Mülheim. Umzug wider Willen: Eine ganze Graureiher-Kolonie, auf die Mülheim stolz war, hat die Ruhrauen verlassen. Jetzt weiß man, warum sie fort ist.
Die Graureiher-Kolonie, die jedes Jahr im Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebiet (FFH) der Ruhraue gebrütet hat, ist ausgeflogen. Experten haben nun die Ursache ausfindig gemacht.
Grund ist der Waschbär - ein Raubsäugetier und Allesfresser, das ursprünglich in Nord- und Mittelamerika beheimatet ist und dem unsere heimische Tierwelt nicht viel entgegenzusetzen hat.
Kolonie verließ ihr Domizil mitten in der Brutzeit
Als Tobias Rautenberg, Biogeograph von der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet (BSWR), im April 2019 die Graureiher-Kolonie in der ehemaligen Tongrube am Kahlenbergweg kontrollierte, staunte er nicht schlecht. Denn mitten in der Brutzeit, quasi von einem Tag auf den anderen, fand Rautenberg die Nester verlassen vor. Noch ein paar Tage zuvor konnte er bei seinem Kontrollgang über 40 brütende Reiherpaare in diesem Teil des FFH-Schutzgebietes beobachten.
Die Situation ließ schnell den Verdacht aufkommen, dass hier ein Fressfeind am Werke war. Und tatsächlich: Durch das Aufstellen von Wildkameras war der Übeltäter schnell ausgemacht. Sowohl Jungtiere als auch Eier waren einem Waschbären zum Opfer gefallen. Die Elternpaare wurden durch den Allesfresser vertreiben.
Nur zehn Graureiher-Paare ließen sich anderswo an der Ruhr nieder
Nur zehn dieser Paare ließen sich noch im Spätfrühling 2019 in einem anderen Teil der Ruhraue nieder. Diese kleine Ersatzkolonie wurde jedoch erst im Winter entdeckt, nachdem die Bäume ihr Laub verloren hatten.
Auch für das Mülheimer Umweltamt war die Aufgabe der großen Kolonie im Bereich der ehemaligen Tongrube ein Schock, war man doch so stolz auf die erste große Population an Graureihern in ganz NRW, die regelmäßig zum Brüten in die Ruhraue kam. „Hier in der ehemaligen Tongrube gibt es eigentlich optimale Voraussetzungen zum Brüten“, sagt Gabriele Wegner vom Umweltamt. „Hier stehen viele Bäume im Wasser, das schützt vor vielen Fressfeinden, wie etwa dem Marder.“
Kletterschutzmanschetten sollen vor den Waschbären schützen
Doch einen Waschbären halte das nicht auf. Um die Reiher vor Waschbären zu schützen, wurden an beiden Standorten einige Bäume nun mit Kletterschutzmanschetten versehen. Nicht überall war dies möglich, da die Bäume im Kronenbereich oft verflochten sind und ein Waschbär sich dadurch alternative Wege zu den Nestern suchen kann.
+++ Seltene Vögel zu Gast in der Stadt +++
Erstmals 1992 und ab 1996 dann regelmäßig brüteten Graureiher in der Mülheimer Ruhraue. Mit 109 Brutpaaren wurde 2006 der Höchstwert erreicht. Die Zahl der Nester schwankte dann immer mehr und nahm zuletzt dramatisch ab. Deshalb hatte die Untere Naturschutzbehörde bereits 2016 die BSWR mit einer Untersuchung dieser Entwicklung beauftragt.
Schutz der Graureiher und ihren Brutstätten steht oben auf der Agenda
Zunächst vermutete man, dass die Menge an Spaziergängern und die damit verbundenen Störungen Einfluss auf die Entwicklung der Population haben. Nun zeigt sich, dass wohl der Waschbär, der sich schon seit rund 14 Jahren in Mülheim ausgebreitet hat, aber erst 2019 das erste Mal in der Ruhraue gesichtet wurde, für die Aufgabe einer ganzen Kolonie verantwortlich ist.
Für die Experten steht nun der Schutz der Graureiher und ihren Brutstätten ganz oben auf der Agenda. Um die Kolonien zu schützen und eine explosionsartige Vermehrung der Waschbären zu verhindern, sind die Experten auch auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Denn an vielen Orten werden die possierlichen Raubtierchen angefüttert und dringen auch immer mehr in Wohngebiete vor.
Umweltamt appelliert an Bürger, Waschbären nicht zu füttern
„Waschbären sind niedliche Sympathieträger, junge Graureiher aber auch“, verdeutlicht Gabriele Wegner den Konflikt. „Menschen, die Waschbären im eigenen Garten anfüttern, gleichzeitig aber auch Vogelhäuschen mit Futter im Garten haben, müssen sich dazwischen entscheiden.“
+++ Tierisch was los an der Ruhr +++
Vögel und Waschbär gemeinsam im Garten - das funktioniere nicht. Ob die Graureiher jemals wieder in großen Kolonien in die Ruhraue zurückkehren, könne man noch nicht sagen. Durch die Schutzmaßnahmen sei es möglich. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
INFO:
Trotz der eingesetzten Kletterschutzmanschetten gab es 2020 kein Graureiherpaar, das in der traditionellen Graureiher-Kolonie in der ehemaligen Tongrube gebrütet hat.
Die Entwicklung und ob es zukünftig zu einer Wiederbesiedelung kommt, wird weiter durch die Experten beobachtet.
Weitere Informationen auch auf der Internetseite bswr.de.