaubt EMG-Geschäftsführer Richard Röhrhoff. „Es würde eine große Aufwertung des Essener Nordens bedeuten und weltweite Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“ Röhrhoff bekennt sich als Seilbahnfan. Viele Jahre hat er als Berater für das Land Rheinland-Pfalz maßgeblich den Ausbau der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz begleitet.
Die Seilbahn, die von der Stadt hinauf zur Festung führt, sei eine „riesige Erfolgsgeschichte“ und soll in Kürze in die Neubaugebiete verlängert werden. Röhrhoff: „Die einstigen Gegner des Projekts würden sich heute an die Pfeiler ketten, wenn man die Seilbahn wieder abbauen wollte.“ Auf einen ähnlichen Effekt setzt er in Essen.
Förderung durch Land und Bund
Doch es geht bei den Überlegungen nicht nur um ein spektakuläres Verkehrssystem, betont Ruhrbahn-Chef Michael Feller. „Es kommt darauf an, die Seilbahn in das gesamte ÖPNV-System sinnvoll zu integrieren. „Die Lösung liegt nicht in einer Seilbahn, sondern in einer Kombination verschiedener Verkehrsträger“, betont Feller. Eine rund drei Kilometer lange Pilotstrecke könnte zum Beispiel vom Bahnhof Altenessen über eine alte Bahntrasse bis zur Kokerei Zollverein führen. Die Kosten für die nötigen Investitionen könnten nach Angaben des Ruhrbahn-Chefs zu 95 Prozent über eine Förderung von Bund und Land gedeckt werden.
Die mögliche Förderung durch die öffentliche Hand macht die Seilbahnidee für viele Rathäuser interessant. Am weitesten fortgeschritten sind die Planungen derzeit wohl in Bonn. Eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse soll im Sommer vorliegen. Davon hängt ab, ob die Stadt die benötigten Zuschüsse bekommt. Die geplante Bahn soll Pendler zu ihren Arbeitsplätzen bringen, etwa zum Uniklinikum auf dem Venusberg oder zu den Büros der Vereinten Nationen (UN-Campus).
Bürgerinitiative brachte Bau einer Seilbahn zu Fall
Doch nicht alle Anwohner sind von der Vorstellung angetan, dass Fahrgäste künftig von oben auf sie herabsehen. Wie zuvor in Wuppertal regt sich auch in Bonn Widerstand. Eine Bürgerinitiative hält die Kosten für zu hoch und kritisiert, dass eine Schule weichen soll. In Wuppertal brachte im Mai 2019 eine Bürgerbefragung das Aus für ein bereits weit fortgeschrittenes Seilbahnprojekt. Es sollte Studenten und Beschäftigte vom Bahnhof zur Universität auf dem Grifflenberg bringen und die überlastete Busverbindung ergänzen.
Prof. Juchelka hätte sich gewünscht, dass in Wuppertal die Seilbahn gebaut worden wäre. „Dann hätten wir endlich ein echtes Referenzprojekt für ähnliche Vorhaben in Deutschland gehabt“, so der Verkehrswissenschaftler. „Leider gibt es in Deutschland zu viele Bedenkenträger“, meint Juchelka. Er wünscht sich mehr Mut von Bürgern und Politik bei der Umsetzung innovativer Verkehrskonzepte.
Wissenschaftler präsentieren Kombination aus Bus und Seilbahn
Haben die Essener diesen Mut? Das Zollverein-Gelände bietet sich jedenfalls an für das innovative Seilbahnkonzept an, das Wissenschaftler des Aachener Instituts für Strukturmechanik und Leichtbau kürzlich vorstellten. Denn es setzt auf eine ausgeklügelte Kombination von Elektrobus und Seilbahn, das die Forscher um Prof. Kai-Uwe Schröder und Tobias Meinert von der RWTH Aachen „upBus tauften.
Der Clou: Für die Fahrt auf der Straße ist die Fahrgastkabine mit einem elektrisch angetriebenen Fahrgestell gekoppelt. Nähert sich der Bus einer Seilbahnstation, wird er automatisch „an den Haken“ genommen und in die Luft gehoben, während das Fahrgestell am Boden verbleibt und die Batterien aufgeladen werden. Am Ende der Seilbahnstrecke wird die Kabine wieder auf die Räder gesetzt und kann die Fahrt fortsetzen.
„Ideale Lösung für Zollverein“
„Für Zollverein wäre dies eine ideale Lösung“, meinen Feller und Röhrhoff. Die Seilbahn könnte an der Kokerei enden und von dort aus als E-Bus die Besucher automatisch an jeden Ort des weitläufigen Geländes des Weltkulturerbes transportieren. Der Start eines Testbetriebs bis 2023, wie es sich die Aachener Forscher vorstellen, hält Röhrhoff indes für zu ehrgeizig. Aber: „In fünf bis sechs Jahren hätte ich gerne eine verbesserte Erschließung des Geländes mit hohem Erlebniswert.“ Was kann das anderes sein als eine Seilbahn?
>>>> Vorteil Seilbahn
Der Bau einer Seilbahn lasse sich deutlich rascher und günstiger realisieren als der einer Straßenbahn, meint Maschinenbauingenieur Tobias Meinert. Die Aachener Forscher gehen von rund zehn Millionen Euro pro Kilometer aus. Im Vergleich zu einer Straßenbahn sei das etwa ein Drittel der Kosten, im Vergleich zur U-Bahn etwa ein Zehntel.
Eine Seilbahn sei unabhängig vom Verkehrsaufkommen auf den Straßen, verbrauche vergleichsweise wenig Energie, habe geringe Betriebskosten und eine sichere Technik. Meinert: „Kein Verkehrsmittel ist sicherer als eine Seilbahn.“