Mülheim. Vor allem die ausbleibenden staatlichen Hilfen setzen vielen Mülheimer Wirten zu. Sie müssen kämpfen – manchen hat die Pandemie schon ruiniert.

„Sehr schwierig“, „eine schlimme Zeit“, „eine Katastrophe“: Fragt man Mülheimer Gastronomen, wie es ihnen nach fast vier Monaten Corona-Zwangsschließung ergeht, könnte man fast (mit-)verzweifeln. Die Gespräche laufen zum Teil hoch emotional ab, die Wirte schimpfen, Tränen fließen. Unter anderem bei Sladjana Petrovic. Bis Dezember war sie die Wirtin der Kneipe „Zum Depot“ in Broich. „Dann hat mich die Pandemie ruiniert.“ Sie musste den Laden schließen. „Jetzt wieder bei Null anzufangen, das tut weh.“ Sie sei in der Stadt nicht die einzige mit diesem Schicksal.

Die Geldsorgen sind vielerorts riesig, auch wenn mancher mit Abhol- oder Lieferdiensten noch ein wenig einnimmt. Die schleppende Auszahlung der staatlichen Hilfen, so berichten Sladjana Petrovic und die meisten anderen, sei das Hauptärgernis. Trotzdem beißen viele die Zähne zusammen, machen irgendwie weiter. So wie Susanne Lontz, seit 2011 Inhaberin der „Tomate“ an der Ruhr, die sich fest vorgenommen hat: „Ich werde es schaffen – ich habe einen bayrischen Dickschädel.“

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„Nicht mal die November-Hilfe ist bislang angekommen“

Leicht aber wird’s nicht: „Nicht mal die November-Hilfe ist angekommen, geschweige denn das Geld für die Monate danach.“ Angestellte seien über das Kurzarbeitergeld ja halbwegs versorgt, „mich aber fragt keiner, wovon ich meine Sachen bezahlen soll“, klagt Lontz. Sie plädiert für ein „Mindestgehalt“ für Restaurant-Betreiber. Um zum Beispiel die Miete zahlen zu können, was ihr derzeit durchaus Probleme bereite.

Minimale Einnahmen immerhin hat sie mit der Glühweinhütte neben dem Lokal. Ab dem Wochenende wird sie dort „Aperol to go“ anbieten, passend zur wärmeren Jahreszeit. Wer zuschlägt, muss sich zum Verzehr allerdings mindestens 50 Meter von der Hütte entfernen, das gilt weiterhin. Dass kürzlich jemand das Ordnungsamt gerufen hat, „obwohl nur zwei Menschen miteinander etwas getrunken haben“, macht Lontz wütend: „Ich könnte schreien, dass ich für so etwas auch noch angekreidet werde.“

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Die Gesellschaft habe sich deutlich verändert

Eine veränderte gesellschaftliche Stimmung macht auch Peggy Palurovic vom Restaurant „Zum Dömchen“ in Saarn aus: „Es gibt weiter viele nette Kunden, die solidarisch sind und bestellen – doch irgendwie hat sich alles drastisch verändert“, findet sie und spricht von einer wachsenden „Ich -Gesellschaft“. Davon, dass jeder nur noch der erste sein wolle, egal, ob beim Einkauf oder im Straßenverkehr. Palurovic ist zurzeit viel im Stadtgebiet unterwegs; wer in ihrem Lokal bestellt, den beliefert sie zügig. Sie vermisst bei den Touren durch Mülheim oft Rücksichtnahme: „Man kann von Glück reden, wenn man ohne Unfall da durchkommt.“

Ihr Mann, „Dömchen“-Chef Slavo Palurovic, spricht von einer „fatalen Zeit“ und davon, dass „alles Kopf steht“. Er will optimistisch bleiben, verteilt Flyer mit Speisekarte in der Umgebung und hofft, dass ihm die Gäste nicht ausgehen. „Viele Kollegen aber überlegen, ob sie überhaupt noch weitermachen können.“

„Die versprochene Hilfe wird extra zu spät ausgezahlt“

Darunter der Betreiber einer alteingesessenen Mülheimer Gastwirtschaft, der keine persönlichen Angaben über sich in der Zeitung lesen möchte. Zum einen, weil ihm das Wasser bis zum Halse steht, zum anderen, weil er im Interview auch durchaus mal so heftig flucht, dass es nicht zitierfähig ist. „Die Regierung macht es nicht gut“, sagt der Wirt. „Die versprochene Hilfe wird extra zu spät ausgezahlt – und bei uns laufen die Mahnungen auf.“

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Schon die Fixkosten für Strom, Wasser, Müll. . . habe er in den vergangenen Wochen manchmal nicht mehr begleichen können. Es sei nicht sicher, dass das Lokal überleben werde – „das hängt davon ab, wie lang das alles noch dauert und wie das mit der Unterstützung läuft“. Man müsse abwarten, „was die Herrschaften aus der Politik“ noch zu sagen hätten und was sie für Auflagen machen. „Wir könnten durchaus in unserer Existenz bedroht sein.“

Um den Betrieb zu sichern, müssen eigene Ersparnisse herhalten

Elisabeth Heitmann betreibt seit 63 Jahren das Traditionslokal „Zum alten Bahnhof“ in Styrum. Seit vielen Jahren sind ihre Söhne dabei: Werner Heitmann (62, l.) und Bruder Thomas (59). Aktuell bietet das Trio mittags und abends Speisen zum Abholen an.
Elisabeth Heitmann betreibt seit 63 Jahren das Traditionslokal „Zum alten Bahnhof“ in Styrum. Seit vielen Jahren sind ihre Söhne dabei: Werner Heitmann (62, l.) und Bruder Thomas (59). Aktuell bietet das Trio mittags und abends Speisen zum Abholen an. © FFS | Martin Möller

Ganz so schwarz sieht Elisabeth Heitmann die Sache nicht. Die 84-Jährige betreibt mit ihren Söhnen Thomas und Werner das Lokal „Zum alten Bahnhof“ in Styrum. Seit 80 Jahren ist der Laden im Familienbesitz, „seit 63 Jahren führe ich ihn“. Zurzeit laufe alles sehr schleppend, „am Donnerstag zum Beispiel hatten wir abends nur fünf Essen zum Abholen – was ist das schon?“. Die Zeit sei schlimm, das Personal in Kurzarbeit. Man werde es trotzdem schaffen. „Traurig ist aber, dass ich jetzt meine Ersparnisse ins Restaurant stecken muss.“

Eugenia Casian, die ihrem Mann Anton im „Haus Fuchs“ an der Saarner Straße oft zur Hand geht, kennt die Vorzüge des Familienunternehmens. Die Kosten sind geringer, wenn Angehörige in einer Notsituation mitanpacken, Personal nicht auch noch voll bezahlt werden muss. Trotzdem, auch bei ihnen läuft es nicht rund: „Es ist oft sehr einsam, und dann kamen jetzt auch noch Schnee und Eis dazu.“ Als normales Restaurant könne man schlecht mit Imbissen oder Schnellpizzerien konkurrieren. Nach beinahe vier anstrengenden Monaten versteht Casian, dass sich manche Restaurants komplett gegen Außer-Haus-Service entschieden haben.

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“Wichtig ist, dass der Kontakt zu den Gästen bestehen bleibt“

Birgit Höppeler vom „Landhaus Höppeler“ in Mintard hält es für „wichtig, dass der Kontakt zu den Gästen bestehen bleibt“. Man mache weiter, auch wenn es reichlich Grund für Wut und Ärger gebe. „Die Hilfen laufen nicht richtig“, lautet auch ihre Beschwerde, zumal: „Was man beantragen kann, ist doch ein Witz.“ Es sei es nur noch möglich, einen verschwindend geringen Teil der Fix- und Personalkosten zu erhalten. „Wovon sollen wir unsere Miete, Krankenversicherung, die Kosten für unseren Lebensunterhalt bestreiten?“

Auch vor der Schließung habe Corona das Geschäft schon verhagelt, sei das Jahr nicht gut gelaufen. „Auf Abstand und mit Maske geht keiner gerne essen.“ Trotzdem: „Auch wenn sich alle danach sehnen, wieder rauszudürfen: Wir sollten noch einige Wochen durchhalten. Bei einer dritten Welle wäre alles noch schlimmer.“ Birgit Höppeler und ihr Mann Peter, der Inhaber des Restaurants, wollen die Durststrecke auch mit ihrer Erfahrung aus rund 30 Jahren Selbstständigkeit überbrücken.

Die Abschiedsbotschaft von Sladjana Petrovic, der ehemaligen Wirtin vom „Depot“. Ihr Lokal hat die Coronakrise nicht überstanden.
Die Abschiedsbotschaft von Sladjana Petrovic, der ehemaligen Wirtin vom „Depot“. Ihr Lokal hat die Coronakrise nicht überstanden. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der völlig verzweifelten Sladjana Petrovic ist dies nicht gelungen. 3500 Euro musste sie monatlich für das „Depot“ aufbringen. Weil die Hilfen – „anders als im ersten Lockdown“ – ausgeblieben seien, habe sie Ende 2020 aufgeben müssen. „Hätte ich länger gewartet, wäre ich immer tiefer in die Schulden gerutscht.“ Die 54-Jährige fühlt sich „wertlos“, „ohne Perspektive“, „total schlecht“. Und sie glaubt: „Es werden noch viele Wirte folgen.“

Corona-Krise als Wechselbad der Gefühle

„Wir halten uns mit to go über Wasser“, sagt Adnan Turkmen, Chef vom Perfetto in der Innenstadt. Für ihn sei die Situation „nicht schön, aber auch nicht dramatisch“. Die Corona-Krise sei ein Wechselbad der Gefühle: „Mal bin ich euphorisch, glaube, dass es ganz bald weitergeht. Dann falle ich wieder in ein Loch.“ Turkmen weißt, dass man das Virus nicht außer acht lassen darf, „aber ich denke unternehmerisch“. Er vermisse eine Strategie, leide unter „Perspektivlosigkeit“. Der Café-Besitzer glaubt, dass die Lokale frühestens nach Ostern wieder aufmachen dürfen.

Bis dahin will es auch Rene Lomonaco, Inhaber der „Piazza Carmelo“ in der Altstadt, schaffen. „Wir lassen uns nicht unterkriegen, werden hoffentlich mit zwei blauen Augen davonkommen.“ Sorge bereite ihm, dass sich Mutationen des Virus ausbreiten; die Einbußen seien schon groß genug. Ab April will der 42-Jährige Corona auch mit einer besonderen Anschaffung die Stirn bieten: Er wird in der Altstadt einen kleinen Imbisswagen aufstellen, Pommes, Currywurst und Frikadellen verkaufen.