Mülheim. Wilhelm Knabe (97), Mitbegründer der Grünen, ist nach einer Corona-Infektion verstorben. Mülheim verliert eine hoch angesehene Persönlichkeit.

Der Mitbegründer der Grünen und Mülheimer Alt-Bürgermeister hat vieles in seinem langen Leben durchlitten und überstanden. Das Ende der Corona-Pandemie wird er jedoch nicht mehr erleben: In der Nacht von Freitag auf Samstag erlag Wilhelm Knabe im Evangelischen Krankenhaus in Mülheim einer Covid-19-Infektion. Im gesegneten Alter von 97 Jahren.

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Wilhelm Knabe wurde am 8. Oktober 1923 im sächsischen Arnsdorf nahe Dresden geboren, in eine vielköpfige Familie hinein. Er hatte acht Geschwister. Sein Vater war als Geistlicher in einer psychiatrischen Heilanstalt tätig und versuchte, sich der Deportation von Kranken zu widersetzen. Er starb 1939, kurz nach einem Verhör durch die SS.

Drei Tage nach dem Abitur an die Kriegsfront geschickt

Noch im vergangenen Sommer hat sich Wilhelm Knabe in einem Gespräch mit dieser Redaktion an seine Schulzeit während der NS-Zeit erinnert. Seine Reifeprüfung legte er 1942, mitten im Krieg, in Meißen ab. Drei Tage nach dem Abitur wurde der damals 18-Jährige von der Wehrmacht eingezogen, musste an die Front. In dunklen Stunden habe er besonders von den Gedichten profitiert, die er im Deutschunterricht auswendig lernen musste: „In den vielen Jahren, in denen ich im Krieg Wache schieben musste, wäre ich verblödet, hätte ich keine Gedichte gekannt“, meinte Knabe. Der junge Mann geriet in Kriegsgefangenschaft und kehrte 1945 zurück.

Brückenbauer zwischen den Generationen

Auch die Mülheimer Grünen trauern um ihren Ehrenvorsitzenden. Auf ihrer Website schreiben sie: „Mit Wilhelm Knabe verlieren wir eine herausragende Persönlichkeit grüner Parteigeschichte und einen guten Freund.“

Knabe hatte 2004 die Seniorenorganisation seiner Partei mitgegründet: Grüne Alte. Sie würdigen sein Lebenswerk auf Facebook: „Als Pionier des Klimaschutzes hat er sehr früh vor dem Raubbau an der Natur gewarnt. Er war ein Brückenbauer zwischen Ost und West, zwischen jungen und älteren Grünen Mitgliedern. Wir werden Wilhelm als großen und liebenswerten Menschen in Erinnerung behalten.“

Sein persönliches Schaffen drehte sich seit Jugendtagen in ganz besonderem Maße um die Natur, speziell um Wald und Bäume. In der ehemaligen DDR, in Dresden, absolvierte Knabe direkt nach dem Krieg ein Studium der Forstwissenschaft. Schon damals bewegte ihn der Umweltschutz. Als Student gehörte Knabe der Ost-CDU an. Er wechselte als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Berliner Humboldt-Universität, wo er 1957 promovierte: über die Rekultivierung von Kippen im Braunkohletagebau.

Flucht aus der DDR mit Ehefrau und Kindern

Bereits verheiratet und Familienvater, floh Knabe zwei Jahre später mit Ehefrau und Kindern in die Bundesrepublik. Er wollte sich keinem zweiten autoritären Regime mehr beugen. Zunächst war er als Wissenschaftler tätig, wechselte 1966 als hoher Beamter an die Landesanstalt für Immisionsschutz in Essen.

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Bis zu jenem Jahr war der gläubige Christ Knabe auch noch CDU-Mitglied. Zunehmend beeindruckten ihn allerdings die ersten Bürgerinitiativen, die sich in den siebziger Jahren den Umweltschutz auf die Fahne schrieben. Wilhelm Knabe engagierte sich selber gegen den Ausbau von Autobahnen und wurde schließlich 1979/80 zum Mitbegründer der Grünen. Von 1982 bis 1984 fungierte er als Sprecher der Bundespartei, von 1987 bis 1990 saß er als grüner Abgeordneter im Bundestag.

In Mülheim ist Wilhelm Knabe seit 1967 heimisch. Hier lebte er mit seiner Familie in einem Haus im Rumbachtal. Gemeinsam mit seiner bereits seit längerem verstorbenen Ehefrau hat er vier Kinder, darunter der namhafte Historiker Hubertus Knabe, ehemals Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen.

Erste schwarz-grüne Koalition in Mülheim mit begründet

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag widmete sich Knabe ab 1994 der Mülheimer Kommunalpolitik, gehörte nicht nur dem Stadtrat an, sondern fungierte auch als Bürgermeister. Mit der ersten schwarz-grünen Koalition, angeführt von OB Hans-Georg-Specht (CDU) und Bürgermeister Wilhelm Knabe (Grüne), rückte Mülheim kurz vor der Jahrtausendwende bundesweit in den Blickpunkt. Bis zuletzt war er Ehrenvorsitzender des grünen Kreisverbandes in Mülheim. Im Steckbrief auf deren Website formulierte er als augenblickliches persönliches Ziel: „Dass jüngere Menschen meine Arbeit für die Umwelt fortführen.“ Umgekehrt hat er die Jugend noch als sehr alter Mensch bei ihren Protesten unterstützt.

Noch als 95-Jähriger nahm Wilhelm Knabe an einer Fridays-for-Future-Demo in Mülheim teil.
Noch als 95-Jähriger nahm Wilhelm Knabe an einer Fridays-for-Future-Demo in Mülheim teil. © FUNKE Foto Services | Tamara Ramos

Vor knapp zwei Jahren erntete Wilhelm Knabe als Teilnehmer an einer Fridays-for-Future-Demo in Mülheim große Aufmerksamkeit und Anerkennung: In Jeans, mit schwarzem Hut und einem selbst gebastelten Pappschild „Opa for Future“ in der Hand reihte er sich ein in die Kundgebung seiner Urenkel-Generation. Schließlich setze er sich seit 70 Jahren für den Umweltschutz ein, gab Knabe zu Protokoll - „und der Kampf wird immer frustrierender“.

„Kampf für Umweltschutz wird immer frustrierender“

Wilhelms Knabes Leben füllt ein stattliches Buch. Vor rund einem Jahr ist seine 355-seitige Autobiographie „Ein deutsch-deutsches Leben“ erschienen. Mitte Februar 2020 hat der hochbetagte Politiker daraus noch vor Publikum im Mülheimer Medienhaus vorgelesen. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt. Er präsentierte sich geistig hellwach, während ihm das Gehen schon sehr schwer fiel. Wenige Wochen später hatte die Corona-Pandemie das Land im Griff. Wilhelm Knabe, der bis zuletzt von seinen Kindern liebevoll betreut wurde, konnte dem Virus letztlich nichts mehr entgegensetzen.

Seine Tochter Ricarda habe ihn noch am Freitagmorgen auf der Isolierstation besucht, berichtet Peter Wilhelmi, ein befreundeter Nachbar. „Sie hat mit ihm gebetet“. In der Nacht ist der 97-Jährige dann gestorben.